Menschen, die Geschichte schrieben. Группа авторов
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Menschen, die Geschichte schrieben - Группа авторов страница 11
Mittlerweile formten sich in Frankreich jene Legenden bildenden Kräfte, die die Chanson de Roland, Karls Pilgerfahrt nach Jerusalem oder den Pseudo-Turpin hervorbringen sollten. Der hl. Jakobus erschien hier Karl im Traum: „Ich wundere mich über die Maßen, dass du mein Land noch nicht von den Sarazenen befreit hast […]. Darum tue ich dir kund: dass der Herr, so wie er dich zum mächtigsten der irdischen Könige machte, dich vor allen anderen auserwählt hat, meine Straße [das ist den Pilgerweg nach Santiago!] zu bereiten […] und dir so die Krone des ewigen Lebens bereitzuhalten. Die Sternenstraße, die du am Himmel gesehen hast, bedeutet, dass du mit Heeresmacht zum Kampf gegen die Ungläubigen zur Befreiung meiner Straße und meiner Erde und zum Besuch meiner Kirche und meines Grabes […] nach Galicien ziehen sollst. Und nach dir werden alle Völker, von Meer zu Meer, wandernd und Vergebung ihrer Sünden vom Herrn erflehend, dorthin ziehen.“20 Karl folgte den Weisungen des Apostels, wurde der Befreier des Jakobusgrabes und der erste Pilger nach Santiago. So verbreitete es der Pseudo-Turpin; und so wurde Karl zum gottgesegneten Weggefährten der Pilger.
Derartigen Stoff griff Friedrich Barbarossa auf und betrieb, wie er festhalten ließ, „auf inständige Bitten [seines] lieben Freundes, des Königs Heinrich von England, und mit Zustimmung und kraft der Autorität des Papstes Paschalis die Auffindung, Erhebung und Heiligsprechung der Gebeine Karls des Großen“.21 Ein krasserer Unterschied als zwischen den Handlungsmotiven Ottos III. im apokalyptischen Jahr 1000 und eines Friedrich Barbarossa in dem von einem Papstschisma gezeichneten Jahr 1165 lässt sich kaum denken. Der Kaiser protegierte einen Gegenpapst, die übrigen Könige Europas – mit Ausnahme des dänischen –, auch Heinrich II. von England, anerkannten den von der Mehrheit der Kardinäle gewählten Alexander III. Der Rotbart, im Westen nun als Tyrann und „Vorläufer des Antichristen“ tituliert,22 hoffte, den englischen König, mit seinem französischen Kollegen und Lehnsherrn verfeindet, auf seine Seite herüberziehen zu können.
Gesten der Freundschaft und des Entgegenkommens waren da gefragt. Die Heiligsprechung Karls des Großen war eine von ihnen. Sie stützte sich auf den im Westen und im Umfeld des französischen Königtums wieder erstarkenden Karlsmythos, dem sie nun den Heiligen an die Seite stellte. Papst Paschal III., das kaiserliche Geschöpf, sanktionierte sie. Sie galt dem „starken Kämpfer für die Verbreitung des Christenglaubens und die Bekehrung der Barbaren, dem wahren Apostel“, wie eine Kaiserurkunde für Aachen festhielt: die Bekehrung nämlich Sachsens, Frieslands, Westphalens, auch der Spanier und Basken mit Predigt und Schwert; das Letzte erinnerte natürlich an den Komplex um Karls Paladin Roland. Die politische Realität folgte dem kulturellen Gedächtnis, wie es die Lieder verbreiteten. Karls täglicher Wille, für die Bekehrung der Ungläubigen den Tod zu erleiden, hätte ihn zum Märtyrer gemacht. Betrieben aber wurde die Heiligsprechung nicht zuletzt „zur Stärkung des Römischen Reiches“.23 Das Ergebnis war – das verrät die ungewöhnliche und höchst brisante Intervention des englischen Königs – ein unverhohlener Affront gegen den französischen Lehnsherrn dieses Königs, vielleicht gar eine versteckte Drohgebärde gegen denselben und auf jeden Fall eine politische Demonstration im Gewand eines Heiligenkultes. Derselbe vermochte sich von diesem Makel nie recht zu befreien.
Zu Kultzwecken bedurfte es einer Heiligen-Vita. Friedrich gab auch sie in Auftrag. Der Aachener Kanoniker, der sich der Sache annahm, mühte sich redlich, der Überlieferung geeignetes Material zu entnehmen. Einhards höchst profanes Karlsleben lieferte bloß einen äußeren Rahmen. Pseudo-Turpin indessen, die legendäre Jerusalemfahrt und die Reliquienbeschreibung aus Saint-Denis boten reichlich Stoff. Aus diesen Schriften komponierte er sein Werk. Es geriet mehr zu einer akademischen Übung denn zu einem Zeugnis literarischer Gestaltungsgabe, königlicher oder volkstümlicher Frömmigkeit. Große Wirkung blieb dieser Biografie versagt. Weite Verbreitung fand sie ebenso wenig. Volkssprachliche Versionen sind unbekannt. Gleichwohl, Karl trat nun nicht nur als Glaubensbringer, sondern als Wundertäter und Heiliger in Erscheinung.
Allein in Aachen, und in Frankfurt, etablierte sich der Kult rasch und dauerhaft. „Du warst Licht und Edelstein der Kirche Christi, Karl, Blüte der Könige, Zierde des Erdkreises und Gleisspur der Gesetze“ verkündete der Karlsschrein im Aachener Münster zu Beginn des 13. Jahrhunderts:
ECCLESIE CHRISTI TU LUX TU GEMMA FUISTI KAROLE FLOS REGUM DECUS ORBIS ET ORBITA LEGUM.
Andernorts bedurfte es des Friedens von Venedig (1177), mit dem sich der Rotbart Papst Alexander III. unterwarf, um Karls Heiligkeit ein wenig heller auf leuchten zu lassen. Der englische König hatte, entgegen den Hoffnungen des Kaisers, den rechtmäßigen Papst weder verlassen noch den Kult des neuen Heiligen, um dessen Erhebung er so eindringlich gebeten haben soll, eigens gefordert.
Nicht einmal das staufische Königshaus selbst verehrte den hl. Karl den Großen in besonderer Weise, obgleich Friedrich I. Aachen seinetwegen mit reichen Gaben bedachte und sein gleichnamiger Enkel im Jahr 1215 den letzten, noch fehlenden Nagel in den Aachener Karlsschrein trieb und diesen damit seiner Bestimmung übergab. Doch hatte der junge König auffallenderweise an der vorausgegangenen Translation nicht teilgenommen. So hallten diese Hammerschläge als eine weithin schallende Geste der Aneignung des anspruchsschweren Kleinods durch das Aachener Münster. Sie sollten vor allem das Ohr von Friedrichs Gegner, Kaiser Otto IV., treffen, der vom nahen Köln aus ohnmächtig zusehen und den jugendlichen Staufer in Aachen gewähren lassen musste, obwohl Otto den kostbaren Schrein maßgeblich mitfinanziert haben dürfte. Abermals begnügte sich der Staufer mit einer bloßen Propagandaaktion ohne tieferes religiöses Bedürfnis und ohne kultgeschichtliche Konsequenzen.
Ein volkstümlicher Heiliger wurde Karl auf diese Weise nie – ganz im Unterschied zu der profanen Heroen- und Sagengestalt, als die er weithin im Gedächtnis der Schulmeister und des Volkes lebte. 1233 erhielt immerhin das Stift St. Felix und Regula in Zürich einige Karlsreliquien, worauf sich auch dort ein bescheidener Kult ausbreitete. Allein den Sachsen, jedenfalls den Lateinkundigen unter ihnen, galt Karl als Glaubensbringer, als ihr Apostel, Saxonum apostolus, so wie ihn jetzt, im 13. Jahrhundert, die Halberstädter Bischofschronik24 auch der eine oder andere Hymnus in Erinnerung bringen sollten: Saxeae gentis apostolus.25 Mehrere Bistümer – neben Halberstadt Osnabrück, Paderborn, Münster, Minden und Hildesheim – verehrten ihn als (Mit-)Patron; in anderen verbreitete sich wenigstens der Kult, auch wenn Zeugnisse eines lebendigen Volksglaubens fehlen. So blieb es, bis die Reformation abermals neue Verhältnisse schuf.
Höchst zögerlich indessen wurde der Karlskult in Frankreich übernommen, obgleich dort im 12. Jahrhundert alles auf ihn zuzueilen schien. Barbarossas Aktion hatte schier unüberwindbare Dämme gegen ihn errichtet. Es bedurfte zweier Jahrhunderte, bevor der hl. Karl sich dort zu etablieren vermochte, dann freilich dauerhafter als im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Karl blieb im Westen noch lange der französisch-königliche Heros, ein großer, machtvoller Helfer und Förderer der Kirche zwar, eine „zweite Sonne“, doch kein Heiliger. Sein Tod habe den ganzen römischen Erdkreis in Trauer gestürzt. „Großer