Flieg Gedanke. Sybille und Manfred Specht
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Zum Glück kehrte Opa unversehrt aus dem Krieg zurück. Seinerzeit schloss er sich aktiv dem Matrosenaufstand von Kiel an und lehrte auch mich, stets kritisch und abwägend zu sein. Sein Leibspruch war: „Und ist der Schwindel noch so dumm, er findet stets sein Publikum.“
Zu gern wollte meine liebe Mutter Sport treiben. In der Schule fiel sie auch auf diesem Gebiet besonders auf. Aber dafür fehlte einfach in der bäuerlichen Vorstellung und in der damals entbehrungsreichen Zeit jedes Verständnis. Ihre Eltern waren großzügig und ließen sie eine Lehrstelle als Schuhverkäuferin im benachbarten Gera antreten. Kostete es die Familie doch eine wochentägliche Eisenbahnfahrkarte. Und als tüchtige Schuhverkäuferin lernte sie später einen gewissen Hermann Franz Specht aus Roßlau bei Dessau kennen, lieben und heiraten.
Das Elternhaus meines Vaters war eine Fleischerei in Roßlau an der Elbe. Es wurde im eigenen Haus geschlachtet und jedes Verkaufsprodukt auch eigenhändig hergestellt. Mein Opa Hermann Franz Specht war schließlich ein sehr befähigter Schlachtermeister und in der Fleischerinnung hoch angesehen. Einmal im Jahr gab es einen besonderen Tag, an dem alle Handwerker mit ihren Gesellen in Berufstracht durch die Stadt zogen. Die Fleischer mit weißer Schürze, zur Dreiecksform gerafft. Opa Specht stets in der ersten Reihe der besonders Wertgeschätzten. Da erschien es völlig normal, dass auch der Sohn das Fleischerhandwerk erlernen sollte, um später das Geschäft zu übernehmen. Der aber wollte lieber Ingenieur werden. Am Ende gab er nach, absolvierte eine Fleischerlehre, um sich dann aber nach deren Abschluss doch zu verweigern. Auch politische Differenzen in den Dreißigerjahren zwischen Vater und Sohn hatten ihren Anteil.
Auch Opa Specht musste als Soldat in den Ersten Weltkrieg ziehen. Immer wieder hörten wir ihm gern und aufmerksam zu, wenn er von jenen entsetzlichen Geschehnissen und seinen persönlichen Wertungen sprach. Besonders verbitterten auch ihn die Lügen und Märchen der Siegerpropaganda und die ungeheure Geschichtsverdrehung durch den erpressten Versailler Vertrag und die Ächtung Deutschlands. In (4) S. 403 ist zu lesen:
Ein Jahrhundert der Propaganda, der Lügen und der Gehirnwäsche zum Ersten Weltkrieg liegt hinter uns. Aufgrund kognitiver Dissonanz fühlen wir uns unbehaglich angesichts der Wahrheit: dass es ein Grüppchen wohlsituierter englischer Rassenpatrioten war, die mit Unterstützung mächtiger Industrieller und Finanziers in Großbritannien und den Vereinigten Staaten den Ersten Weltkrieg auslösten. Die in London ansässige geheime Elite war fest entschlossen, Deutschland zu vernichten und die Welt zu kontrollieren. Ihre Handlungen sind für den Tod von Millionen ehrbarer junger Männer verantwortlich, die in einem stumpfen und blutigen Gemetzel verraten und geopfert wurden, um eine unehrenhafte Sache voranzutreiben.
Zu Beginn seiner Erwerbstätigkeit war Opa gewerkschaftlich engagiert, trat später der SPD bei. Sein Sohn dagegen neigte der aufgekommenen Neuen Bewegung zu und wollte auf diese Weise der historischen Demütigung seines Vaterlandes entgegentreten. Als ich meinen Vater später einmal daraufhin ansprach, zuckte er mit den Schultern und bemerkte: „Wir glaubten fest daran, für unser Land etwas Gutes zu tun.“
Beruflich fand er bei den expandierenden Junkers Flugzeugwerken als Werksschutzmann eine Anstellung, war stets bemüht, in technische Bereiche hinzuwachsen. Unser erstes Familiendomizil bezogen wir daher in Dessau in der Lutherstraße. Eine ausgefallene Örtlichkeit hat sich mir schon als Knirps tief eingeprägt, ein Obstgeschäft, in dem es Bananen gab. Bei jeder Vorbeifahrt im Kinderwagen forderte ich mit ausgestreckter Hand: „eine Nane.“ Da half auch keine Ablenkung. Noch gab es sie.
Endlich: 1942/1943 hatte mein Vater Erfolg. Die Krupp-Gruson-Werke in Magdeburg boten ihm die Leitung einer Abteilung des Werkverkehrs an. So wechselten wir noch im gleichen Jahr nach Magdeburg in eine Wohnung im Hohenstaufenring, unmittelbar am Nordpark gelegen (heute: Otto-von-Guericke-Universität).
Meine Einschulung
Seit vier Jahren tobte nun schon wieder in Europa ein verheerender Krieg. In unserem Lebensbereich war zum Glück noch nichts von Kriegshandlungen zu spüren. Meine Eltern bemühten sich, mich von diesen noch entlegenen Geschehnissen fernzuhalten. Nur hin und wieder sah ich Gruppen von jungen Männern am Rand vom Nordpark sitzen und unter Aufsicht einer stupiden Beschäftigung nachgehen wie krumme Nägel wieder gerade klopfen. Es seien Kriegsgefangene, hieß es, was mir aber absolut nichts sagte.
Kurz vor Ostern 1943 fassten meine Eltern den Entschluss, mich zu Opa nach Bad Köstritz auf den Bauernhof zu schicken, natürlich in Begleitung der Mutsch. Landluft konnte ja nicht schaden und ordentlich zu essen gab es dort auch. Einige Wochen nach Ostern sollte mich die Mutsch wieder abholen.
Damals wurde zur Osterzeit eingeschult. Zusammen mit meinem Opa stand ich am Hoftor und sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine große Kinderschar vorbeiziehen, etwa in meinem Alter, und jedes Kind hielt eine sonderbare spitze Tüte im Arm.
„Opa, was haben die denn da drin?“ „Äpfel, Kekse, Bonbons, vielleicht sogar Schokolade“.
„Das ist ja toll. Eine solche Tüte möchte ich auch haben“.
Pragmatisch, wie ein bodenständiger Bauer nur sein kann, sagte er ruhig und logisch: „Dann musst du eben zur Schule gehen“.
„Na klar, dann gehe ich zur Schule“.
Nach kurzer Überlegung rief Opa über die Straße hinweg dem Lehrer zu: „Anton, hier hast du noch einen vergessen“.
Bild 1 – Manfreds Einschulung, Ostern 1943
Und auf diesem Weg wurde ich mit fünf Jahren in Bad Köstritz eingeschult. Einfach auf Zuruf, ohne Wissen meiner Eltern. Auf dem Dorf war das anscheinend kein Problem. Erst als meine Mutter mich wieder abholen wollte, fiel sie aus allen Wolken. Einmal eingeschult, gab es kein Zurück mehr. In Magdeburg musste ich weiter zur Schule gehen. Diese frühe Einschulung war schicksalhaft für mich. Hat sie doch mein ganzes weiteres Leben bestimmt, in ausnahmslos positivem Sinn.
An eine Episode in der Bad Köstritzer Schule kann ich mich noch gut erinnern. Wir lernten das ABC. Der Lehrer zeigte mit einem Stab auf einen Buchstaben und der aufgerufene Schüler musste ihn laut und deutlich aussprechen. Wer versagte, kam ins „faule Ei“, ein auf den Boden gemalter Kreis in der Zimmerecke. Nach nochmaliger Abfrage und richtiger Antwort war er wieder entlassen. Anderenfalls mussten zwei Zeilen der Schiefertafel als zusätzliche Hausarbeit mit dem ungenannten Buchstaben beschriftet werden. Dieses Malheur drohte mir stets bei dem Buchstaben Q (Ku). Unvorstellbar, dass ein so großes Tier auf derartige Weise dargestellt werden soll. Irgendwann später riss dann doch der Knoten.
Evakuierung
Kaum eingelebt in der neuen Schule, kam zum Jahresende 1944 die Order, Familien mit Kindern müssten aus Sicherheitsgründen in benachbarte Dörfer umziehen. Meine Mutter und wir beiden Kinder erhielten in Dahlenwarsleben im Obergeschoss eines bäuerlichen Anwesens zwei Zimmer, einen Wohnraum und einen Schlafraum. Die Entfernung betrug etwa elf Kilometer und konnte per Pferdewagen bewältigt werden. Bis heute blieb mir verborgen, warum neben den Betten ausgerechnet das Klavier mit umziehen musste. Mein Vater blieb in der Stadt zurück und besuchte uns gelegentlich am Wochenende.
Schon bald erreichte das Kriegsgeschehen auch unsere heimatliche Flur. Das bereits fünf Jahre währende Bombardement deutscher Städte und Dörfer im Zweiten Weltkrieg, meistens fernab von militärischen Anlagen und