Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs. Группа авторов

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dritten und sehr spezifischen Ansatz bietet das äußerst interessante, 1968 veröffentlichte Werk The Habsburg Empire von C. A. Macartney (1895–1978). Es analysiert extensiv innenpolitische Wandlungsprozesse im österreichischen wie auch im ungarischen Teil der Donaumonarchie, darüber hinaus auch diplomatische und außenpolitische Faktoren im „langen 19. Jahrhundert“.19 Macartneys Antwort auf die Frage vom Zerfall der Habsburgermonarchie ist zweiseitig: zum einen stellt er strukturelle Fehler und Probleme fest, die bis 1914 immer mehr Wirbel auslösten, auf der anderen Seite sieht er auch die außenpolitische Lage vor 1914 als problematisch an. Macartney schreibt:

      The Austo-Hungarian Monarchy did not survive the conflict which it unleashed when it declared war on Serbia. The end of the war was also the end of the Monarchy. Many is the book which has been written on the question whether this consummation was forced on it, unnaturally, by foreign enemies, some of which have become so only by accident, or whether it was the natural and inevitable result of the forces of decay within its own organism.20

      Hinsichtlich der analytischen Breite und des periodenübergreifenden Ansatzes ist der Arbeit Macartneys eine weitere Studie verwandt: die Synthese des britischen Historikers Robin Okey, die einen politisch- und gesellschaftshistorischen Überblick der Geschichte der Habsburgermonarchie von 1765 bis 1918 bietet.21 Dabei verweist Okey auf langfristige Strukturen, die desintegrativ wirkten (Nationalismus) oder einen Zerfall unvermeidlich machten (Modernisierungsprozesse der Aufklärung), darüber hinaus auch auf andere strukturelle Fehler. Aber auch kurzfristige Ereignisse (Weltkrieg) zählen bei Okey zu den Schlüsselfaktoren des Umbruchs:

      In the case of the Habsburg Monarchy and the First World War the big issues concern the outbreak and conduct of the war but above all the break-up of the old state at its end. What is the balance between individual and structural factors, and between shorter- and longer-term ones, in shaping what came about?22

      Nachfolgende Generationen von Historikern hatten durch diese Bücher ihre ersten Begegnungen mit der Geschichte der Donaumonarchie. Sie entwickelten jedoch auch eine kritisch differenzierte Perspektive. Der sogenannte cultural turn fand auch in den Habsburgerstudien statt: William M. Johnston, Carl Schorske, Edward Timms, Allan Janik, Steven Beller sowie österreichische Historiker wie Moritz Csáky, Wolfgang Maderthaner und viele andere beleuchteten mit ihren Werken kulturelle, intellektuelle, gesellschaftliche und geistesgeschichtliche Aspekte. Gerade kultur- und geistesgeschichtliche Beiträge von Johnston und Schorske (1915–2015) oder Péter Hanák (1921–1997)23 erinnerten nicht nur an eine Fülle von Kreativität und Innovation in Wien (und anderen urbanen Zentren der Monarchie) um die Jahrhundertwende, sondern trugen dazu bei, die Habsburgermonarchie umzudenken, das heißt, sie nicht als Anachronismus, sondern als ein „Laboratorium der Moderne“24 zu betrachten, darüber hinaus auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.

      Die Werke von David F. Good und John Komlos eröffneten neue Ansätze in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung der Donaumonarchie. Seit den 1980er Jahren kamen parallel dazu auch die Beiträge von Gary B. Cohen und anderen, wieder zumeist US-amerikanischen Historikern, die den Weg für eine neue Generation von Forschern freigemacht hatten. Anknüpfend an Benedict Anderson und seine Imagined Communities,25 suchte diese Generation neue Antworten auf alte Fragen, stieß aber dabei auch auf ganz neue Fragenkomplexe. Nicht nur eine Fülle von wichtigen kulturhistorischen und sozialhistorischen Studien haben bedeutende Durchbrüche ermöglicht. Bald kamen auch Beiträge, die bekannte Themen mit neuen methodologischen Fragenstellungen verbinden, sei es in Bezug auf verschiedene Aspekte des Habsburger Heeres, auf diverse nationale und dynastische Loyalitäten bzw. Loyalismen oder auf andere Ansatzpunkte der „new political history“.26

      Der aus der Zwischenkriegszeit datierende historiographische empirische Rahmen, der unter dem Einfluss Oswald Spenglers und Arnold Toynbees sowie ihrer Theorie der historischen Zyklen von Aufstieg oder Fortschritt und Verfall oder Rückschritt stand, wurde nun endgültig gesprengt.27 Auch die Carlyle’sche „Geschichte großer Männer oder Helden“ rückte in den Hintergrund. Der Umstand, dass die Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert eben keine Erfolgsgeschichte ist, dass große Männer der Monarchie nicht als Helden angesehen werden und „zum Heroischen in der Geschichte“ gehören, ermöglichte andere Wege. Neue, kleinere Studien machten nun die Erforschung von Verbindungen zwischen lokalen Phänomenen und generellen Transformationen des Habsburgerreichs zum Thema. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde die Habsburgerforschung nicht nur konzeptuell oder durch verschiedene Themen bereichert, erweitert wurde auch unser Wissen über die Peripherie und deren Entwicklung. Carlyle’sche Fragen und Kontroversen, zum Beispiel die Frage, inwiefern die private Welt des Kaisers Franz Joseph dessen politische Entscheidungen beeinflusste oder wie schwer bzw. verloren die Lage für Kaiser Karl gewesen war, werden von nun an mit neuen Fragenkomplexen ersetzt. Vorangeführt werden solche modernen Habsburgerstudien von Laurence Cole, Daniel Unowsky, Tara Zahra, Robert Nemes, Deborah Coen und vielen anderen, dazu auch von ihren europäischen Kollegen wie Heidemarie Uhl, Rok Stergar, Mark Cornwall, Philipp Ther, Tamara Scheer und vielen anderen. Diese neuen Generationen der Historiker der Habsburgermonarchie finden im vereinfachten Sinn unter der Kategorie „New Habsburg History“ ihren kleinsten gemeinsamen Nenner. Als spezifische case-studies wurden diese Ansätze der „New Habsburg History“ schon längere Zeit geprüft. Aber gerade eine Synthese fehlte lange Zeit um all diese scheinend partikularen Fortschritte zu verbinden und schlaggebend eine „Stimme“ der ganzen Generation zu werden.28

      Die neue Synthese der Geschichte der Habsburgermonarchie von Pieter Judson, erschienen auf Deutsch 2017 unter den Titel Habsburg: Geschichte eines Imperiums, ist aber in diesem Zusammenhang nicht eine „New History“ (der englische Titel ist The Habsburg Empire. A New History), weil sie erst vor kurzer Zeit publiziert wurde. Sie ist auch auf den methodologischen Ansätzen der Sozialgeschichte und Kulturgeschichte begründet und bietet neue Interpretationen zum Staatswesen und zu dessen Entwicklung im langen 19. Jahrhundert.29 Als jahrelanger Chefredakteur der Zeitschrift „Austrian History Yearbook“ hatte Judson einen klaren Überblick über die meisten neuen Tendenzen der Habsburgerstudien. Dazu wirkt gerade diese Zeitschrift in englischen Wissenschaftsraum als methodologische Werkstatt und Plattform für neue Ansätze nicht nur in der Geschichte der Habsburgermonarchie, sondern auch für die Geschichte(n) der Nachfolgestaaten. Wie wissenschaftliche Diskussionen über das Buch von Pieter Judson bereits gezeigt haben, zeichnet diese Geschichte des Habsburgerreichs ein revisionistisches Bild über dessen Schlussphase.30 Auch andere bekannte historische Eckpfeiler, zum Beispiel die Regierungszeit Maria Theresias und Joseph des II. oder die Metternich-Ära, werden aufs Neue untersucht. Judsons Arbeit ist gleichzeitig provokativ, aber immer noch in „Kommunikation“ mit anderen, älteren Historikern der Geschichte des österreichischen Imperiums. Einige Aspekte werden dennoch vernachlässigt, wie beispielsweise die immer wichtigen außenpolitischen und diplomatischen Ebenen. Dazu kommt auch ein weiteres Problem hinzu, das sich teilweise auch in anderen Synthesen festhalten lässt: Verschiedene Gruppen, Einzelpersonen, Orte oder Beispiele wechseln sich zunehmend ab und werden meistens ungenügend kontextualisiert – ansonsten ein Nachteil mehrerer Synthesen, die die Gesellschaftsgeschichte auf einer Basis der entangled history/histoire croisée also als Verflechtungsgeschichte, darzustellen suchen. Der Historikergeneration, die die „New Habsburg History“ als ihren Forschungsansatz nimmt, bleibt Judsons Synthese zweifelsohne ein deutlicher Wegweiser.

      Neue Ansätze und theoretische Perspektiven von Judson, Cornwall, Zahra und anderen drehen historiographische Paradigmen um und bringen im Wesentlichen revisionistische Bemühungen in den Habsburgerstudien ein. Dieselben Ansätze begründen sich jedoch auf der Idee, dass Makro-Perspektiven wie sämtliche Verwaltungsreformen, Funktionen der bürokratischen Organisation oder die Entwicklung der Zivilgesellschaft mit anderen Mikro-Perspektiven verknüpft oder argumentiert werden. Dabei sollte man allerdings vorsichtig verfahren; im neuen Optimismus des habsburgischen Revisionismus darf der menschliche Faktor in der Geschichte, an den auch Marc Bloch stets erinnerte,31 nicht vergessen bleiben. Historiker dürfen nicht vergessen, dass die Geschichte auch für jemanden und über jemanden geschrieben wird – nicht fast ausschließlich über etwas. Das menschliche Element einiger zukünftiger Habsburgerstudien

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