Der Schützling. Dirk Koch

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Der Schützling - Dirk Koch

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– eine Politik der Annäherung betrieben, bei der es erst einmal um wirtschaftliche Hilfen aus dem Westen gegen Ostberliner Erleichterungen im deutsch-deutschen Reiseverkehr ging. Seit Helmut Schmidts Zeiten und später, nach dem Regierungswechsel zu Kohl, tauschten sich die beiden deutschen Regierungen streng vertraulich über Möglichkeiten einer großzügigen Finanzhilfe und einer weiteren deutsch-deutschen Annäherung bis hin zu einer Konföderation der beiden Staaten aus. Nicht außerhalb jeder Realität: Die Mauer hätte schon in den frühen 1980er-Jahren fallen können. Die Chance zerrann, auch wegen Kanter.

      Geheimprojekt »Zürcher Modell«. Jürgen Nitz, als DDR-Wirtschaftswissenschaftler in Ost-West-Kontakten eingesetzt, auch bei Gesprächen mit Vertretern des Bundeskanzleramts, umriss 1995 in einem Vortrag in Pankow, was unter diesem Code lief: »Der Büroleiter von CDU-Kanzleramtsminister Jenninger, Dr. Gundelach, schilderte retrospektiv das Vorhaben [vor einem Bundestagsuntersuchungsausschuss, D. K.] richtig: eine Art deutsch-deutscher Bank mit Sitz in der Schweiz; bei der sich die DDR so in einer Größenordnung von drei bis vier Milliarden DM hätte bedienen können, also im Sinne von Kreditgewährung; wenn es dafür im Gegenzug wirklich substantielle Verbesserungen im Bereich menschlicher Erleichterungen gegeben hätte; zum Beispiel das Rentnerreisealter um fünf Jahre zu senken und im Mindestaustausch für bundesdeutsche Besucher bei DDR-Reisen etwas zu tun. In die Bank sollte die milliardenschwere Kreditanstalt für Wiederaufbau eintreten, eine Finanzinstitution im Eigentum des Bundes, potent, um Milliarden für die DDR zu beschaffen.« Gundelach habe ferner erklärt: »Soweit ich weiß, hat Herr Jenninger auch den Bundeskanzler in der Regel mündlich informiert, vielleicht mal mit einem handgeschriebenen Blatt mit den entscheidenden Punkten.«

      Über ein vertrauliches Treffen in der Schweiz mit einem Abgesandten des Bundeskanzleramtes trug Nitz in Pankow weiter vor: »Wie sah Jenninger damals die Chancen? Ich zitiere aus meinem Stenogramm beim Gespräch in Zürich: ›Wenn die DDR zum freien Reiseverkehr übergehen will und dies anbietet, könnte sich der Kanzler dem nicht verschließen. Er müßte die Frage einer Grundgesetzänderung durch den Bundestag neu beantworten lassen. Der Kanzler würde sich nicht der Realisierung einer Position, der zufolge sich die Deutschen nach so langer Trennung an jedem beliebigen Ort wieder zusammenfinden könnten, entgegenstellen.« In jenem engen Beziehungsgeflecht Bonn/Ostberlin außerhalb von Protokoll und Propaganda hatte sich auch die Idee eines Staatenbundes der beiden Deutschlands nach voller völkerrechtlicher Anerkennung der DDR ergeben, einer deutschdeutschen Konföderation. Codename: »Länderspiel«. Der Preis, Fall der Mauer und Freizügigkeit, schien Honecker nicht unter allen Umständen zu hoch. Doch es war ein zähes Gezerre, auch in den jeweils eigenen Lagern zwischen Betonschädeln und Reformern. Die CDU/CSU tat sich schwer mit der finanziellen Rettung der DDR, die DDR tat sich schwer mit den geforderten menschlichen Erleichterungen, die Breschen in ihre Grenze zur BRD reißen würden.

      Beim Bonner Regierungswechsel hatte Kanzler Kohl vom Vorgänger Schmidt das deutsch-deutsche Geheimprojekt übernommen, ohne sich groß um das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes zu scheren. Einer seiner Beauftragten für den vertraulichen Draht zum DDR-Regime wurde Philipp Jenninger als Staatsminister im Kanzleramt. Der war aus alten Oppositionszeiten gut Freund mit diesem spendablen Flick-Manager Kanter, dem er sich auch weiterhin eng verbunden fühlte, als der bei Flick ausschied und sich in Bonn als Politikberater und Publizist selbstständig machte. Jenninger und Kanter trafen sich wiederholt in Kanters konspirativer Wohnung in der Konrad-Adenauer-Allee im Rheinstädtchen Andernach. Für Stasi-Mann »Fichtel« war es ein Leichtes, den ebenso vertrauens- wie redseligen Kohl-Vertrauten über den jeweiligen Stand der deutsch-deutschen Geheimgespräche auszuhorchen. So hatte Wolf, keineswegs der engagierte Reformer, als er sich nach der Wiedervereinigung ausgab, den Hardlinern in Moskau und Ostberlin stets frische Nachrichten über die deutsch-deutsche Affäre zu bieten und ihnen die Obstruktion zu erleichtern.

      Doch plötzlich, Andeutungen aus Ostberlin über die Flick-Schmierereien genügten, waren humanitäre Gegenleistungen der DDR nicht mehr nötig. Franz Josef Strauß und Helmut Kohl schoben, ohne Bedingungen, Erich Honecker zwei Milliarden D-Mark an Krediten hin. Einfach so? Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt schrieb nach einem Besuch im September 1983 beim DDR-Staatsratsvorsitzenden, der habe ihm erklärt, man sei an den Milliardenkredit »wie die Jungfrau zum Kind« gekommen. Oder vielleicht doch nicht in aller Unschuld? Sondern weil der SED-Chef so viel wusste vom Klassenfeind, dank Kanter, und sich »politische Rücksichtnahme« auf die geschmierten westdeutschen Politiker abkaufen ließ?

      VIERTES KAPITEL

       Der Brandenburger

       »Führung: sehr gut«: Frühe Werdejahre eines Topspions.

      »Mein Lebenslauf!

      Als Sohn der Eheleute Josef Kanter und Maria geborene Hartung, wurde ich am 27. März 1925 in Plaidt (Kreis Mayen) geboren. Nach der Volksschulzeit (8 Jahre Marienschule Andernach) absolvierte ich eine dreijährige kaufmännische Lehre bei der Pirma Photodrogerie Heinrich Neuhaus, Andernach, die durch den Besuch der Drogistenfachschule in Bonn ergänzt wurde. Im März 1942 legte ich mit Erfolg die Kaufmannsgehilfenprüfung ab. Vom 1. April 1942 bis zu meiner Einberufung im Juni 1943 war ich als kaufm. Angestellter bei der Pirma Eisen- und Hüttenwerke A.G. in Andernach. Nach einer zweijährigen Dienstzeit bei der ehem. Deutschen Wehrmacht, und einer dreimonatigen amerikanischen Gefangenschaft, wurde ich im Juli 1945 entlassen. Seit dem 3. März 1946 bin ich bei der Regierung Koblenz, Dezernat I. – Verkehr, angestellt. Adolf Kanter«

      Der kleine Parkplatz mitten in Plaidt, dort wo die Mühlenstraße auf die Hauptstraße trifft, ist für die älteren Bürger des Städtchens über dem Rheintal immer noch »Kanter’s Eck«. Dort stand das Haus samt Schlachterei des aus Niederzibelle im Regierungsbezirk Liegnitz zugezogenen Metzgers Theodor Julius Kanter, der sich im Ort mit seinen vorzüglichen schlesischen Wurstwaren einen Namen gemacht hatte. Sein Sohn Julius Adolf erlernte ebenfalls den Metzgerberuf, übernahm das Geschäft, fand in der Nachbargemeinde Wolken seine Ehefrau Maria Anna, die ihm 1925 den Sohn Adolf Josef Kanter gebar.

      Das Jahr 1941 brachte schwere Prüfungen für die streng katholische Familie: Julius Adolf Kanter fiel im Zweiten Weltkrieg; das Haus der Kanters sackte ab wegen eines Stolleneinsturzes im Tuffuntergrund, es musste abgerissen werden. Der 16-jährige Adolf, die verwitwete Mutter und Schwester Agnes zogen um ins nahe Andernach.

      Der schlaksige Brillenträger kannte sich gut aus in dem verwinkelten, über 2.000 Jahre alten Ort am linken Rheinufer. Hier hatte er es bei der Hitlerjugend (HJ) zum Oberrottenführer gebracht. Sein bester Kamerad war Werner Spurzem, Drogerielehrbub wie er, gefallen 1944. Hier war Kanter auf die Volksschule gegangen, hatte ihm Schulleiter Rausch 1939 zum Abschluss ein vorzeigbares Zeugnis ausgestellt: Führung: sehr gut, Fleiss: gut, Religion-Katechismus: gut, – Bibl. Geschichte: gut, Deutsch, a) mündlich: gut b) schriftlich: gut, Geschichte: gut, Erdkunde: gut, Naturkunde: gut, Rechnen: gut, Raumlehre: gut, Handschrift: gut, Zeichnen: gut, Musik: gut, Turnen: befriedigend, Schwimmen: ./., Werkunterricht: gut.

      Lob für den braven Jungen kam ebenfalls vom Lehrherrn. Der Drogist Heinrich Neuhaus schrieb ihm 1942 ins Lehrlingszeugnis: »Adolf Kanter wurde beschäftigt im Laden, Lager, Büro und Dunkelkammer. Die ihm übertragenen Arbeiten hat er zu meiner vollen Zufriedenheit ausgeführt, […] (er) verband Treue und Fleiss bei sehr gutem Betragen. Für sein ferneres Wohlergehen wünsche ich ihm das Beste.«

      »Sein Betragen war jederzeit einwandfrei«, testierten ihm 1943 vor Antritt des Militärdienstes auch die Eisen- und Hüttenwerke Andernach. Er hatte dort seine erste Stelle erhalten, für 1.000 Reichsmark im Monat. »Er war als kaufm. Angestellter auf dem Lohnbüro beschäftigt, wo er zuletzt die Lohnabrechnungen verschiedener Betriebsabteilungen selbständig erledigte. Herr Kanter war fleissig und gewissenhaft und hat die ihm übertragenen Arbeiten zu unserer größten

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