Fettnäpfchenführer Korea. Jan-Rolf Janowski
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Nico greift zu seiner Geldbörse und holt seine ersten Won heraus. Fasziniert betrachtet er das Geld mit den vielen Nullen, das er sich jetzt zum ersten Mal in Ruhe anschaut. Der gelbe Schein, mit 50.000 Won mehr als eine Nacht im Motel wert, zeigt eine strenge Dame mit ausgefallenem Haarknoten. Nicht gerade K-Pop-sexy. Der grüne Schein, der 10.000er: alter Mann drauf. Der braune, der 5.000er: noch älterer Mann drauf und hinten seltsamer Gemüsegarten mit allerlei Getier. Und auf dem blauen, 1.000er dann, genau: noch ein alter Mann.
Die Münzen enttäuschen ebenfalls mit der Motivwahl: alter Mann, Kranich und Pagode.
Nach der nur kurzen Entdeckerfreude bemerkt Nico, dass er verdammt Durst hat. Er traut sich aber nicht, die Getränke aus der Minibar zu nehmen. Zweimal läuft er vorbei. Tür auf, Tür zu. Und noch einmal schaut er. Schaut genau, ob nicht irgendwo eine Preisliste für Getränke rumliegt wie in normalen Hotels. Aber sich nach dem langen Flug noch in einen Supermarkt zu werfen? Das wäre auch zu viel des Guten. Hin- und hergerissen überlegt er eine ganze Weile, die Kehle brennt immer mehr. Soll er vielleicht einfach das Leitungswasser trinken? Und warum stehen die Becher in einem Panzerschrank aus UV-Licht? Vielleicht wird ja damit das Wasser gereinigt, denn einen Wasserkocher kann er nirgends entdecken.
SHOPPINGPARADIES 24 – ÖFFNUNGSZEITEN
Kaufhäuser sind mit Ladenschluss um 19 oder 19:30 Uhr recht früh dran. Die meisten Supermärkte haben bis 22 oder 23 Uhr auf, die kleineren Kioske (bzw. »Convenience Stores«) sogar rund um die Uhr. Schnell muss hingegen sein, wer zu einer Bank möchte, denn diese machen oft bereits um 16:30 Uhr für den Publikumsverkehr zu.
Aigu! – Oh weh!
Es fing gut damit an, dass Nico einen Zettel mit der koreanischen Schreibweise seines Ziels dabei hatte, denn er wäre nicht der Erste gewesen, der nach Sinchon (»Neudorf«) gewollt hätte, aber in Sincheon (»Neuquell«) angekommen wäre, einem Wohnviertel am anderen Ende der Stadt. Weil das Problem mit ähnlichen Ortsnamen bzw. Aussprachen nicht nur Ausländern begegnet, wurde der Bahnhof Sincheon inzwischen sogar auf Druck der Bevölkerung umbenannt in Saenae, was auch »Neuquell« bedeutet, aber komplett anders klingt.
Nun aber zu den Fragen, die Nico sich kaum noch zu recherchieren traute – auf einige davon hätte er vermutlich auch im Netz auf die Schnelle keine Antwort gefunden. Der Reihe nach. Ja, man kann das Leitungswasser bedenkenlos trinken, wenn man nicht allzu empfindlich ist, es schmeckt nämlich extrem nach Chlor. Ansonsten ist es unbedenklich, auch wenn viele übervorsichtige Koreaner etwas anderes erzählen mögen. Jede Familie und jede öffentliche Institution hat eigene Wasserspender. Koreaner trinken meist auch in Deutschland kein Leitungswasser; das Gerücht hält sich unter Koreanern standhaft, dass Deutsche so viel Bier trinken, weil das Leitungswasser zu dreckig sei. Das führt dann im Umkehrschluss lustigerweise bei Deutschen zu dem Eindruck, dass das koreanische Leitungswasser extrem schmutzig sein muss – denn Koreaner trinken ja ums Verrecken kein Leitungswasser.
Bleiben wir beim Thema Flüssigkeiten. Bei der Minibar zurückhalten muss Nico sich nicht. Im Motel ist alles inklusive, sogar die Kekse, und niemand sagt etwas, wenn man auch noch das Feuerzeug, die Zahnbürste und alles andere mitgehen lässt. In besseren Motels findet man sogar oft noch eine kleine Snackbar mit Eis und Kaffee auf dem Flur. Dafür gibt es kein Frühstück, aber die meisten Gäste sind ja nur ein paar Stunden da und wollen bei ihrem persönlichen »walk of shame« nicht den anderen Gästen im Frühstücksraum begegnen …
Hätte Nico noch ein bisschen genauer geguckt, hätte er sogar kleine Pins oder Speisekarten von Lieferservices entdecken können, die ihm frittiertes Hühnchen und andere Leckereien inklusive Getränke bis aufs Zimmer geliefert hätten. Und dass die Becher ultraviolett angestrahlt in einer Art Brutkasten ruhen, hat tatsächlich hygienische Gründe; das hält die Gläser trotz Mehrfachbenutzung zuverlässig steril und ermöglicht ungetrübten Trinkgenuss – wenn man sich denn mal trauen würde, den Brutkasten auch zu öffnen.
Ach so, dass die Damen komisch reagierten, als Nico sie nach einem Motel fragte, ist vielleicht jetzt auch verständlicher. Oder wie würden Sie reagieren, wenn Sie jemand fragt, ob Sie einen Ort kennen, an dem man in Ruhe die Briefmarkensammlung durchblättern kann? Kein Koreaner würde einen ausländischen Gast in einem Motel unterbringen, obwohl es tatsächlich die unkomplizierteste Art des Reisens ist, auf diese überall massenhaft anzutreffenden, oft strategisch günstig in Nähe des Haupt(bus)bahnhofs gelegenen Herbergen zurückzugreifen. Ohne vorher zu reservieren, kann man in Korea zu jeder Tages- und Nachtzeit eine moderne Unterkunft mit Internet und TV für um die 30 Euro finden. Wenn das kein Argument für das Motel ist. Natürlich nur, wenn man das Kopfkino ausschalten kann, was die Aktivitäten der Vorbenutzer angeht. Aber mal im Ernst: Wissen Sie, was in Ihrem schicken Hotelzimmer vorher schon für Orgien gefeiert wurden?
4
IM MOTEL II
NICO CHECKT DAS AUSCHECKEN NICHT
Nur weil die Elster von außen schwarz ist, muss sie von innen nicht auch schwarz sein
Um die Spannung zu nehmen: Ja, Nico hat sich tatsächlich durchgerungen, sich an der Minibar zu bedienen. Eine kleine Dose, die ein Erfrischungsgetränk vermuten ließ, deren Inhalt Nicos Gaumen zufolge aber nach abgestandenem, gezuckertem Abwaschwasser schmeckte.
Ob es nun an diesem unschönen ersten Erlebnis liegt oder doch eher am Jetlag, für Nico beginnt dieser Tag eins jedenfalls schon morgens um fünf, als er nach kurzem Schlaf senkrecht im Bett steht. Da er nicht wieder einschlafen kann, macht er, was Menschen in seinem Alter nun einmal tun: den Fernseher an. 150 Kanäle. Lauter bunte Leute, die wild lachen oder verrückte Spiele spielen. Da ist er, der berühmte »Starcraft«-Sender! Und noch einer! Die spielen tatsächlich Videospiele mit Live-Kommentar, diese verrückten Koreaner! Wusste er es doch. Nico fühlt sich ein wenig wie damals in Paris, als er dem ersten Franzosen mit einem Baguette unterm Arm begegnete. Er zappt weiter: Angeln, Go-Spiel, ja, es gibt offensichtlich sogar einen Kanal für traditionelle Handarbeit. Das schmälert natürlich die Besonderheit des »Starcraft«-Kanals. Da er im Fernsehen aber außer einem Haufen amerikanischer TV-Serien mit Untertiteln, die er sowieso schon kennt, so ziemlich gar nichts versteht, beschließt er, mutig zu sein und sich raus aus dem Zimmerdschungel, rein in den Großstadtdschungel zu wagen. »Rein ins echte Leben«, wie sein Papa ihm immer auftrug.
DIE MEISTER DES »STARCRAFT«
Trotz des sehr realen Siegs gegen Deutschland 2018 wissen die Koreaner: In der virtuellen Welt kommen die Talente der Nation zum Tragen und nicht auf dem grünen Rasen. Onlinegamer rund um den Globus erstarren bei internationalen Turnieren in Ehrfurcht, wenn die mit hoch dotierten Sponsorenverträgen ausgestatteten südkoreanischen Gamer die Bühne betreten. In Seoul gibt es eigene Stadien nur für professionelle Computerspieler, die sogenannten gosu (Trommler – das heißt die, die den anderen richtig einheizen kann und den Ton angeben), während die meisten ausländischen Hobbysportler nur chobo (Anfänger) sind. Nachdem der Boom vor inzwischen 20 Jahren mit »Starcraft« begann, hat sich die koreanische Dominanz inzwischen auch auf andere Bereiche des E-Sports ausgeweitet. Die Neymars, Ronaldos und Mbappés der Onlinewelt sind allesamt Koreaner, auch wenn das Geld im Markt inzwischen aus China kommt.
Allzu abenteuerlustig will Nico nun doch nicht gleich sein, nur nicht verlaufen im asiatischen Chaos: Eine Kollegin, Jane Roh, will ihn schließlich bereits um zehn Uhr abholen und dann mit ihm zusammen ins Büro fahren. So viel Zeit hat er also nicht mehr.