Flieg Gedanke. Sybille und Manfred Specht

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Flieg Gedanke - Sybille und Manfred Specht

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Dann galt es, sofort mit dem bereitstehenden Handgepäck in den zugeteilten Luftschutzraum zu eilen und die Entwarnung abzuwarten. Bis kurz vor unserer Evakuierung holten uns die Sirenen des Öfteren zweimal pro Nacht aus dem Schlaf.

      Auch die sich noch immer abmühenden Schulen hatten gewöhnlich eigene Schutzbunker. Nur unsere Dorfschule in Dahlenwarsleben nicht. Sobald die Sirene losbrach, musste alles in Windeseile eingepackt und im Laufschritt der abseits liegende Schutzraum in unserem Wohnhaus erreicht werden. In meiner Erinnerung schaffte ich es zwischen fünf und zehn Minuten, je nach Wetter und immer noch vor dem Überflug der Bomberverbände. Von Bombenabwürfen blieben wir Gott sei Dank verschont. Nur einmal erreichten uns auf dem Heimweg einige Tiefflieger. Sofort warfen wir uns bäuchlings in den Straßengraben, den Schulranzen über den Kopf und hörten über uns Maschinengewehrfeuer. Es wurde niemand getroffen, obwohl es sicher ein Leichtes gewesen wäre. Vermutlich wollten die Piloten ihr Gewissen nicht mit Kindermorden belasten.

      Am Vormittag dieses denkwürdigen Tages attackierte die 8. US-Flotte die Krupp-Gruson-Werke und die Hydrieranlage Brabag. Am Abend jedoch, nach 21 Uhr, fielen sechs Teilverbände über die Wohngebiete der Stadt her und legten alles in Schutt und Asche. In dieser Nacht fanden viertausend unschuldige Menschen den Tod durch Splitter, Trümmer oder Phosphorbrand. Von Dahlenwarsleben aus konnten wir das brennende Magdeburg sehen. Eine rot leuchtende Feuerglocke überwölbte die Stadt.

      Meine Mutter brach noch zu Fuß in dieser Nacht nach Magdeburg auf, um zu sehen, ob auch unsere Wohnung getroffen worden war und wie es um unseren Vater stand. Er hatte glücklicherweise außerhalb unseres Hauses überlebt. Das Haus selbst aber hatte einen Volltreffer erhalten und war total zerstört. Es gab nichts mehr zu retten. Heimgekehrt schilderte uns unsere Mutter dann das schier unvorstellbare Inferno. Auf den Straßen liefen Menschen schreiend vor Schmerzen umher. Phosphor hatte ihre Kleidung durchsetzt und verbrannte sie bei lebendigem Leib. Auch wenn sie sich in den noch teils zugefrorenen Teich im Nordpark stürzten, brachte ihnen das keine Erlösung. Der Phosphor brannte auch im Wasser weiter.

      Bombardiert wurden mehr als tausend deutsche Städte und Ortschaften. Auf dreißig Millionen Zivilpersonen, überwiegend Alte, Frauen und Kinder, fielen nahezu eine Million Tonnen Sprengund Brandbomben. Mehr als eine halbe Million Todesopfer und der unwiederbringliche Verlust der seit dem Mittelalter gewachsenen deutschen Städtelandschaft waren zu beklagen (5).

      Erst vier Jahr später schuf die UNO mit der Genfer Konvention einen völkerrechtlichen Schutz für Zivilpersonen in Kriegszeiten. Geschähe das heute, wäre diese Missetat ein Kriegsverbrechen, ein moralisches wird es wohl bleiben.

      „Bringst du einen Menschen um, nennt man dich einen Killer und du kommst auf den elektrischen Stuhl, tötest du Millionen, wird dir ein Orden verliehen“ (unbekannter amerikanischer Verfasser).

      Eine normale Landstraße, von Nordost kommend, durchquert Dahlenwarsleben, öffnet sich in der Dorfmitte vor dem Rathaus und der Kirche zu einem Platz und führt dann weiter in Richtung Autobahn nach Magdeburg. Auf ihr war plötzlich ungewohnter Betrieb. Zurückflutende Wehrmachtsverbände strebten Richtung Magdeburg. Ein Befehlshaber verpflichtete den Bürgermeister dazu, eine Straßensperre bauen zu lassen, wohl um nachrückende alliierte Verbände aufzuhalten. Zwischen zwei eingeschossigen Einfachhäusern, die unmittelbar am Straßenrand standen, errichteten verfügbare Einsatzkräfte an jeder Seite einen massiven, mannshohen Steinsockel. Es verblieb ein etwa drei Meter breiter Zwischenraum, der mit einer herbeigeschafften Straßenwalze geschlossen wurde. Als nach Abzug der militärischen Verbände der Bürgermeister mit einigen Vertrauten wieder allein war, gelangte er zu der Einsicht, dass diese Sperre anrückende Panzer nur dazu einlud, sie zu umfahren, indem sie die am Rande stehenden, wackligen Hofgebäude einfach niederbrächen. Die Straßenwalze wurde zur Seite gefahren und die Passage wieder frei gegeben. Kurz darauf sah ich den Bürgermeister mit zwei Begleitern, in der Hand eine weiße Fahne, auf der Landstraße den sich nähernden Amerikanern entgegengehen. Nach einem kurzen Stopp und Entgegennahme der Berichterstattung des Bürgermeisters rückten die Amis in Dahlenwarsleben ein.

      Unter der Bevölkerung, besonders unter den Frauen, herrschte ein großes Angstgefühl. Wie wird das Ganze wohl enden? Vorsichtshalber verbargen sich alle in den Luftschutzräumen, wir uns im Keller unseres Hauses. Es geschah absolut nichts. Noch nicht einmal ein GI kam in den Keller, um nachzuschauen. Stattdessen hörten wir Klaviermusik. Die Amis machten es sich in unserem Wohnzimmer bequem und spielten Boogie-Woogie auf unserem Klavier. Für diesen Zweck hatten es meine Eltern ganz bestimmt nicht mit auf den Umzugswagen geladen.

      Eine der älteren Frauen im Keller, vermutlich die unattraktivste, fasste sich ein Herz und ging nach oben. Nach zwanzig Minuten kam sie zurück und war fassungslos. Das Haus war voller Uniformen, aber keiner der Soldaten nahm sie näher zur Kenntnis. Da sie kein Englisch sprach, wagte sie nicht, jemanden anzusprechen und Fragen zu stellen. Nach einem ungestörten Rundgang durchs Haus ging sie wieder zurück in den Keller und hatte die vage Empfehlung, man möge einfach nach oben gehen und den nicht mehr zu ändernden Dingen ins Auge sehen. Unsere Mutter zögerte, war jedoch damit einverstanden, dass ich mich oben umsah. Schon in der Diele sprach mich ein GI an und schenkte mir einen Kaugummi. Ich hatte so etwas noch nicht gesehen, ich zeigte ihn meiner Mutter. Um Himmelswillen, der könnte vergiftet sein. Die Kriegspropaganda wirkte noch immer. Der Kaugummi wurde sicherheitshalber entsorgt. Allmählich entspannte sich die Situation und alle Hausbewohner kehrten in ihre Zimmer zurück. Ein Offizier teilte die Räume neu auf. Die Hälfte des Hauses galt als beschlagnahmt für die US-Armee. Uns verblieb allein das Schlafzimmer. Das Wohnzimmer mit dem Klavier war ab sofort ein konfiszierter Sperrbezirk. Des Weiteren mussten alle Waffen auf schnellstem Wege abgeliefert werden. Der Bauer hatte herrliche Jagdgewehre mit ziselierten Läufen aus Suhler Produktion. Achtlos wurden sie über die Knie gebrochen und auf den Mist geworfen. Nachträglich wird sich sicherlich der eine oder andere der Offiziere geärgert haben, sie nicht als Souvenir mit nach Hause genommen zu haben.

      Wenn die Militärjeeps vorfuhren, umrundeten sie erst den zentralen Misthaufen und hielten dann vor der Haustür. Die Fahrer waren meist Schwarze. Einer von ihnen saß sehr lässig hinterm Steuer und zündete sich mit einem Feuerzeug eine Zigarette an. Das Feuerzeug hielt er etwa dreißig Zentimeter unter die Zigarette und plötzlich stieg eine gewaltige Flamme auf. Ich war fasziniert und hochgradig beeindruckt.

      Nach zwei Tagen wurde das zentrale Lebensmittel-Notlager für die Bevölkerung freigegeben. Alle liefen hin, auch unsere Mutsch. Sie kam aber mit leeren Händen zurück. Einen großen Sack Zucker hatte sie ergattert, als sie aber um die Ecke bog, stand ein Schwarzer mit herausforderndem Grinsen vor ihr. Den Sack fallen lassen und nichts wie weg, das wars dann.

      Hinter unserem Hofgrundstück erhob sich ein kleiner Hügel, der Rübenberg, dort stand ein Geschütz und feuerte in Richtung Magdeburg. Mein Bruder und ich hielten uns gerade in der Scheune auf, als ein heftiger Donnerschlag die Luft erschütterte und ein Regen aus handgroßen Splittern von Dachziegeln unversehens auf uns niederprasselte. Wie durch ein Wunder blieb ich unverletzt. Mein Brüderchen aber wurde getroffen, blutete aus einer großen Kopfwunde, war aber bei Bewusstsein. Mit angepresstem Taschentuch lief er über den Hof zum Wohnhaus und einem amerikanischen Militärarzt direkt in die Arme. Der nahm ihn sofort zur Seite, schnitt die Wunde frei und stillte sie mit einem darüber gestreuten Pulver. Unsere Mutter verband den Kopf und das Malheur war bald vergessen. Dem lieben Siegfried sind merkwürdigerweise derartige Missgeschicke noch mehrmals passiert. Diese gottgegebenen Kopfnüsse haben ganz gewiss zu seinen späteren außerordentlichen Schulleistungen beigetragen.

      Nach etwa zwei Monaten kam die Order: alle Umgesiedelten wieder zurück zum ursprünglichen Wohnort. Wer seine Wohnung durch die Bombardierung verloren hatte, erhielt eine neue Zuweisung. Die unsere hieß Barbarastraße im ehemaligen Kruppviertel. Ein geräumiges Einfamilienhaus, das nun für

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