Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs. Группа авторов

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in seine eigene Welt einigelt und die Fähigkeit zu Beziehung und Kommunikation radikal einbüßt.

      Zum kompositorischen Geschick des Stücks gehört, dass es uns von Anfang an zwei lonesome travellers, zwei einsame Wanderer in der Welt präsentiert, den Utopisten Franz, eine melancholische Fokalisator-Figur, der von einer sozialistischen Demokratie träumt, und eben jenen selbstverlorenen Sladek, dessen Befindlichkeit und Unbewusstes das Stück fast im Sinne Freuds auslotet. Es ist kein Zufall, dass er, im Unterschied zu allen anderen Hakenkreuzlern, auf den politischen Gegner, den linken Journalisten Franz, nicht hasserfüllt und aggressiv reagiert, sondern empathisch, worauf Franz wiederum hilflos-ablehnend reagiert, weil er keine Gemeinsamkeit mit einem Nationalsozialisten eingehen möchte:

      VIERTER HAKENKREUZLER: Ich heiße Sladek. – Man muß nur selbständig denken. Ich denk viel. Ich denk den ganzen Tag. Gestern hab ich gedacht, wenn ich studiert hätt, dann könnt ich was werden. Ich hab nämlich Talent zur Politik. Ich bin ein sogenannter zurückgezogener Mensch. Ich red nur mit Leuten, die selbständig denken können. Ich freu mich, daß ich mit dir reden kann, – du bist auch allein, das hab ich bei der Diskussion gemerkt. Wir sind verwandt. Ich hab mir das alles genau überlegt, das mit dem Staat, Krieg, Friede, diese ganze Ungerechtigkeit.9

      Sein Stehsatz, mit dem er sein vermeintlich selbständiges Denken über Staat, Krieg und Welt untermauert, lautet: „In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht.“10 Dass er selbständig denkt, ist selbstredend eine Halbwahrheit. Anders als die Ethik der Grausamkeit seiner Kumpane und Waffenbrüder ist die seine mit melancholischen apodiktischen Sätzen, einem kruden Gemisch von biologischen und anthropologischen Sentenzen, verbunden, die Liebe, Frieden, Humanismus, Versöhnung und Frieden als großen Betrug erscheinen lassen, die eine Überwindung der angeblichen Ehr- und Wehrlosigkeit verkünden und den Krieg als biopolitische Maßnahme zur Bevölkerungsbeschränkung interpretieren.11 Ganz typisch für diese Variante einer grausamen Ethik ist die (Selbst-)Behauptung seiner intellektuellen Tapferkeit, sich im Gegensatz zu allen anderen zu der pessimistischen Ansicht von Welt und Mensch zu bekennen: „Ich hab keine Angst vor der Wahrheit, ich bin nämlich nicht feig.“12 Seiner grausamen Ethik, die dazu führt, dass er der Liquidation seiner Lebensgefährtin Anna im Namen des Vaterlandes zustimmt, kommt freilich immer wieder seine Sensibilität ins Quere, weshalb er auch im letzten Moment vergeblich versucht, Annas Leben zu retten, weil sie unschuldig sei, was für die programmatischen Totprügler natürlich nur ein lächerliches Argument ist.

      Sladek ist die Hauptfigur im Stück, weil seine psychische Befindlichkeit am genauesten ausgelotet wird. Dieser quasi-psychoanalytische Blick bringt die merkwürdige und verquere Sexualität dieser Männer ins Spiel. Sie korrespondiert mit einer weiblichen Sehnsucht nach männlicher Stärke. Diese zeigt sich in einem unhinterfragten Begehren nach gewaltsamen und strammen Männern, in prekären Formen asymmetrischer und hierarchischer Ausformungen von mehr oder minder heimlich ausgeübter Homosexualität und Homoerotik (wie im Fall des autoritären, patriarchalen Verhältnisses von Salm und Horst) bis zu jener üblichen Herabsetzung der Frau, die mit der Härte des Mannes nicht mithalten kann und der rundum das sexuelle Begehren („Die muß mal sehr geil gewesen sein“, meint Knorke über Anna) zugeschrieben wird, das Angst, blinde Triebhandlung und Verachtung auslöst und dem eine Selbstverachtung zugrunde liegt: dass nämlich auch der härteste und gewaltsamste Mann der Sexualität, als deren Projektion die Frau ist, bedarf. Der bisexuelle Salm bringt diese Sicht auf den Punkt, wenn er prahlend und abwertend meint:

      Was ich dort bei den Rumäninnen Kraft ließ – ja, das Weib haßt den Mann, auch in der Tierwelt gibt es dafür Beispiele. Ich habe erst in der Gefangenschaft mein besseres Ich entdeckt, ich danke es dem Krieg, er wies mich den rechten Weg. Horst. Du folgtest meinem Rufe.13

      Salm entwirft ein für heute völlig prekäres und unakzeptables Bild hetero- wie homosexuellen Begehrens. Es entspringt einer Interpretation, die dieses als eine Befreiung aus und von der Übermacht weiblicher Sexualität, als eine Emanzipation von sexueller Ausbeutung interpretiert. Die Gleichgeschlechtlichkeit wird in dieser Männerphantasie, um die bahnbrechende Studie von Klaus Theweleit zu erwähnen, das Bild einer männlichen Parallelwelt eingefügt, in der Frauen ausgeschlossen sind.14

      Hinter dieser polemischen Ansicht der Sexualität als einer männlichen Überforderung tritt eine tiefe Verunsicherung zutage, eine Krise von Männlichkeit, die durch das Selbstbild einer distanzierten, kalten Panzerung kompensiert werden soll und die doch zugleich die eigene Schüchternheit überspielt. Aus dieser Welt ist die Frau auf doppelte Weise ein- und ausgeschlossen, als Hausfrau wie als Prostituierte. Ersterer verdankt man eine Alltagssicherheit am Rande der soldatisch konstruierten Männerwelt, letzterer den Genuss einer so unvermeidlichen wie innerlich abgelehnten Sexualität, ohne der Frau affektiv und empathisch näher kommen zu müssen.

      Der ‚Komplex‘ Sladek funktioniert auch hier etwas anders. Im Stück wird Sladek dreimal mit Frauen konfrontiert, mit der älteren Anna, einer selbständigen Frau und Soldatenwitwe, mit dem Fräulein an der Bar im Restaurant und mit Lotte in der elften und letzten Szene des Stückes.

      Im Falle von Anna tritt Sladeks Unselbständigkeit auf mehreren Ebenen zutage. Der sozial und ökonomisch pauperisierte, arbeitslose, gestrandete Mann bedarf der Frau als Einkommensquelle, dadurch verstärkt sich indes seine Marginalisierung, ist er nun doch von der tief verachteten Frau abhängig. Daraus erklärt sich auch die tiefe Ambivalenz Sladeks gegenüber Anna, der er dankbar sein muss und die er dafür hasst, eben weil er sie braucht.

      Ich kam zu dir zerlumpt. Bei mir in der Familie haben sie sich um ein Stück Brot gehaßt. Du warst für mich ein höheres Wesen, du hattest eine Zweizimmerwohnung und hast Kriegsanleihen gezeichnet. Du hast für Kaufmannsfrauen geschneidert, ich hab mich waschen können. Du hast mir einen Wintermantel gekauft. Danke.15

      Und in der dritten Szene, wenn sich Sladek kurz vor der Ermordung von Anna, dem Fräulein im Restaurant erotisch annähern will, schildert er der fremden anderen Frau sein Verhältnis mit Anna:

      Sie hat es gewußt, daß sie nur winseln muß und ich verlier die Kraft. Weil ich ein anständiger Mensch bin, zu guter Letzt. […] Ich hab noch nie richtig gearbeitet. Sie hat es nicht gern gesehen, daß ich was verdien. Sie hatte Angst, ich könnte ohne sie leben. Sie hat mich lieber ausgehalten, das ist das berühmte mütterliche Gefühl.16

      Die harten Männer, die Soldaten der Armeen, die den Krieg verloren haben, stehen nach ihrer Rückkehr auf wackligen Beinen. Ihre berufliche Grundlage, ihre Ausbildung, ihre Lebenspläne haben sich in Luft aufgelöst. Der Krieg zeitigt völlig unbeabsichtigte und unabsehbare Folgen. Die Frauen, die zu Hause geblieben sind, haben sich eine ökonomische Basis geschaffen und sind, vielleicht zum ersten Mal, unabhängig vom andern Geschlecht. Während sie sich recht oder schlecht – es sind Krisenzeiten – in der Welt bewähren, stehen die Männer abseits und den Frauen, deren Schwäche sie doch so verachten, unterlegen, geschlechtlich marginalisiert. Diese Situation schildert Horváth in Geschichten aus dem Wiener Wald und Roth in Die Rebellion. Auch dort sind es geschäftstüchtige Frauen, die Männer, Kriegsheimkehrer und durch den Krieg bodenlos gewordene Existenzen unterhalten und ihr Superioritätsgefühl bis zu einem gewissen Grade auch auskosten. Dem melancholisch erfahrenen marginalisierten Zustand der Heimkehr-Männer steht eine weibliche Tüchtigkeit gegenüber, die sich mit der drohenden Marginalisierung nicht abfinden will.

      Anna ist Sladek zudem an Lebenserfahrung, und dazu gehört wohl auch die Sexualität, überlegen, sie ist seine zweite Mama, lacanianisch gesprochen die phallische Frau, was sie auch in poetische Formeln gießt: „[…] Du kleiner Riese. Du bleibst, du bleibst. Du Jung, du – es ist kalt, die Erde ist kalt, aber die Sonne war schon warm. Das ist der zunehmende Mond.“17 Im Bild des kleinen, hilflosen Mannes nach 1918 ist dessen Situation auf den Punkt gebracht. Aufschlussreich ist die anschließende Kuss-Szene. Die Frau ist empört, weil der Mann ihr den Kuss einigermaßen gewaltsam verweigert, um sodann zu sagen: „Ich küß nicht gern so, so sinnlich.“18 Die emotionale Askese

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