Fettnäpfchenführer Brasilien. Nina Büttner
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Die PT wird als erste wirkliche Partei angesehen, die aus einer gesellschaftlichen Bewegung hervorgegangen ist. Nämlich aus den gewerkschaftlichen Protesten gegen die Militärdiktatur seit den 1970er-Jahren und der Vertretung der Interessen der Armen – besonders aus dem Nordosten – seit dem Demokratisierungsprozess, der in der Mitte der 1980er-Jahre seinen Anfang nahm. Die konservativen Parteien wie PSDB und PMDB sind weniger ideologisch profiliert, sie setzen besonders auf Persönlichkeiten, die Unterstützung durch evangelikale Kirchen und ein Netz aus einflussreichen Unterstützern aus Industrie und Landwirtschaft. Davon sind die brasilianischen Wähler in den 90ern bitter enttäuscht worden.
Als es 2003 der Gewerkschafter Luis Inácio »Lula« da Silva schaffte, der erste Präsident aus der Arbeiterpartei zu werden, war der Jubel unter Brasiliens armer Bevölkerung groß. Das Großkapital zog sich entgegen vieler düsterer Szenarien nicht zurück, es kamen erste Sozialleistungen und sozialer Wohnungsbau. Der Mindestlohn stieg in Lulas zwei Amtszeiten um 65 Prozent, Millionen schafften den Sprung von der Armut in die untere Mittelschicht. Dilma Rousseff, seine Nachfolgerin, profitierte von seinen Erfolgen, gelangte wegen ihrer liberaleren Haltung allerdings auch in Misskredit bei den linken Bewegungen. Im Juni 2013 brach unter ihrer Präsidentschaft eine breite Protestwelle aus, die Brasilien zuletzt 1992, im Zuge des Amtsenthebungsverfahrens Fernando Collors, gesehen hatte. Die Kritik an den ständig steigenden Preisen für öffentlichen Nahverkehr wirkte wie ein Ventil, und schnell wurde die Unzufriedenheit über die hohen Ausgaben für WM und Olympische Spiele und die knappen Mittel für Gesundheit und Bildung laut sowie über Polizeigewalt und Korruption. Die Proteste schlugen wie ein Blitz ein und erreichten insgesamt eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Ab Ende 2014 schlitterte Brasilien in eine schwere Rezession, begleitet von hoher Inflation und Arbeitslosigkeit, auch als Auswirkung einer weltweit getrübten wirtschaftlichen Stimmung. So war Dilmas Wiederwahl 2014 bereits knapp ausgefallen. Durch die Enthüllungen von Lava-Jato wurde klar, dass die Elite fast aller Parteien in Korruption verstrickt ist, und die Panama Papers schädigten vor allem die Konservativen, allen voran den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses Eduardo Cunha – also ausgerechnet den Mann, der an vorderster Front Dilma Rousseff mit dem Argument der Korruptionsbekämpfung absetzen wollte.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Linda hat sich im Portugiesischen versucht und musste feststellen, dass ihr der Unterricht in europäischem Portugiesisch nicht besonders viel gebracht hat: das Wort propina bedeutete für sie bis gerade einfach Schulgeld. In Brasilien meint man damit aber Schmiergeld! Ihre Gastgeber könnten verstanden haben, Linda glaube, sie seien in den Schulstreik mit Schmiergeldzahlungen involviert, was natürlich eine kühne Behauptung wäre. Das Personalpronomen tu wird – außer im Süden und in einigen Teilen des Nordostens des Landes – fast gar nicht mehr gebraucht. Da traut sie sich ja gar nichts mehr zu sagen!
Mit dem Wasserspender hat Linda eine unangenehme Bekanntschaft gemacht: Patrícia wollte ihr etwas Gutes tun und hat den blauen Hahn angezapft, aus dem gekühltes Wasser kommt. Für mitteleuropäische Gewohnheiten führt das eher zu Bauchkrämpfen und Mandelentzündung als zu einem Gefühl der Abkühlung.
Was können Sie besser machen?
Wenn Sie keinen Lehrer für brasilianisches Portugiesisch finden, lassen Sie sich von Ihrem portugiesischen Lehrer erklären, welche Formen in Brasilien anders sind oder gar nicht gebraucht werden. Die Aussprache dagegen können Sie tatsächlich erst in Brasilien kennenlernen. So fremd sie anfangs klingt, sie beruht doch nur auf wenigen Regeln, und es gibt selten Ausnahmen.
Wasserspender verfügen in der Regel über zwei Hähne: einen blauen für kaltes und einen weißen für zimmertemperiertes Wasser. Da können Sie sich mit der Zeit ihre Mischung optimieren, denn allein Zimmertemperatur kann zuweilen tatsächlich sehr warm sein. Wenn es keinen derartigen Wasserspender im Haushalt gibt, ist der Wasserhahn oft mit einem Filter ausgestattet, der das Wasser von Partikeln, Bakterien und Chlor befreit. Wenn auch ein solcher Filter nicht aufzufinden ist, kann es ratsam sein, das Leitungswasser vor dem Trinken abzukochen, da es viele Bakterien enthalten kann oder immerhin solche, die ein europäischer Magen nicht kennt. Die Wasserqualität kann von Ort zu Ort sehr variieren – auf der monatlichen Rechnung stehen normalerweise die Chlor- und Bakterienwerte zur Orientierung. Die Wasserspender sind besonders in Haushalten der Mittelschicht anzutreffen – selbst dann, wenn bekannt ist, dass das Leitungswasser eine gute Qualität hat. Die Wasserkanister, die in den Spender gehängt werden, können Sie telefonisch bestellen. In den meisten Familien hängt ein Magnet mit der Telefonnummer des nächsten Wasserlieferanten am Kühlschrank, unweit vom Magneten mit dem Namen des Gasflaschenlieferanten, da beide regelmäßig als Werbung im Briefkasten liegen. Auch im öffentlichen Raum (in Schulen, Universitäten, Museen usw.) gibt es häufig Wasserspender, die bebedouros genannt werden. Zu ihnen muss man sich herunterbeugen, einen Hebel betätigen, dann spritzt das Wasser nach oben. Das ist eher für Fortgeschrittene gedacht, da einem das Wasser häufiger das ganze Gesicht bespritzt, als dass es den Weg in den Mund findet.
HINTERLASSENSCHAFT DER FUSSBALL-WM 2014 UND DER OLYMPISCHEN SPIELE 2016
Sie waren teuer und haben so viel Sinnvolles wie Sinnloses hinterlassen. Die Einstellung der Bevölkerung zur WM ist vor allem negativ geprägt. Es wurden Millionen für unnötige Stadien versenkt – die zum Teil schon wieder sanierungsbedürftig sind –, und die herbe Niederlage des brasilianischen Nationalteams hat sicherlich ihr Übriges für einen Tiefpunkt der patriotischen Stimmung getan.
Für Rio de Janeiro haben die Olympischen Spiele dazu beigetragen, dass einige schon seit Jahrzehnten geplante Städtebaumaßnahmen endlich durchgeführt wurden – etwa Schnellbusse in der unterversorgten Westzone der Stadt. Diese hat auch endlich einen ersten Anschluss an das Metrosystem bekommen. Auf der anderen Seite wurde eine Favela gewaltsam geräumt, um dem Olympischen Park Platz zu machen, es wurde nicht geschafft, die Bucht von Guanabara von Abwässern und Abfällen zu befreien, Naturschutzgebiete wurden zur Bebauung freigegeben und ein Teil der wunderschönen neuen Fahrradspur, die auf Säulen die Küste entlang führt, stürzte nach nur drei Monaten ein.
4
LINDA MUSS MAL
WARUM EIN KLO NIEMALSALLEINE DASTEHT
Den ersten Abend bei ihrer Gastfamilie hat sie schon einmal gut überstanden, denkt sich Linda beim Aufwachen. Als sie noch kaum zu Ende gedacht hat, muss sie niesen. Das ist aber auch ein Wind hier! Moment mal, wieso Wind? Linda blinzelt und schaut sich um. Eine starke Bö bringt ihre Augen zum Tränen. Da steht er, der Übeltäter: ein voll aufgedrehter Ventilator. Kein Wunder, dass sie durchgefroren und verschnupft ist. Wie kommt der denn auf einmal dahin? Missmutig steht Linda auf, schaltet das Monstrum ab und legt sich wieder hin, diesmal zieht sie die Decke fest bis hoch zur Nase. Was jetzt so richtig aufwärmt, wäre eine heiße Dusche. Sie nimmt das Handtuch, dass Patrícia ihr gleich bei der Ankunft hingelegt hat, geht ins Bad und stellt die Dusche an. Aua! War das ein Stromschlag? Mit dem Handtuch um die Hand gewickelt wagt sie sich noch einmal an den Hahn, diesmal bekommt sie keinen Schlag, dafür aber eine Fuhre kaltes Wasser auf den Kopf. Sie könnte heulen. Stattdessen hält sie tapfer durch, seift sich so schnell wie möglich ein, stellt sich noch einmal unter das kalte Wasser, trocknet sich gut ab und schlüpft in den einzigen Wollpulli, den sie mitgenommen hat.
»Ausgeschlafen?«,