Der Schützling. Dirk Koch
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»Als Technikfreak« habe er bald gemerkt, »da stimmt was nicht mit Diehls Telefon«. Beim Mittagessen habe er zu Kolb gesagt: »Ich glaube, wir werden abgehört. Was sollen wir tun?« Kolb habe kurz von einem seiner billigen Schmöker, die er gerne beim Essen las, aufgeblickt und gesagt: »Trauen Sie keinem hier in dem Unternehmen, holen Sie sich Hilfe von außen.« Er habe drei Spezialisten kommen lassen, und die seien bald fündig geworden: Wanzen im ersten Stock, Aufzeichnungs- und Übermittlungsgeräte im Keller. »Wir haben niemanden informiert, im Hause nicht und auch nicht den Staatsschutz.«
Wer steckte dahinter? Ihre größte Angst sei gewesen, sagte Würthener, dass es die RAF gewesen sein könne. Der Mord an Hanns Martin Schleyer sei ja nicht lange her, die Furcht vor der Roten Armee Fraktion bei den Industriebossen immer noch groß gewesen. Kolb und er hätten wegen des RAF-Verdachts dann im hessischen Steinbruch Hermannstein Schießübungen gemacht, zwecks Selbstverteidigung. Sie hätten aber auch, erinnert sich Würthener, darüber spekuliert, dass es die Steuerfahndung gewesen sein könnte, die den Flick-Laden abgehört hat. Und mit der Steuerfahndung hätte man sich ja weiß Gott nach der ganzen Flick-Affäre nicht anlegen wollen. Übrigens habe er auf Mallorca später einen der Steuerfahnder des in der Spendenaffäre zuständigen Finanzamtes St. Augustin getroffen, und der habe ihm beim Kölsch glaubhaft versichert, so etwas hätten sie nie gemacht.
»Nach einer Weile aber wussten wir, es war die DDR.« Bei den Wanzen, das hätten die Spezialisten schließlich herausgefunden, habe es sich um umgebaute Hörgeräte aus der Bundesrepublik gehandelt, die als milde Gabe für bedürftige DDR-Bürger »nach drüben« geschickt worden seien. Die Hörhilfen seien im Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen zu Spionagezwecken hergerichtet worden. Kolb und er hätten ihr Wissen für sich behalten, die Stasi nicht warnen wollen. Wenig später seien beim Einbau einer neuen Anlage die Gerätschaften unauffällig entfernen worden. Würthener: »Heute bin ich sicher, dass Kanter die Stasi-Leute da reingelassen hat. Kanter war ja Prokurist, der hatte freien Zugang zur Zentrale.« Damals aber habe niemand Kanter verdächtigt. »Der galt viel in Düsseldorf, alle hatten Respekt vor dem. Alle wussten, der ist CDU-Mitglied, der ist der Freund von Kohl.«
Der Kohl -Freund hatte der Stasi große Mengen Herrschaftswissen geliefert. Bonns Gegner im Ost-West-Konflikt gelangten in den Besitz brisanter Informationen, die ihnen politische Macht über die Klassenfeinde im Westen gaben. Ostberlin hatte es dank des von Kanter gelieferten politischen Sprengstoffs in der Hand, die Elite des anderen Lagers mitsamt dem Bundeskanzler in die Luft zu jagen. Als Mitglied der Flick’schen Geschäftsführung wusste Kanter von allen – durchweg illegalen – Schmiergeldzahlungen. Stasi-Minister Mielke und sein General Wolf waren durch ihren Mann bei Flick umfassend, bis in alle höchst peinlichen Einzelheiten, informiert über die gekaufte Bonner Republik. Es war ein großer Schatz an »Kompromaten«, wie im östlichen Geheimdienstjargon Belastungsmaterial hieß, mittels dessen sich Personal der Gegenseite bloßstellen oder gefügig machen lässt. Die DDR-Führung besaß Beweise, dass sich die ganze illustre Gesellschaft der Bundeshauptstadt aus Flicks schwarzen Kassen bedienen ließ: Helmut Kohl, Franz Josef Strauß, Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher, Walter Scheel, Hans Friderichs, Hans Matthöfer, Alfred Nau. Willy Brandt auch, behauptete von Brauchitsch. Ihm habe er »persönlich« das Geld – mal 40.000 D-Mark, mal 50.000 D-Mark – übergeben. Bis hoch zu Regierungschefs und Parteivorsitzenden – die Spitzenleute der Bonner Demokratie waren erpressbar.
Otto Schily, ab 1984 für die Grünen im Flick-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags, hat in seinem Buch Politik in bar (1986) zusammengerechnet, welche Beträge in welche Taschen gesteckt wurden. Von 1969 bis 1980 habe der Flick-Konzern für den Politikerkauf die stattliche Summe von 26 Millionen D-Mark ausgegeben. Davon gingen 15 Millionen D-Mark an Politiker der CDU/CSU. 6,5 Millionen Mark sackten Politiker der FDP ein. 4,5 Millionen D-Mark nahmen Politiker der SPD vom Flick-Konzern an. Allein das CSU-Oberhaupt Franz Josef Strauß habe 1,16 Millionen D-Mark in bar erhalten, dazu »Sonderzahlungen« in unbekannter Höhe. An den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl gingen, Sonderzahlungen wiederum nicht gerechnet, 665.000 D-Mark, ebenfalls in großen Scheinen. Der FDP-Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff kassierte, so steht es in den Akten des Untersuchungsausschusses, 1,1 Millionen, eventuelle Sonderzahlungen blieben unbekannt. Es ging dem Konzern und seinem Chef Friedrich Karl Flick im Wesentlichen darum, mithilfe geschmierter Politiker die bei Aktienverkäufen und Wiederanlage des Erlöses fälligen Steuern von knapp unter einer Milliarde D-Mark nicht zu zahlen. Das klappte. Die DDR-Führung war dank Kanter und Wolf dabei stets auf dem letzten Stand.
Wie das lief, schildert der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichtes Koblenz, Joachim Vonnahme, 1995 in der Begründung seines auffallend milden Urteils gegen den Spitzenspion. Kanter, im Bonner Flick-Büro von 1974 bis zu dessen Schließung im Jahre 1981 an vorderster Front im Einsatz, war erst lange nach dem Ende der DDR im Jahre 1994 festgenommen und gleich wieder auf freien Fuß gesetzt worden. »Während der gesamten Dauer seiner Tätigkeit im Bonner Büro der Flick-Gruppe«, so der Text des weggeschlossenen Urteils, »hatte der Angeklagte ferner Einblick in die Vergabe von Geldern an Politiker und Parteien, insbesondere zur Wahlkampfunterstützung. An Spenden des Unternehmens bis zu einer Höhe von 10.000 DM wirkte er unmittelbar dergestalt mit, daß er zu Anfang eines Jahre eine Vorschlagsliste mit einem Gesamtvolumen zwischen 100.000 und 200.000 DM erstellte und sie der Konzernspitze vorlegte. Soweit diese die Vorschläge genehmigte, nahm der Angeklagte die entsprechenden Einzelanweisungen vor. Wenngleich er an der Zuteilung größerer Spendenbeträge, die sich die Konzernleitung in Düsseldorf allein vorbehalten hatte, nicht selbst mitwirkte, hatte er gleichwohl gesprächsweise auch davon Kenntnis. Von letzteren, später als die ›Flick-Affäre‹ bekanntgewordenen Vorgängen wußte er auch, daß die ›Spendenbeträge‹ teilweise nach außen verschleiert über gemeinnützige Einrichtungen an die Parteien und Politiker flossen und der Flick-Konzern so unrechtmäßig einen Großteil der Gelder als Steuererstattungen zurückerhielt.«
Vonnahme weiter: »Über die im Rahmen der beschriebenen Tätigkeit erlangten Kontakte und Erkenntnisse berichtete der Angeklagte der HVA. Mündlich informierte er seinen Instrukteur Dr. Krüger etwa über Kontakte zu Beamten und Politikern – vornehmlich aus CDU und FDP – und deren Einschätzungen zu politischen und wirtschaftspolitischen Themen, über Verbindungen zu Journalisten, Organisationen und Institutionen sowie über berufliche und politische Probleme, über Vorkommnisse in dem Bonner Büro der Flick KG und über die von ihm persönlich sowie von der Konzernspitze vorgenommenen Spendenaktionen an Politiker und Parteien. […] Von besonderer Bedeutung erschien ihm [dem MfS, D. K.] dabei die Spendentätigkeit des Flick-Konzerns, über die der Angeklagte bereits vor den Veröffentlichungen in westlichen Medien berichtete. Aufgrund der nachrichtendienstlichen Informationen des Angeklagten, ergänzt durch entsprechende Veröffentlichungen im Nachrichtenmagazin ›Der Spiegel‹, vermochte es sich schon früh ein Gesamtbild von Entstehung und Entwicklung der ›Flick-Affäre‹ zu verschaffen. Gerade dieser Komplex schien die Einflußnahme der Wirtschaft auf politische Entscheidungsprozesse in besonderem Maße zu bestätigen. Die Berichte hierüber wurden denn auch innerhalb der HVA nicht, wie das vom Angeklagten zuvor gelieferte Material, an die für die Auswertung üblicherweise zuständige Abteilung VII, sondern direkt an die Leitungsebene der HVA gegeben. Der hohe Stellenwert, den der Operativvorgang in dieser Zeit hatte, wird