Sophienlust Bestseller Staffel 1 – Familienroman. Marietta Brem
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Leise, damit sie niemanden störte, schlich Denise in ihr Arbeitszimmer hinauf. Aber offensichtlich hatte jemand auf sie gewartet, denn sie sah die Umrisse eines Menschen vor dem Fenster stehen.
»Sabine«, flüsterte Denise überrascht. »Wartest du etwa auf mich?«
»Ich bin ja so froh, daß Sie noch einmal gekommen sind, Frau von Schoenecker. Ich... ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Komm herein, da können wir besser reden.«
Denise schaltete die Deckenbeleuchtung ein. »So, und jetzt sagst du mir erst einmal, was du auf dem Herzen hast.«
Sabine setzte sich. »Herr Brecht hat mir einen Heiratsantrag gemacht.« Das Mädchen atmete erleichtert auf. Endlich war es heraus.
»Was hat er?« Denise machte ein verblüfftes Gesicht. »Kennst du ihn etwa schon länger?«
»Natürlich nicht. Erst seit... vier Tagen. Morgen will er sich die Antwort holen. Ich glaube, ich werde ihn heiraten.« Das Mädchen machte ein klägliches Gesicht. »Mein Kind braucht einen Vater, und sein Kind braucht eine Mutter«, sagte sie dann noch.
»Noch ist es ja nicht heraus, daß Agnes wirklich sein Kind ist«, widersprach Denise. »Und warum will er dich heiraten? Hat er von Liebe gesprochen?«
»Nein, das hat er nicht. Nur von gegenseitiger Achtung und Zuneigung. Das genügt mir auch. In meiner Lage darf ich nicht zu anspruchsvoll sein, außerdem liebe ich Jochen noch immer, auch wenn er tot ist.«
»Aber das genügt doch nicht für eine Ehe.«
»Mir reicht es.« Sabine starrte trotzig vor sich hin. »Außerdem ist er mir sympathisch, und er würde sicher gut für uns alle sorgen.«
»Der Mann will dich nur heiraten, damit er Agnes zu sich nehmen kann. Ich habe ihm nämlich gesag, daß er das Kind unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht bekommt. Er kann nämlich nicht beweisen, daß er wirklich der leibliche Vater ist. Bestimmt will er auf diese Weise nur versuchen, Agnes als Pflegekind zu bekommen.«
»Auch das stört mich nicht. Ich habe Agnes ebenfalls ins Herz geschlossen und bin auch bereit, unter diesen Umständen... ich meine...«
»Ich weiß, was du meinst, Sabine.« Denise kam sich fast gemein vor, weil sie solche Sachen sagen mußte, die ihr innerlich widerstrebten. Aber sie sah keine andere Möglichkeit, Sabine vor einem großen Fehler zu bewahren. »Und, was glaubst du, wäre, wenn dieser Herr Brecht nun die Gewißheit hätte, daß Agnes seine leibliche Tochter ist? Meinst du, dann wollte er dich auch noch heiraten?«
Sabine schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht«, antwortete sie dann. »Aber er weiß es nicht und wird es auch nie erfahren. Und wenn er ein intaktes Familienleben aufweisen kann, dann darf er Agnes doch zumindest in Pflege nehmen, oder nicht?«
»Sicher, das glaube ich schon. Aber, und jetzt muß ich dir vielleicht sehr weh tun, es gibt einen Beweis, ob er nun der Vater ist oder nicht. Gisela Müller, mit der dein Manfred damals befreundet war, hat einen Brief für ihre Tochter hinterlassen. Und obwohl mir die ganze Geschichte nicht gefällt, sehe ich doch keine andere Möglichkeit, hinter die Wahrheit zu kommen, als diesen Brief zu öffnen. Aus diesem Grunde bin ich auch jetzt noch einmal hierher gekommen.«
»Dann wird sich bestimmt herausstellen, daß er der Vater ist. Ich spüre es.« Sabines Stimme klang müde und hoffnungslos.
»Soll ich es nicht tun?« fragte Denise voller Mitleid. In diesem Augenblick hatte die ältere Frau erkannt, daß sich Sabine in den Fremden verliebt hatte, es sich selbst aber noch gar nicht eingestand.
»Nein, das wäre nicht gut. Agnes hat ein Recht auf ihren Vater, und Manfred muß wissen, ob Agnes sein Kind ist. Auf mich brauchen Sie da keine Rücksicht zu nehmen, auch wenn er mich dann nicht mehr heiraten wird. Vielleicht wäre es wirklich ein Fehler gewesen.«
Denise holte aus der Akte den Brief und öffnete ihn vorsichtig. Zwei eng beschriebene Seiten kamen zum Vorschein, die Denise mit gemischten Gefühlen überflog.
Endlich hatte sie die Stelle gefunden, die sie gesucht hatte. Es stimmte wirklich, Manfred Brecht war der Vater der kleinen Agnes.
»Das Schicksal geht wirklich seltsame Wege«, murmelte die Verwalterin und faltete den Brief wieder zusammen. Dann steckte sie ihn vorsichtig in den Umschlag.
»Ich werde es Herrn Brecht morgen sagen müssen.«
»Bitte, Frau von Schoenecker, darf ich das tun? Das bin ich ihm und auch mir schuldig. Er soll nicht das Gefühl haben, daß er trotzdem noch zu seinem Wort stehen muß.« Nur mit Mühe konnte Sabine die Tränen zurückhalten, die ihr in die Augen stiegen.
*
Der nächste Morgen verkündete einen Märztag wie aus dem Bilderbuch. Schon zeitig in der Früh lachte die Sonne vom blauem Himmel herunter, und die ersten Stare, die ihren Weg aus dem Süden hierher gefunden hatten, zeterten und schimpften in den noch kahlen Ästen der Bäume.
Volker und Marga Eckstein waren schon sehr früh in Sophienlust, um ihren Sohn Peter abzuholen. Auch die kleine, getigerte Katze durfte mit in das neue Haus, denn Henrik hatte sie großzügig seinem Freund überlassen, obwohl ihm auch, wie er etwas wehmütig festgestellt hatte, die Hälfte davon gehörte. Schließlich hatte er sich bei der Rettungsaktion ebenfalls nasse Füße geholt.
Denise von Schoenecker, Schwester Regine und Frau Rennert, die Heimleiterin, hatten sich bereits in Positur gestellt, als Peter die letzte Tasche in den Kofferraum gestellt hatte. Als dann der Wagen langsam die Auffahrt hinabfuhr, winkten sie so lange, bis die Rücklichter nicht mehr zu sehen waren.
»Ich bin wirklich froh, daß es für Peter so gut ausgegangen ist. Ich glaube, er wäre hier nie richtig heimisch geworden.«
»Sie haben sicher recht, Frau Rennert«, stimmte Denise zu. »Der Peter ist ein ziemlich sensibles Kind, das einen bleibenden Schaden davongetragen hätte, wenn sich die Eltern nicht mehr versöhnt hätten.«
Auch Schwester Regine schloß sich dieser Meinung an, und dann gingen die drei Frauen zurück ins Haus.
Wenn nur die Sache mit diesem Herrn Brecht, der ihr sogar sympathisch war, und der armen Sabine schon ausgestanden wäre, schoß es Denise von Schoenecker durch den Kopf.
In diesem Augenblick hörte sie draußen Stimmen. Eilig lief sie die Treppe hinauf in ihr Arbeitszimmer. Etwas überraschte Blicke von Schwester Regine und Frau Rennert folgten ihr.
Denise hatte richtig vermutet. Manfred Brecht war bereits hier, und Sabine hatte ihn abgepaßt. Sie standen sich vor der Freitreppe gegenüber und unterhielten sich.
Arme Sabine! Es war eine schwere Mission, die sie nun erfüllen mußte.
»Kommen Sie, Sabine, gehen wir ein kleines Stück«, schlug Manfred vor und hakte sich bei dem Mädchen unter. Er war sich sicher, daß sie sein Angebot nicht ausschlagen würde.
»Haben Sie es sich überlegt?«
Sabine nickte. »Ja, ich habe lange darüber nachgedacht, Manfred, und ich danke Ihnen auch für Ihr Angebot. Bitte denken Sie nicht, daß ich Sie nicht mag, aber meine Antwort ist nein.«
»Sabine!« Abrupt