Fettnäpfchenführer Schottland. Ulrike Köhler
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Читать онлайн книгу Fettnäpfchenführer Schottland - Ulrike Köhler страница 6
»Nimm es einfach an und hör auf, dich zu ärgern«, erwidert Fiona leicht gereizt. »So machen wir das hier nun mal.« Schwungvoll wirft sie sich die Tasche über die Schultern, schlüpft in ihre Sneaker, ohne die Schnürsenkel zu öffnen, und winkt Franziska noch einmal kurz zu, bevor die Tür ins Schloss fällt. Franziska blickt noch immer zögernd auf ihre Liste, faltet sie dann zusammen und schiebt sie ergeben in ihre Hosentasche. Bevor sie loszieht, will sie sich jetzt wenigstens noch die Haare föhnen.
Nehmen ist höflicher als Geben
Es mag uns höflich erscheinen, etwas abzulehnen, das uns – wie wir meinen – nur aus reiner Höflichkeit angeboten wurde, insbesondere dann, wenn wir die andere Person kaum oder gar nicht kennen. Im Falle der schottischen Gastfreundschaft liegen wir damit jedoch falsch. Es ist sogar, im Gegenteil, sehr unhöflich, konsequent und nur aus Prinzip das abzulehnen, was ein Schotte einem großzügig anbietet. Kein Wunder, sagt der Schotte doch in Wahrheit mit seinem Angebot: »Ich habe genug, ich kann es mir leisten, zu teilen, es tut mir nicht weh.« Dahinter steckt naturgemäß immer auch ein kleines bisschen Stolz. Und was antworten wir ihm mit unserer vermeintlichen Höflichkeit? »Ich habe so meine Zweifel daran, dass du das noch entbehren kannst. Du hast ja für dich selbst kaum genug.« Ein Schlag ins Gesicht für einen stolzen Schotten, der die Unantastbarkeit der Gastfreundschaft schon mit der Muttermilch aufgenommen hat. Anzunehmen, was ohnehin vorhanden ist oder vom Besitzer zurzeit nicht genutzt wird, ist keine Schande. Im Gegenteil: Sie geben Ihrem Gastgeber damit ein gutes Gefühl.
Nur sollte man diese Bereitschaft zu teilen und zu geben nicht ausnutzen. Auch darauf reagieren Schotten – verständlicherweise – empfindlich. Es vermittelt ihnen das Gefühl, dass man sie für gutgläubig hält und meint, ihnen auf der Nase herumtanzen zu können. Es ist schon historisch bedingt, dass Schotten dieses Gefühl nicht besonders zu schätzen wissen, und menschlich ohnehin nur allzu verständlich.
Es gilt also, das richtige Maß zu finden, wenn man in Schottland ist. Nehmen Sie das an, was Sie tatsächlich benötigen, und zeigen Sie sich aufrichtig dankbar – vielleicht ja sogar, indem Sie das nächste Mal einspringen, wenn Sie irgendwie aushelfen können. Eine scheinbar grundlose Weigerung, ein freundliches Angebot anzunehmen, vermittelt hingegen den Eindruck, Sie seien selbst ein knausriger Mensch – und das kommt hier nicht ganz so gut an.
HÖFLICHKEIT IN SCHOTTLAND
Lieber zu höflich sein als unhöflich: »Thank you«, »please« und »sorry« können in Ihren Sätzen gar nicht oft genug vorkommen. Das geht schon beim Einkaufen los und gilt auch bei Gesprächen mit Freunden und Bekannten.
Hände schütteln reicht vollkommen aus: Körperkontakt mit (beinahe) Fremden ist Schotten eher unangenehm. Es reicht, sich die Hand zu geben und dabei entspannt »How do you do« zu sagen. Umarmungen sind nicht besonders beliebt, bevor man sich gut kennt.
Mit direkten Äußerungen zurückhalten: Schotten sprechen eher selten Klartext. Was sie wirklich sagen wollen, verstecken sie häufig hinter höflichen, indirekten Aussagen. Ton und Gesichtsausdruck können Ihnen aber dabei helfen, zu verstehen, was sie wirklich sagen wollen.
Augenkontakt halten: Schotten wissen es zu schätzen, wenn man beim Sprechen Augenkontakt hält und nicht in der Gegend herumschaut.
Pünktlichkeit ist ein großer Pluspunkt: Pünktlich zu sein ist in Schottland eine Frage des Anstands und Respekts. Geben Sie sich also Mühe, zur verabredeten Zeit vor Ort zu sein oder informieren Sie die andere Person rechtzeitig.
Vordrängeln ist ein Tabu: Briten sind im Allgemeinen sehr geduldig, wenn es darum geht, in Schlangen anzustehen und zu warten. Wer sich vordrängelt, begeht schon beinahe ein Sakrileg. Warten hingegen ist für die Schotten ein weiteres Zeichen von Respekt.
Trinkgeld ist fast überall gerne gesehen: In Restaurants und Cafés werden üblicherweise zehn bis 15 Prozent Trinkgeld erwartet. In Pubs bestellt man in der Regel an der Bar, weshalb das Trinkgeld entfällt.
4
EINEN CAPPUCCINO MIT SOJAMILCH, BITTE!
DIE TIEFE BOTSCHAFT HINTER EINER TASSE TEE
Ihren ersten Samstagabend in Inverness verbringt Franziska mit ihrer niederländischen Mitbewohnerin Liesbeth und ihrem bunt gemischten Freundeskreis aus aller Welt im Hootananny, einem gemütlichen, rappelvollen Pub mit Livemusik in der Innenstadt. Neben einem Argentinier lernt sie dabei auch einen jungen Ingenieur aus Israel, eine Spanierin und einen Hubschrauberpiloten aus England kennen. Als es zur last round läutet, brechen Liesbeth und Franziska auf, um noch ein Taxi zu erwischen, bevor die Massen gleich auf die Straßen strömen. An ihrer Zimmertür findet Franziska einen Zettel in kaum leserlicher Handschrift von Paul vor, auf dem gerade so »sunday roast @ my mom’s« zu entziffern ist. Sie nimmt den Zettel mit ins Zimmer und beschließt, Paul erst morgen danach zu fragen. Aus seinem Zimmer kann sie die Stimme eines Mädchens hören und vermutet, dass Pauls Freundin Judy bei ihm ist.
Und tatsächlich: Am nächsten Morgen sitzt ein zierliches, sehr hübsches Mädchen mit langen dunkelblonden Haaren am Tisch und streckt ihr fröhlich die Hand entgegen. »Hi, ich bin Judy.« Sie greift schon zur Teekanne und einer frischen Tasse, als Franziska dankend abwinkt und sich einen Instant-Cappuccino zusammenrührt. Es gibt noch warme scones und Toast, aber Judy warnt gut gelaunt: »Lass auf jeden Fall noch Platz im Bauch. Pauls Mum kocht immer viel zu viel – und es schmeckt soooo gut.« Genießerisch verdreht sie die Augen und schiebt sich den letzten Bissen ihres scone mit Erdbeermarmelade in den Mund. Wie dieses schlanke Mädchen plant, auch noch die versprochenen Essensmengen zu verdrücken, ist Franziska jetzt schon ein Rätsel.
»Ist das Sonntagsessen eine Familientradition?«, fragt sie zögernd.
»Ja, Pauls Mum lädt die WG gerne am Sonntag zum Essen ein. Damit wir alle was Ordentliches in den Bauch bekommen.« Sie zwinkert schelmisch und beißt krachend von einer frischen Scheibe Toast ab. »Sie leitet ein B&B draußen in Culloden. Dort wird’s dir bestimmt gefallen.«
Nach und nach schlurfen auch die anderen WG-Mitglieder in die Küche. Während man Liesbeth die Pints von gestern Abend ansieht, sehen Paul und Fiona beide aus wie das blühende Leben. Pauls frisch geduschte gute Laune ist fast ein bisschen anstrengend, als er sie alle in der Manier eines fürsorglichen Familienvaters zur Eile antreibt und dann in sein Auto verfrachtet – Judy noch immer mit einem Toast in der Hand, von dem Franziska nicht weiß, ob es noch dasselbe ist oder schon wieder ein frisches. Dem alten Mercedes jedenfalls tun die Krümel nichts an; er könnte mal wieder eine gründliche Innenreinigung vertragen, wie Franziska findet.
Das B&B von Pauls Mutter ist genauso, wie man sich ein schottisches bed and breakfast vorstellt: ein kleines Cottage mit einem neuen, langgezogenen Anbau einschließlich Wintergarten und Terrasse, innen plüschig-kitschig eingerichtet, die Regale und Vitrinen voller Familienfotos, auf denen die Männer Kilts tragen und die Frauen elegante Kleider mit einem über die Schulter geschwungenen Schal in den Farben der Kilts. Kissen mit Spitzen und Rüschen liegen dekorativ auf sämtlichen Sitzgelegenheiten, und großformatige Fotos von den Highlands an den Wänden fehlen natürlich ebenfalls nicht. Fasziniert sieht sich Franziska um, während Pauls Mutter Jenny fürsorglich um ihre Gäste herumwirbelt, hier ein »dear« verteilt, dort ein »lovely«