Fettnäpfchenführer Italien. Sandro Mattioli
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Читать онлайн книгу Fettnäpfchenführer Italien - Sandro Mattioli страница 6
»Dio mio, wer soll denn das alles essen!«, rief sie aus.
»Na wir«, sagte Franziska, »wer denn sonst.«
»Ich glaube, da muss ich dich enttäuschen«, sagte Giulia und versuchte zu lächeln. Es gelang ihr nicht und sah gequält aus.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Italiener sind ein reichhaltiges Frühstück nicht gewöhnt. Viele nehmen morgens nur einen Espresso zu sich und vielleicht etwas Obst. Das Durchschnittsfrühstück besteht aus einem Cappuccino und einem Cornetto, einem eher kleinen Croissant, das mit Nutella, Marmelade oder Honig gefüllt ist. Will man in der Bar ein Cornetto ohne alles, bestellt man ein »cornetto semplice«. In den vergangenen Jahren finden sich auch öfter Vollkornhörnchen in den Vitrinen der Bars.
Wenn zu Hause gefrühstückt wird, werden häufig biscotti, also Kekse, gegessen. Die gibt es in Kilopackungen in jedem Supermarkt. Viele Italiener gehen aber nüchtern aus dem Haus und frühstücken in der Bar. Und damit das so bleibt, halten die Barista den Preis dafür niedrig: Meist kosten ein Cappuccino und ein Cornetto nicht mehr als drei Euro. Italiener sehen den Espressopreis aber trotzdem als hoch an, selbst wenn ihr Caffè weniger als einen Euro kostet.
Erstaunlich ist, dass es in italienischen Supermärkten auch Cornetti aus der Fabrik gibt. Sie sind einzeln in Plastiktüten verpackt. Oder besser, erstaunlich ist, dass diese gekauft werden: Sie sind oft viel zu weich, schmecken nach Gummi und sind gewiss wenig gesund.
Was können Sie besser machen?
Grundsätzlich war Franziskas Gedanke, ihre Mitbewohnerin einzuladen, goldrichtig. Denn was in Italien gar nicht gut ankommt, ist etwa ein Abendessen oder ein Brunch unter Freunden zu organisieren und dann die Kosten umzulegen. Will man nicht die komplette Gruppe verköstigen, kann man die einzelnen Zutaten vorher aufteilen und mitbringen lassen, das geht völlig in Ordnung. Am besten aber laden Sie die Menschen, die Ihnen wirklich etwas bedeuten, zu einem guten Essen ein. Das zählt mehr.
4
WIE FRANZISKA SICH PLÖTZLICH EXTREM BEGEHRT FÜHLT
REDEN IST SILBER, SCHWEIGEN IST GOLD, WENN MAN ANGEMACHT WIRD
Franziska war wie erschlagen. Rom bot eine Riesenauswahl, was man tun kann: Die wunderbare Deckenbemalung von Sant’Ignazio anschauen, doch lieber die Kunstgalerie in der Villa Borghese, die kleine tolle Kirche Santa Maria della Vittoria mit der zu lüstern geratenen Heiligen Theresa des Bildhauers Bernini oder doch das Kolosseum von innen? Es war das große Problem, das Rom mit sich brachte: Man musste wählen. Tagtäglich. Nehme ich den Kaffee in dieser Bar oder doch lieber da drüben? Fahre ich mit dem Bus und weiß nicht, wann er kommt oder nehme ich die Metro, die einen Fußweg mit sich bringt, dafür aber auch alle paar Minuten fährt? Franziska wusste zwar sehr wohl, dass jede Großstadt ein Überangebot mit sich brachte, doch hier war es ihr anschaulich geworden.
Die ganz großen Touristenattraktionen hatte sie gleich an den ersten Tagen abgeklappert. Franziska beschloss, auf ihren Bauch zu hören, der schwer war, da quasi mit einem doppelten Frühstück gefüllt. Sie hatte ja für Giulia mitessen müssen. Ihr Bauch sagte Bewegung. Mit einem Stadtspaziergang wollte Franziska wenigstens ein paar Kalorien wieder loswerden.
Die ersten wichtigen Aufgaben hatte sie in den vergangenen Tagen bereits hinter sich gebracht: die Aufenthaltserlaubnis, der permesso di soggiorno, war eingeholt (selbstverständlich mit Nummernziehen), sie war immatrikuliert und hatte auch ihre Wohngegend bereits erkundet. Franziska hatte immer gedacht, dass Deutschland ein durchbürokratisiertes Land sei. In Italien hatte sie erfahren, dass Bürokratie im Verbund mit Arbeitsunlust und Unorganisiertheit erst die wahre Herausforderung ist. Sie konnte sich also etwas Müßiggang leisten.
Die Sonne erfüllte die Stadt vor dem Fenster mit einem magischen Herbstlicht, es war warm, aber nicht so heiß wie noch vor einigen Tagen, ein traumhafter Septembertag. Franziska hätte sogar ans Meer fahren könne, wollte aber lieber ihre neue, temporäre Heimat besser kennenlernen. Und immerhin waren es bis zum Meer rund dreißig Kilometer. Sie zog den knielangen grünen Rock an, den sie kürzlich auf dem Gebrauchtkleidermarkt in der Via Sannio unweit ihrer Wohnung erstanden hatte, schulterte ihren Rucksack und zog die Tür hinter sich zu.
San Giovanni in Laterano war einst die wichtigste Kirche in Rom, damals, als der Papst noch nicht im Vatikan wohnte und arbeitete. Franziska ging aber, ohne sie sonderlich zu beachten, an dem großen weißen Portal vorüber, und auch der Obelisk auf der Piazza davor war ihr egal. Formal war San Giovanni in Laterano zwar immer noch die wichtigste Kirche, in der Wahrnehmung der Menschen hatte sie diese Rolle aber an den Petersdom verloren. Als sie über die Via dei Fori Imperiali schlenderte, die wie das Rollfeld eines Flughafens auf das heutige Stadt- und Staatszentrum zuführte, fragte sie sich, wie früher wohl so ein Riesenreich wie das Römische funktioniert hat. Hier unter ihr, auf diesem Platz, soll die Entwicklung dieses immensen Staates gesteuert worden sein? Hier zwischen diesen Steinen soll bestimmt worden sein, was im fernen Afrika zu passieren hat? Der Gedanke schien ihr absurd, zumal es damals kein Telefon gab, keine E-Mail, überhaupt kein schnelles Kommunikationsmittel. Und dort, an diesem unscheinbaren Klotz, inmitten der anderen Steine des Forum, wo früher der Senat stand und heute Touristen Handyfotos schießen und telefonieren, dort soll Caesar umgebracht worden sein? (An ihrem dritten Tag hatte Franziska das Kolosseum umrundet und das Forum besichtigt und sich über die roten Rosen gewundert, die dort lagen. Später belauschte sie eine englische Reiseführerin und erfuhr den Grund dafür.)
Es war in gewisser Weise ein herrschaftlicher Spaziergang. Vom antiken Machtzentrum führte sie ihr Weg zu der wunderschönen, von Michelangelo gestalteten Piazza Campidoglio auf dem Kapitol, die sie bereits vom italienischen Fünfzig-Cent-Stück kannte. Im Rathaus, das die Piazza dominierte, mühte sich die Stadtregierung, die ewige Stadt in den Griff zu bekommen, eine Stadt mit störrischen Bürgern und einer Vielzahl von Zuwanderern, wie viele, das wusste niemand so genau. Franziska wurde klar, dass sie nun zum ersten Mal in ihrem Leben auch eine Zuwanderin war, obgleich auch nur temporär. Sie ging die breite Treppe hinab und hörte zunehmend den Lärm der Piazza Venezia. Wo jetzt der Verkehr toste, tobten einst die Massen, wenn Benito Mussolini auf dem Balkon seines Palastes Reden hielt. Im Palazzo Venezia hatten die Faschisten ihr Hauptquartier. Nun logiert in den Räumen ein Kunstmuseum, aber Franziska hatte von Mara, einer Kommilitonin, gelernt, was es heißt, sich »unter dem Balkon« zu treffen. Gemeint war damit »unter dem Balkon des Duce«, ein noch immer geläufiger Ausdruck, auch für politisch Linksgerichtete wie es Mara eine war.
Ein weiterer Palazzo, ein weiterer Herrscher. Franziska kam am Palazzo Chigi vorbei, dem Amtssitz des Premierministers. Schließlich landete sie auf der Piazza Colonna und damit vor dem Parlament, das in Italien immer wieder für eine bunte Mischung gut ist: Die Enkelin von Benito Mussolini, Alessandra Mussolini, eine rechtsextreme Politikerin, war hier tätig, bevor sie Senatorin wurde; sie ist übrigens auch die Nichte von Sophia Loren. Außerdem wirkten hier die Ex-Pornodarstellerin Ilona Staller, dazu Vladimir Luxuria, ein Transsexueller. Behinderte haben es jedoch schwer, aber immerhin ist im Jahr 2008 eine Frau im Rollstuhl ins Parlament gewählt worden, die erste behinderte Abgeordnete in Italien überhaupt. Eine Wahlrechtsreform hat leider nichts an diesem