Games | Game Design | Game Studies. Gundolf S. Freyermuth
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Mediengeschichtlich verbinden sich daher mit quartärer Medialität41 – dem Übergang zum digitalen Transmedium und seiner technisch fundierten Mehrweg-Kommunikation – Konsequenzen sowohl für die Produktion wie die Rezeption von Audiovisionen. Zum einen kommt es zu einer Verschmelzung gestalterischer Souveränität, wie sie handwerklicher Bildlichkeit eignet, mit den Qualitäten industrieller Reproduktion. Während die technische und ästhetische Entwicklung hyperrealistischer Audiovisualität in den 1970er bis 1980er Jahren noch primär im Kontext des – amerikanischen – Spielfilms und auf der Basis von Pre-Rendering geschah, realisieren seit den 1990er Jahren so genannte Game Engines, also Software-Entwicklungsumgebungen für digitale Spiele, das Potential quartärer Medialität zur echtzeitigen Erzeugung virtueller Bilder und Töne in – nahezu – ›fotorealistischer‹, d.h. lebensechter Qualität.42
Zum zweiten gelang auf Seiten der Rezeption eine Integration und drastische Steigerung der Rezeptionsweisen, die sich mit primärer, sekundärer und tertiärer Medialität verbinden. In der Virtualität lässt sich so erstmals dem Prinzip nach arbiträr zwischen fremdbestimmter, selbstbestimmter und interaktiver Nutzung medialer Artefakte wählen beziehungsweise wechseln. Damit scheint das digitale Transmedium einen historischen Um- oder auch Rückschwung im Hinblick auf das kulturell dominierende Verhalten gegenüber ästhetischen Artefakten einzuleiten.
Die weitgehende Stillstellung des Publikums – im Theater, im Museum, im Kino, vor Radio und Fernseher – war bekanntlich eine Leistung industrieller Kultur. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wurden Theatersäle zum Beispiel nicht abgedunkelt. Zeitgenössische Darstellungen und Beschreibungen dokumentieren, in welch hohem Maße das Publikum, das sich sehen und beobachten konnte und den Theaterbesuch als soziales Ereignis begriff, untereinander und auch mit den Schauspielern interagierte, etwa durch anfeuernde oder schmähende Zwischenrufe. Den kollektiven Tunnelblick, der vom lichtlosen Zuschauerraum auf die Bühne fallen muss, führte erst Richard Wagner in Bayreuth ein. Das Arrangement nahm als proto-cinematische Rezeptionsform so aus Gründen ästhetischer Sammlung die Abdunkelung vorweg, die wenig später der Film aus technischen Gründen erfordern sollte.
Das frühe Kino hatte dann ebenfalls einige Mühe, das – nun eher Unter- und Mittelschichtspublikum – von allzu viel Unruhe und Unmutsäußerungen abzuhalten, insbesondere vom Bewerfen der Akteure beziehungsweise der Leinwände mit Gegenständen, wie man es von Live-Veranstaltungen her gewohnt war. Der offensichtliche Zusammenhang zwischen dem, was die neuen industriellen Medien ihrem Publikum abverlangten, und dem, was die industrielle Lebensweise generell erforderte, ist vielfach bemerkt worden.43 Von der Dressur zum physisch und kommunikativ passiven, aber äußerst aufmerksamen Verfolgen immer schneller wechselnder Situationen in Kunst und Unterhaltung führt eine relativ direkte Linie zum einen zu den Erfahrungen, welche die neuen Verkehrsmittel Eisenbahn und dann Automobil vermittelten, und zum zweiten zu den Anforderungen industrieller Arbeit, die auf einem standardisierten passiven Verhalten beruhte, das wie fremdgesteuert wirkte, aber eben selbstgesteuert sein musste.
Digitale Wissensarbeit kennzeichnet dagegen selbständiges Handeln in kreativer und durchaus auch forschender, ausprobierender, also spielerischer Manipulation von Software-Programmen und Software-Dateien und ihren virtuellen Symbolen.44 Unter dieser Perspektive verwundert es nicht, dass im selben Maße, in dem diese digital ermächtigte Wissensarbeit – insbesondere in den so genannten ›creative industries‹ – zur wichtigsten Quelle ökonomischer Wertschöpfung wird, sich auch Veränderungen im kulturellen Verhalten gegenüber ästhetischen Artefakten einstellen. Das Spielerische, das vorindustriell viel galt, drängte der Industrialismus – angesichts der Gewalt und Gefahr, die von industriellen Maschinen und Prozessen ausgeht, auch mit einigem Grund – ins Private und dort auch an die Ränder des Hochkulturen. Harry Pross etwa schrieb, das Spiel gegen das Buch absetzend: »Im zweiten Sektor, dem der Freizeit und der Inkompetenz, ist das Spiel in seinen zahllosen Formen zu Hause.«45 Von dort allerdings kehrt es nun – im Zuge eines »movement from a culture of calculation to a culture of simulation«46 – ins Zentrum postindustrieller Zivilisation zurück. Der Widerspruch zwischen Arbeitsethik und Spielethik, den industrielle Rationalität behauptete und der in Fabriken wie Verwaltungen bestand, hebt sich sukzessive auf.
Mit einiger Konsequenz findet sich daher der fantasmatische Profanraum, in dem digitale Wissensarbeiter ihre ästhetischen Erfahrungen sammeln, nicht länger in der materiellen Realität, sondern in der Virtualität. Dort vollendet sich der Prozess entmaterialisierender Entortung, der mit dem Film begann: Wo auf der Bühne noch Menschen aus Fleisch und Blut stehen, zeigt das Kino Lichtbilder. Online streifen nun nach den Darstellern auch die Zuschauer, indem sie zu virtuellen Mitspielern werden, ihre Körperlichkeit zugunsten mediatisierter Präsenz ab. Digitale Spiele profitieren so von der sich mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeit verändernden Haltung des Publikums. Die Bereitschaft, sich über längere Zeiträume hinweg ausschließlich passiv unterhalten zu lassen, nimmt ab und umgekehrt steigt die Bereitschaft zu interaktiver Partizipation. Die Notwendigkeit zur eigenen Entscheidung, wie sie die meisten analogen und digitalen Spiele erfordern, nehmen Spieler eben nicht als Last wahr, sondern erleben sie lustvoll.
Zu differenzieren ist daher heute – im Doppelsinne: nach Harry Pross – zwischen Spielen primärer, sekundärer, tertiärer und quartärer Medialität. Basieren Spiele primärer Medialität auf realen Simulationen des Realen, Spiele sekundärer Medialität auf symbolischen Repräsentationen des Realen und Spiele tertiärer Medialität auf tele-auditiven oder tele-audiovisuellen Teilhaben an realen Simulationen des Realen wie symbolischen Repräsentationen des Realen, so ermöglichen digitale Spiele erstmals eine interaktive Teilhabe nicht nur an virtuell-echtzeitigen Simulationen symbolischer Repräsentationen des Realen, sondern vor allem auch an virtuell-echtzeitigen und hyperrealistischen Simulationen des Imaginären.
Auf Grund dieser einzigartigen medialen Eigenschaften scheinen digitale Spiele besser als andere Darstellungs- und Erzählformen den Erfahrungen kultureller Digitalisierung zu entsprechen: den sich wandelnden Wahrnehmungsweisen von Zeit und Raum und neuen Auffassungen, wie unter den Bedingungen digitaler Produktion und Kommunikation Menschen zu sein und zu handeln haben.
Wie das neue Medium zwischen der Mitte des 20. und dem Beginn des 21. Jahrhunderts sukzessive in drei Entwicklungsschüben, die Eigenschaften gewann, die es heute auszeichnen, schildern die nächsten Kapitel.
1 Lazarus, Moritz, »Das Leben der Seele in Monographien über seine Erscheinungen und Gesetze«, (1883). Zitiert nach Krämer, Sybille: »Ist Schillers Spielkonzept unzeitgemäß? Zum Zusammenhang von Spiel und Differenz in den Briefen ›Über die ästhetische Erziehung des Menschen‹«, in: Bürger, Jan (Hg.), Friedrich Schiller: Dichter, Denker, Vor- und Gegenbild, Göttingen: Wallstein-Verl. 2007, S. 158-171.
2 Salen/Zimmerman: Rules of Play, loc. 4730.
3 Diese Definition,