Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs. Группа авторов

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Imperien geboten haben, ohne dabei traditionelle Fragestellungen zu erweitern, manche wurden sogar aufgegeben. Viel häufiger rückten aber alte Argumente und sogar alte Einstellungen in den Vordergrund.

      Das Jahr 1918 als das große Bruchjahr bezeichnet in der Geschichtsschreibung unter anderem auch den endgültigen Untergang der Habsburgermonarchie. Bis heute erhält sich in zahlreichen Werken die alte Perspektive von der geschwächten „alten“ Donaumonarchie, die als ein Anachronismus dargestellt wird und daher nicht überraschend ihr Ende 1918 erfährt – zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang insbesondere zahlreiche Beiträge der kroatischen Historiographie, die sich auf 1918 und die darauffolgenden Jahre konzentrieren. Mehrere dieser Beiträge, die sich mit diesem Thema in der neueren Zeit beschäftigen, bleiben in erster Linie auf Ereignisse, also auf die von Fernand Braudel benannte „Zeit der Geschichte“ und den „mechanischen Zeitlauf“, auf die histoire événementielle („Ereignisgeschichte“) konzentriert.4 Gerade diese Ebene der historischen Prozesse wurde bereits im heute vergessenen, aber nichtdestotrotz wichtigen Werk Raspad Austro-Ugarske i stvaranje južnoslavenske države (Der Untergang Österreich-Ungarns und die Gründung eines jugoslawischen Staates) des kroatischen Historikers Bogdan Krizman (1913–1994) aus dem Jahr 1977 untersucht.5 Und gerade für die kroatische Situation um 1918 ist die Perspektive der langen Dauer gut geeignet: nicht die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien oder Österreich, sondern gerade Kroatien bzw. Jugoslawien.6 Es handelt sich dabei um einen Sonderfall, der tatsächlich für die Durchführung einer transepochalen komparativen Studie geeignet wäre. Kroatien fügte sich nach jahrhundertelanger Dominanz der Dynastie Habsburg als einziges mitteleuropäisches Land in ein neues multinationales, multikulturelles und multikonfessionelles Imperium bzw. Königreich ein. Doch außer der hervorragenden Arbeit des Historikers Ivo Banac, dem Buch The National Question in Yugoslavia: Origins, History, Politics hat die kroatische Geschichtsschreibung bis heute kaum solche übergreifenden Studien hervorgebracht.7

      Wichtige Ansätze dazu gibt es schon seit einiger Zeit in der österreichischen und deutschen, aber vor allen in der anglo-amerikanischen Geschichtsschreibung: die Sektion „Habsburgia“ – ein Begriff des Historikers Tony Judt8 (1948–2010) – gab es auch schon vor 1918 in der britischen Geschichtsschreibung, was auf keinen Fall eigenartig vorkommen sollte. Das Thema „Untergang der Monarchie“ ermöglichte vorerst den Historikern nach 1918 Zuflucht ins sogenannte „grand narrative“. Britische Historiker der Zwischenkriegszeit, zumal Emigranten aus dem mitteleuropäischen Raum wie Lewis B. Namier oder Alfred F. Přibram, knüpften an die Geschichtsschreibung von Edward Gibbon aus dem 18. Jahrhundert an. Sein Werk über den Fall des Römischen Imperiums popularisierte eine Geschichte des decline and fall – des „Verfalls und Untergangs“.9 Die frühe britische Geschichtsschreibung zum Thema Donaumonarchie wurde auch durch die späten Ansätze der Macauley’schen sogenannten whig-history beeinflusst. Schilderungen politisch aktiver Historiker und Journalisten wie Henry Wickham Steed (1871–1956) und Robert William Seton-Watson (1879–1951), insbesondere auf die Lage der Südslawen konzentriert, prägten dabei ein politisch motiviertes Bild der Donaumonarchie als „Völkerkerker“.10 Die Habsburgermonarchie zu untersuchen, war in vielerlei Hinsicht eine zeitgemäße Angelegenheit: Die politische Krise und die Nationalitätenkämpfe in der Habsburgermonarchie haben den Kontext zu den jüngsten politischen Entwicklungen in Mittel- und Südosteuropa in den 1920er und 1930er Jahren sowie auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg geboten. Dabei sollte man sich an die zahlreichen Werke der anglo-amerikanischen Geschichtsschreibung erinnern: vom ausschlaggebenden Essay über den Zerfall der Monarchie in 41 Punkten von Lewis B. Namier (1888–1960)11 bis zu den synthetischen Werken von Arthur J. May, Robert A. Kann, A. J. P. Taylor, C. A. Macartney und zahlreichen anderen Historikern.

      Natürlich hatten politische Umstände früher wie auch heute einen bestimmten Einfluss auf die Geschichtsschreibung. Nach 1918 war es nicht nur wichtig, den Zerfall großer europäischer Imperien zu analysieren, sondern gewiss auch neue „grand narratives“ für Nachfolgestaaten zu gestalten; der Habsburger „Völkerkerker“ spielte dabei eine wichtige Rolle. Anderseits wurde im Kalten Krieg wieder vieles umgedacht: der „Eiserne Vorhang“ und die Sowjetisierung Ost-Mitteleuropas und Osteuropas ließ schnell den „Völkerkerker“ vergessen. Heute werden wiederum in Bezug auf die Europäische Union Parallelen mit dem Habsburger Vielvölkerstaat gezogen, wobei sich diverse Kolumnisten und Journalisten fragen, ob man von Franz Joseph und der Doppelmonarchie noch etwas lernen könnte.12 Diesbezüglich sind Historiker aber vorsichtiger geworden, als dies der Fall nach 1918 oder nach 1945 war.

      Zusammen mit den Arbeiten österreichischer und deutscher Historiker bieten diese synthetischen Werke eine Fülle von Thesen und Argumenten über den Zusammenbruch der Habsburgermonarchie. Dabei fallen mindestens zwei oder drei miteinander verbundene, aber grundsätzlich unterschiedliche Denkrichtungen auf. Hinzuweisen wäre in diesem Zusammenhang vor allem auf die mehrbändige österreichische Edition Die Habsburgermonarchie 1848–1918, die seit 1973 erscheint und verschiedene Historiker aus Österreich und anderen Ländern verbindet; dieses Werk bietet zwar keine Synthese, stattdessen werden aber in seinen voluminösen Bänden diverse Themen vertieft.

      Die erste historiographische Richtung bringt einen detaillierten Überblick der inneren politischen Situation in der Habsburgermonarchie und rückt dabei die Analyse der Reform- und Reorganisationsbestrebungen in den Vordergrund. Nach dieser Interpretation sei die Donaumonarchie von inneren Faktoren, vor allem von miteinander zerstrittenen Nationalitäten, die niemals „von oben“ befriedigt wurden, geschwächt und endgültig im Krieg zertrümmert worden. Oftmals kommen dabei Magyaren oder Slawen als überwiegend destabilisierende Faktoren vor. Vereinfacht gesagt, würde das eine Geschichte der „verpassten Chancen und Gelegenheiten“ zur Reform des Staatswesens der Dynastie Habsburg und somit zur Rettung der immer mehr anachronistischen Habsburgermonarchie bedeuten. Der ungarische Soziologe und Historiker Oszkár Jászi (1875–1957), selbst in der letzten Periode der Monarchie politisch aktiv und nach 1925 in den USA tätig, befürwortete diesen Zugang in seinem einflussreichen Werk The Dissolution of the Habsburg Monarchy (1929).13 Ein ebenso analytisches Panorama der konstitutionellen und politischen Probleme der Donaumonarchie bietet das Buch Das österreichische Staats- und Reichsproblem des Juristen und Historikers Josef Redlich (1869–1936).14 Diese Ausrichtung erreichte ihren wissenschaftlichen Höhepunkt mit den Werken des US-Historiker Robert A. Kann (1906–1981).

      Einen anderen Blickwinkel bieten Synthesen, die die Dominanz der Außenpolitik zu unterstreichen versuchen: Damit wird die These aufgestellt, dass die innere Nationalitätenfrage – vor dem Ausbruch des Weltkrieges sekundär – eigentlich von Außenfaktoren beeinflusst und durch die Inkompetenz der Habsburger bzw. Kaiser Franz Josephs sowie seiner politischen Ratgeber verschärft worden sei. Solche Ansätze können bei A. J. P. Taylors (1906–1990) Werk über die Habsburgermonarchie gefunden werden: Für Taylor ist die Monarchie ein merkwürdig anachronistisches System für die Außenpolitik und im Grunde ein Werkzeug des europäischen Kräftegleichgewichts gewesen. Taylors „grand narrative“ wird in den Arbeiten von Roy Bridge mit analytischer Quellenkritik der diplomatischen Dokumente ersetzt.15 Aber dieser Blickwinkel gipfelt erst in der Synthese des britischen Historikers Alan Sked unter dem Titel Decline and Fall of the Habsburg Empire (1989),16 wobei auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle spielen: besonders ergiebig waren in dieser Hinsicht die Werke von Richard Rudolph, David F. Good, John Komlos, usw., in denen eine äußerst differenzierte Perspektive auf die ökonomische Lage der Habsburgermonarchie durchgesetzt wurde.17 Zwar direkt mit der früheren britischen Schule der Habsburgerstudien (mit A. J. P. Taylor als Schlüsselfigur) eng verbunden, präsentierte diese Synthese von Alan Sked dennoch neue Perspektiven und ergänzte dabei eine Reihe von neuen Ansätzen. Die deutsche Version des Buchs unter dem Titel Der Fall des Hauses Habsburg. Der unzeitige Tod eines Kaiserreichs schildert vielleicht besser die Intention des Autors, der von einem „Fall ohne Niedergang“ (fall without decline) spricht und dabei noch behauptet, dass die lokalen Formen des Nationalismus bis 1914 keine ernstere Bedrohung für die Donaumonarchie dargestellt haben.18 Also stellte gerade Sked in seiner provokativen, aber gut argumentierten Interpretation fest, dass die Existenz der Habsburgermonarchie zwischen dem

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