Games | Game Design | Game Studies. Gundolf S. Freyermuth
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2 Spiele in der Neuzeit. Eine kurze Mediengeschichte
Spiele sind Medien, das scheint unbestritten. Dennoch wird es selten unternommen, analoge oder digitale Spiele im Kontext der Geschichte und Theorie der Medien zu situieren. Gerade die deutsche Sprache verrät dabei deutlich die gemeinsame Herkunft und fortdauernde ästhetische Nähe des Spiels zu den wichtigsten anderen Varianten audiovisueller Darstellung, die in der Neuzeit aufkamen: Vom Bühnenspiel mit seinen Untergattungen Lustspiel, Trauerspiel, Singspiel oder Festspiel führt eine klare Linie zum Lichtspiel, das um 1900 mit den beiden Varianten Spiel- und Dokumentarfilm entstand, und von dort weiter über das Fernsehspiel zum Video- und Computerspiel.
SPIELE
Moritz Lazarus bemerkte bereits 1883, »dass die sprachgeschichtliche Herkunft des deutschen Wortes ›Spiel‹ auf eine leichte, ziellos schwebende, in sich zurücklaufende Bewegung verweise [...,] also auf eine Bewegung, die nicht in einem Aktionstunnel gefangen, die nicht auf einen Zweck hin fortschreitend gerichtet ist, sondern die sich auf Hin und Her, ein Vor und Zurück zwischen polaren Positionen bezieht.«1 Eine bis heute im Deutschen verbreitete Bedeutung von ›Spiel‹, die solch zielloses Hin und Her zum Kern hat, richtet sich auf eine meist unbeabsichtigte Bewegungsfreiheit innerhalb ineinandergreifender Maschinenteile: ›Die Lenkung hat zu viel Spiel.‹ Nicht anders definieren Katie Salen und Eric Zimmerman, wie bereits zitiert, menschliches Spielen: »Play is free movement within a more rigid structure.«2 Dass also die wichtigsten audiovisuellen Medien der Neuzeit im Deutschen denselben ›Nachnamen‹ tragen, der seine Wurzel in solcher Bewegung hat, zeigt an, was sie bei aller Verschiedenheit verbindet: das Prinzip des ästhetischen Spiels. Nach Friedrich Schlegel besitzt es stets auch narrativ-repräsentierende Züge und besteht darin, mit künstlerischen Mitteln den »Schein von Handlungen« zu erzeugen.3
Die digitalen Spiele der Gegenwart stehen so deutlich in der Kontinuität neuzeitlicher Audiovisualität. Insbesondere setzt sich mit ihnen der in der Renaissance begonnene Prozess steter Rationalisierung – Beschleunigung, Vereinfachung, Verbilligung – einer auf perspektivischem Realismus beziehungsweise später auf Fotorealismus und Hyperrealismus zielenden Bild- und Tonproduktion fort: von Albertis perspektivischem Fensterblick – »una finestra aperta«4 –, der mühsam manuell konstruiert werden musste, zur echtzeitigen Bildkonstruktion mittels Real-Time 3D Engines. Wie einst die industriellen Medien Film und Fernsehen keinen radikalen Bruch mit dem vorindustriellen Medium Theater bedeuteten, sondern auf vielfältige Weise dessen ästhetische Interessen auf höherem technologischen Niveau fortsetzten – etwa die optische Funktionalisierung des Blicks oder das Jahrhunderte lange Streben nach einem audiovisuellen Gesamtkunstwerk –, so sind nun die digitalen Spielformen der Gegenwart den älteren Medien Theater, Film und Fernsehen mehr als von Ferne verwandt.
Historisch freilich geht das Spielen allen audiovisuellen Repräsentationen voraus. Denn es ist wie Chris Crawford in seiner »Phylogeny of Play« argumentiert, älter als die Menschheit:5 Spielerisch simulieren bereits viele Tierarten realweltliche Bewegungsabläufe, etwa die Jagd, um sie in einiger Sicherheit einzuüben. Auf solche Weise zu spielen und darüber hinaus kompliziertere regelbestimmte Spiele zu entwickeln, erscheint auch als ein Grundbedürfnis des Homo sapiens. Zu den frühesten Zeugnissen menschlicher Kultur gehören Brettspiele wie das SENET (Ägypten, 3100 v. Chr.) oder das KÖNIGLICHE SPIEL VON UR (Sumer, 2600 v. Chr.). Im fünften Jahrhundert vor Christus beschrieb der griechische Historiker Herodot gar, wie es angeblich 700 Jahre zuvor die kleinasiatischen Lyder, denen auch die Erfindung des Gelds zugeschrieben wird, durch Brett-, Würfel- und andere Spiele vermochten, eine langwährende Hungersnot erst über Jahre hinweg zu ertragen und dann mit einem letzten Spiel auch einer Lösung zuzuführen, die dem Überleben des Gemeinwesens diente.6 Die Game-Design-Theoretikerin Jane McGonigal vermutet in dieser historischen Funktion analoger Spiele auch die Zukunft digitaler:
»When Herodotus looked back, he saw games that were large-scale systems, designed to organize masses of people and make an entire civilization more resilient. I look forward to a future in which massively multiplayer games are once again designed in order to reorganize society in better ways, and to get seemingly miraculous things done.«7
Der positiven Nutzung wie Bewertung von Spielen korrelieren freilich ebenso durchgehend fundamentale Kritik und wiederkehrende Verbotsanstrengungen. Frans Mäyrä spricht von der »continuous history of bans or restrictions on games playing«.8 In der westlichen und christlich geprägten Neuzeit reichen sie von den vielfachen Anstrengungen britischer Könige, zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert Vorformen des modernen Fußballs zu verbieten,9 über den Bann von Flipper-Automaten, der in New York zwischen den 1930er und 1970er Jahren galt,10 bis zu den in der Gegenwart immer wieder aufflackernden Verbotsrufen für so genannte »Killerspiele«. In historischer Sicht, schreibt Jesper Juul, sei »the current preoccupation with the assumed dangers of video games […] a clear continuation of a long history of regulation of games as such …«11 Der Kulturkampf ums Spielen und einzelne Spielformen bildet so den sozialen Rahmen für die theoretisch orientierte Mediengeschichte des Spiels in der Neuzeit, die dieses Kapitel skizzieren will.
Ihr kategoriales Gerüst geht auf Harry Pross' Studie zur Medienforschung zurück.12 In ihr unterscheidet Pross verschiedene Medialitäten nach »der Apparatur des Mitteilungssystems«,13 d.h. nach dem Maß des jeweiligen Technikeinsatzes. Da jedoch stetem Wandel unterliegt, welche Technologien und Techniken kulturell zur Verfügung stehen, besitzt Pross' Ansatz den Vorteil, zugleich systematisch und historisch zu operieren. Damit erlaubt seine Theorie der Medialitäten die Geschichte der Medien als einen Prozess progressiver Akkumulation und Ausdifferenzierung zu verstehen.
PRIMÄRE, SEKUNDÄRE UND TERTIÄRE MEDIALITÄT
Primäre Medien erfordern noch keinerlei Technik. Bei ihnen »kommt es darauf an, spezielle Kenntnisse in einer Person zu verschmelzen.«14 Pross nennt für die Kommunikation z.B. Gestik, Mimik sowie vorsprachliche und sprachliche Geräusche. Zu den Formen, die Ästhetisches vermitteln, gehören u.a. Rituale und Zeremonien. »Gemeinsam ist ihnen allen, daß kein Gerät zwischen den Sender und den Empfänger geschaltet ist und die Sinne der Menschen zur Produktion, zum Transport und zum Konsum der Botschaft ausreichen.«15 Von primärer Medialität sind nach Pross' Kriterien – auch wenn er sie nicht nennt – vortechnische Varianten des Theaters wie etwa Improvisations- und Straßentheater sowie Spiele, die ohne Technikeinsatz auskommen: etwa physische Bewegungsspiele wie FANGEN oder VERSTECKEN oder Geschicklichkeitsspiele wie SCHERE, STEIN, PAPIER.
Für sekundäre Medien gilt dann: »Der Kommunikator braucht ein Gerät.«16 Gemeint ist: um die jeweiligen Medien zu verfertigen – Bilder wie Zeichnungen, Gemälde, Karikaturen oder