Der Schützling. Dirk Koch

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Der Schützling - Dirk Koch

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Mehrfachagent, der an die Geheimdienste der beiden Deutschlands lieferte und dazu noch, zumindest zeitweilig, an die Geheimen der Besatzungsmächte Frankreich und USA? Das könnte mancherlei erklären.

      Kanter blieb nach dem Andernacher Zwischenfall unangetastet. Obwohl das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz ihn eindeutig als Stasi-Agenten enttarnt hatte. Der für den Inlandsgeheimdienst zuständige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann berichtete am 18. Dezember 1985 dem Innenausschuss des Bundestags vom »Bekanntwerden eines Spionagefalls, wonach ein illegaler eingeschleuster Agent eines östlichen Nachrichtendienstes über zehn Jahre lang unter anderem den Flick-Konzern ausgeforscht haben solle«. So ist es in der Bundestagsdrucksache 10/6584 festgehalten, dem Bericht des zweiten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zu Fragen der Spionageabwehr.

      Der Präsident des Bunde sverfassungsschutzes, Heribert Hellenbroich, habe schon zuvor, am 19. Dezember 1984, so steht es weiter in dem Bericht des Untersuchungsausschusses, den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Carl-Dieter Spranger (CSU), gewarnt: »Er wies auf einen Namen hin, der im Zusammenhang mit einem möglichen Spionagefall im Hause Flick genannt worden war.« Auch noch im Jahre 1986 notierten die Kölner Abwehrbeamten in einem Geheimvermerk, Kanters Wohnung müsse »als Stützpunkt des MfS angesehen« werden.

      Am 22. Januar 1986 veröffentlichte die Welt einen Vermerk des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes Hellenbroich aus dem Jahre 1984. Der Chef der bundesdeutschen Spionageabwehr war vom Parlamentarischen Staatssekretär Spranger, CSU, aufgefordert worden, sich um mögliche Verstrickungen des Flick-Managers von Brauchitsch in östliche Geheimdienste zu kümmern. Hellenbroich erläuterte später, er habe dies so verstanden, dass geprüft werden solle, »ob Herr von Brauchitsch ein KGB-Agent sein könne«, also für den sowjetischen Geheimdienst tätig sei. Laut Welt hielt Hellenbroich in einer Aktennotiz fest: »Am 5. Dezember beauftragte mich Spranger, Erkenntnisse über von Brauchitsch zusammenzustellen. Gibt es in diesem Zusammenhang irgendwelche Hinweise auf active measures im Zusammenhang mit der Spendenaffäre?« Auf den Rand des Vermerks habe Hellenbroich, so die Welt weiter, von Hand einen Namen geschrieben: »Kanter«.

      Schützling Kanter schlug zurück. Kaltblütig, dreist. Er zwang die Zeitung zum Widerruf. Am 8. Februar 1986 druckte die Welt ein Schreiben des Stasi-Agenten: »Nur noch als absurd empfinde ich die Unwahrheiten, die in jenem Artikel über meine Person und meine persönlichen Verhältnisse kolportiert worden sind. Als ›Spion für östliche Geheimdienste‹ sei ich vor einiger Zeit ›aufgeflogen‹, wird da behauptet. Mir ist natürlich nicht bekannt, wer sich solchen Unsinn aus den Fingern gesogen hat. Geheimdienste östlicher Provenienz kenne ich aus Filmen, Büchern und einschlägigen Fernsehserien. Mit anderen Worten: Die WELT scheint Opfer fremder Phantasien geworden zu sein.«

      Die Redaktion setzte ihre Entschuldigung darunter: »Unser Leser hat recht. Sein Name ist aufgrund eines Versehens in diesen Zusammenhang gebracht worden. Die WELT bedauert das.«

      Und es kam noch besser für Kanter, so Memoirenschreiber von Brauchitsch. Von CSU-Spranger verlangte der DDR-Agent eine »ehrenrechtliche Wiedergutmachung«. Aus dessen Bundesinnenministerium wären ihm schon öfters Kontakte zu Geheimdiensten nachgesagt worden; er bestehe auf Kenntnis sämtlicher Daten, die über ihn vorlägen. Spranger solle ihm mitteilen, welche Maßnahmen man ergreifen werde, »um meine durch die Verlautbarungen Ihres Hauses verletzte Ehre wiederherzustellen«. Andernfalls sehe er sich gezwungen, »die Rechtmäßigkeit Ihres behördlichen Verhaltens in diesem Punkt streitig überprüfen zu lassen«.

      Kanters Ehre sollte bald wieder glänzen, auch dank des furiosen Einsatzes von Helga, der Ehefrau des Kanter-Kumpels von Brauchitsch. Sie warf sich in gleichlautenden Briefen an Bundeskanzler Kohl und Bundesinnenminister Zimmerman für ihren Gemahl ins Zeug. Unter Anspielung auf gern angenommene Spendengelder schrieb sie am 28. Januar 1986: »[…] Wie ist es möglich, dass hinter dem Rücken eines Mannes, dessen Fähigkeiten und Tatkraft Sie so oft und gern zum Wohl der Allgemeinheit und des Staates in Anspruch genommen haben, der Verdacht ausgelöst wurde, er sei ein Agent eines ausländischen Geheimdienstes? Sie müssen mir erlauben, daß sich nun meinerseits der Verdacht aufdrängt, Sie hätten bei all diesem nur politische Macht im Sinn gehabt und die Verfassung unserer Republik sowie die Grundrechte seiner Bürger nicht geachtet, wie man es von Ihnen erwartet.«

      Kohl antwortete der »lieben Helga« noch am selben Tag »mit großer Betroffenheit«. Das Innenministerium habe klargestellt, »daß zu keinem Zeitpunkt irgendein Gedanke dergestalt existierte, daß gegen Deinen Mann Anhaltspunkte für Landesverrat oder Ähnliches bestanden haben«.

      Der für die Verdachtsan frage verantwortliche Spranger erinnert sich: »Da ist alles ganz schnell totgemacht worden.« Nicht nur von Brauchitsch, sondern auch Kanter bekam seine Ehrenerklärung.

      Der beamtete Staatssekretär des Innenministeriums, Hans Neusel, bescheinigte dem Stasi-Agenten am 11. März 1986 schriftlich, »ausnahmsweise«, denn der Verfassungsschutz gebe Privatpersonen grundsätzlich keine Auskünfte, »bin ich in Ihrem Falle jedoch bereit, Ihnen mitzuteilen, daß Ihre Person in den Unterlagen des Ministeriums und der Sicherheitsbehörden des Geschäftsbereichs lediglich im Zusammenhang mit Ihrer Zeugenschaft in einem auch Ihnen bekannten Ermittlungsverfahren gegen unbekannt vermerkt ist.«

      »Der Brief des Staatssekretärs«, schreibt von Brauchitsch weiter in seinen Erinnerungen, »war wahrscheinlich das schönste Geschenk, das Adolf Kanter je erhalten hat.«

      DRITTES KAPITEL

       Der Geheimprozess

      Die Bonner Redaktion des Spiegel hatte zu Zeiten des Kalten Krieges ihr Büro in einem viergeschossigen Zweckbau an der Ecke Dahlmannstraße/Welckerstraße, mitten im Regierungsviertel der Bundeshauptstadt am Rhein. Aus den Fenstern nach Westen ging der Blick auf das Nachbarhaus an der Welckerstraße, zweistöckig, gebaut in den 1950er-Jahren, die neonhellen Räume belegt von Fachverbänden und Informationsdiensten. Wer da ein- und ausging? Für uns vom Spiegel nicht interessant. Man beachtete die Leute gegenüber nicht und grüßte sich nicht.

      Das war ein Fehler. Wir haben uns um die Gelegenheit gebracht, den erfolgreichsten und einflussreichsten deutschen Spion jener Jahrzehnte der Teilung Deutschlands kennenzulernen. Wir hätten die Bekanntschaft eines stets oberflächlich freundlichen, unauffälligen Mannes machen können, nicht klein, nicht groß, dicklich, stattlich, das nach hinten gekämmte Haar gelichtet, Hornbrille, Typ Sachbearbeiter im grauen Anzug, immer mit Krawatte, leise und höflich. Das war Adolf Josef Kanter, 41 Jahre lang Agent Ostberlins, vorübergehend festgenommen erst nach dem Ende der DDR, gestorben 2004 in einem Altenheim in Vallendar am Rhein als 79-jähriger Pflegefall nach einem Treppensturz, eine der wichtigsten Quellen der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), von 1974 bis 1981 Prokurist und stellvertretender Leiter der Politischen Stabsstelle der Geschäft sführung des milliardenschweren Flick-Konzerns am Sitz der Bundesregierung in Bonn, Job: vertrauliche Informationen beschaffen, Politiker schmieren, politische Entscheidungen kaufen.

      Kanter gehörte zu den mächtigsten Wissenden von Bonn, er war einer der wenigen, die über sehr viele Leute in Parteien, Parlament und Regierung sehr viel wussten, das keinesfalls nach draußen dringen durfte. Er hatte viel Geld zur Verfügung. Er hatte einen guten Draht zu Helmut Kohl. Stasi-General Markus Wolf hat Kanter in den Rang Günter Guillaumes, des DDR-Spions an der Seite Willy Brandts, erhoben: »Seine Informationen waren kaum weniger wertvoll.« Und Kanter lieferte viel, viel mehr als Guillaume. Bei Enttarnung Guillaumes trat der SPD-Bundeskanzler zurück, der Stasi-Agent hatte zu viel Intimes mitbekommen, der westdeutsche Regierungschef hätte bloßgestellt werden können – für den späteren CDU-Kanzler Kohl ein abschreckendes Beispiel, ein Schicksal, das er sich in jedem Fall ersparen wollte.

      Dabei hatte »Hansen« – Guillaumes Deckname – in den Jahren

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