Der Schützling. Dirk Koch
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Kanter sei sogar »wesentlich wichtiger« für den Osten in der Ära des Kalten Krieges gewesen als Guillaume. So das Urteil des Berliner Abwehrchefs Helmut Müller-Enbergs. Seine Fachkenntnis stellte der Stasi-Forscher wiederholt unter Beweis, so enttarnte er den Westberliner Polizisten Karl-Heinz Kurras (er erschoss 1967 den Studenten Benno Ohnesorg bei einer Schah-Demo) als Stasi-Agenten. Müller-Enbergs befand über den Kanzlerspion Guillaume: »Der war nicht mal Mittelklasse«, ein »Medienprodukt«, ohne hervorragende nachrichtendienstliche Qualitäten. Müller-Enbergs berichtete dem Autor aus langen Gesprächen mit dem HVA-Chef 2005, ein Jahr vor dessen Tod: Wolfs Erfahrung nach hätten seine Späher im Durchschnitt zehn Jahre durchgehalten, dann wären sie vom Doppelleben zermürbt gewesen. Kanter alias »Fichtel« aber hätte vier Jahrzehnte lang geliefert, kaltblütig, diszipliniert. Besonders geschätzt habe Wolf, wie genau dieser Agent zu steuern gewesen sei. Erst habe Ostberlin ihn als A-Quelle, als Abschöpfungsquelle, auf die sich herausbildende Europaszene in Westdeutschland angesetzt, danach dann auch noch auf die CDU um Helmut Kohl in Rheinland-Pfalz, in beiden Bereichen mit immensem Ertrag an aufschlussreichen Informationen aus seinen zielstrebig auf- und ausgebauten Netzwerken von auszuhorchenden Kontaktpersonen.
Wie aus Ostberlin aufgetragen, brachte sich Kanter in die nach Kriegsende aufblühende Europa-Bewegung ein, verschaffte sich Zugang sogar zu Walter Hallstein, dem deutschen ersten Vorsitzenden der Brüsseler Kommission der Europäischen Wirtschaft sgemeinschaft (EWG). Zugleich gelang es »Fichtel«, sich an Kohl und seinen Unterstützerkreis heranzumachen. Kohls Herz für Kanter ließ sich mit einem Wort erklären: Geld. In den frühen Kampfjahren gegen die CDU-Altvorderen im Bundesland Rheinland-Pfalz hat Kanter dem Jungmachtmenschen Spenden aus dubioser Quelle zugeschoben, auch damals schon aus Kassen, die dem neu gewonnenen Kanter-Freund Eberhard von Brauchitsch, dem späteren Flick-Generalbevollmächtigten, offenstanden. Kohl, zum Mainzer Ministerpräsidenten aufgestiegen, zeigte sich erkenntlich, bewahrte über seinen Justizminister und durch Eingriff in das Rechtssystem den Geldbeschaffer Kanter vor Ungemach, als dem Schützling ein scharfer Staatsanwalt auf den Fersen war. Erst recht galt es, den Goldjungen Kanter pfleglich zu behandeln, als der von 1974 an im Bonner Flick-Büro saß, das wesentlich beim Verteilen der Schmiergelder in Millionenhöhe – bar natürlich, ohne Quittung – mitzureden hatte. Von Anbeginn an berichtete Kanter auf das Genaueste der Stasi-Zentrale, wie und was da lief in der BRD zwischen Kapital und Politik und wie sich westdeutsche Politiker mit ihrer Käuflichkeit unter Druck setzen ließen.
Sein Haus in der Lindenstraße 19 in Hangelar nahe Bonn nutzte Kanter als Spionagehilfsmittel: Er hörte seine Mieter ab. 1970 hatte er einen ganz besonderen Fang gemacht: Egon Bahr zog bei Kanter ein. Bahr, zu jener Zeit Staatssekretär im Bundeskanzleramt, war ostpolitischer Stratege, engster Berater und Freund des SPD-Kanzlers Willy Brandt. Der setzte ihn als Chefunterhändler für die auf Verständigung zielenden Ostverträge mit der Sowjetunion und Polen ein. »Es gelang uns sogar«, berichtet Markus Wolf in seinen Memoiren, »im Privathaus Egon Bahrs Abhöranlagen zu installieren. Wir belauschten ihn dort bei ebenso geheimen wie freimütigen und oft auch fröhlichen Gesprächen mit seinen sowjetischen Partnern. So wusste ich bisweilen wahrscheinlich vor dem Bundeskanzler, mit wie viel Geschick der Unterhändler über seine konspirativen Kanäle die Verhandlungen vorantrieb. Die ›Verwanzung‹ seines Hauses, die uns im Verlauf von Reparaturarbeiten gelang, war ein seltener Glücksfall. Trotz einigem Aufwand glückten uns solche Operationen nur sehr selten. Nach einiger Zeit blieben alle Mikrofone in Bahrs Haus mit einem Schlag stumm. Ich vermute, daß unsere sowjetischen Freunde etwas gemerkt und Egon Bahr gewarnt hatten, denn Moskau paßte es gar nicht ins Konzept, daß die DDR-Führung allzuviel über die Annäherung der UdSSR an Bonn erfuhr.« Über den Vormieter Bahrs, auch eine für Ostberlin höchst interessante Zielperson, schwieg sich Wolf aus.
Bahr hatte in Kanters Haus einige Male mit Willy Brandt die Köpfe zusammengesteckt, um die nächsten Züge in der Ost- und Entspannungspolitik abzusprechen. Wolf hatte also dank Kanter den Sowjets, mit denen er laut Müller-Enbergs enger zusammenarbeitete, als er zugeben mochte, einiges an Informationsleckerbissen zu bieten. Doch auch Wolf wurde manipuliert. »Egon Bahr wusste schließlich«, erinnert sich Christiane Leonhardt, eine von Bahrs Partnerinnen in den 1970er-Jahren, »[…] dass das Haus total verwanzt war. Er hat das des Öfteren gesagt und er hat sich einen Spaß daraus gemacht, den Lauschern im Osten gezielt Infos über Absichten und Schachzüge und so zukommen zu lassen. Egon Bahr hat denen die Wanzerei nicht groß übel genommen.« Aber dass sein Vermieter hinter der Abhörerei stecken könnte, darauf sei Bahr bei all seinem Scharfsinn nicht gekommen.
Zumal der ein besonders netter Kerl zu sein schien, wie sich auch später zeigte. In Flicks Lobbybüro an der Bonner Hausdorffstraße gehörte es zu Kanters Aufgaben, für die Düsseldorfer Konzernzentrale Vorschlagslisten jener Politiker mit klebrigen Händen in Regierung, Parlament und Parteien zusammenzustellen, die ihrer industriefreundlichen oder rechtskonservativen Haltung wegen finanziell gefördert oder deren Gunst, wenn es den Interessen des Konzerns diente, durch »inoffizielle Zahlungen« gekauft werden sollte. In einer dieser Listen der Flick-Zentrale über »Inoffizielle Zahlungen« aus dem Jahre 1978 standen der Betrag 40.000 und der Name Egon Bahr, knapp vier Wochen, nachdem die Bonner SPD/FDP-Regierung dem Konzern beim Verkauf seiner Daimler-Anteile Steuerersparnisse in Höhe von Hunderten Millionen D-Mark spendiert hatte. Der Staatsanwaltschaft gegenüber wird Bahr später erklären, er könne sich das nicht erklären.
Am 3. Juli 1978 hatte sich Bahr, damals SPD-Bundesgeschäftsführer, mit von Brauchitsch getroffen. Es ging um die steuerbefreite Wiederanlage des Erlöses aus Flicks Verkauf von 29 Prozent der Daimler-Aktien nach § 6b des Einkommensteuergesetzes. Der Flick-Manager zitiert in seinem Buch Der Preis des Schweigens aus seinen Notizen über die Unterredung im Wortlaut: »Bahr nannte unsere 6b-Anträge eine ›Schummelei‹.« Aber Bahr habe das Gespräch mit ihm nicht gesucht, weil er ihn habe beschimpfen wollen. In Bahrs Bundestagswahlkreis Flensburg habe der zu Flick gehörende Feldmühle-Konzern viele Arbeitsplätze geschaffen. »Bahr will einen Teil der Feldmühle-Investitionen zur Sicherung des Werkes Flensburg. Als alter Stratege faßt er das Ganze über 6b an, um seine Scheibe Wurst sicherzustellen. – Er bekommt sie. Nur weil einige Abgeordnete in ihren Reihen so tapfer Widerstand geleistet hatten, konnte die SPD doch nicht leer ausgehen.«
Kanter war beim Flick-Konzern durch Freund von Brauchitsch in die Schlüsselstellung eines Prokuristen und Vizechefs der Politischen Stabsstelle der Geschäftsführung am Sitz der Bundesregierung geschoben worden. Firmengründer Friedrich Flick hatte im Zweiten Weltkrieg sein Industrieimperium zum größten deutschen Rüstungsunternehmen ausgebaut, von dem er wesentliche Teile über den Zusammenbruch hinüber retten konnte. Als Kriegsverbrecher verurteilt, dank seiner Beziehungen und Mittel vorzeitig aus der Haft entlassen, war der Kriegsgewinnler rasch wieder an die Spitze der westdeutschen Industrie gelangt.
Hatte Flick die Nazis und die SS, Adolf Hitler und Heinrich Himmler mit Millionenbeträgen geschmiert, um Rohstoffe aus der Kriegsbeute und Rüstungsaufträge zu ergattern, machte sich der Alte, wie später sein Sohn Friedrich Karl, auch die Bundestagsparteien und ihre Spitzenpolitiker durch Millionenzahlungen gefügig.
Gesteuert wurde der breite Fluss der Gelder zur »Pflege der politischen Landschaft«, wie von Brauchitsch das nannte, aus dem geräumigen Büro des Chefbuchhalters Rudolf Diehl im ersten Stock der Düsseldorfer Flick-Zentrale. Diehl führte penibel Buch über die Zuwendungen, die Listen fielen in die Hände von Staatsanwaltschaft und Steuerfahndung. Die Flick-Affäre platzte auf, 1981 wurde das Bonner Lobbybüro geschlossen, von Brauchitsch gefeuert, ein neues Management bestellt. Diehl war es, der die Geldscheinbündel aus seinen schwarzen Kassen in Aktenkoffer gepackt hatte, Diehl waren die entsprechenden Weisungen von oben, meistens per Telefon, zugegangen, Diehl war eine Schlüsselfigur der Korruptionsunkultur des Milliardenkonzerns. Und deshalb für Markus Wolf besonders interessant. Bis dato nicht bekannt: Es gibt gewichtige Indizien,