Games | Game Design | Game Studies. Gundolf S. Freyermuth
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Der Prozess, in dem der Fußball schließlich seine moderne Gestalt fand, nahm seinen Ausgang in den britischen Public Schools des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, insbesondere Rugby und Eton. Sportliche Betätigungen und vor allem Fußball gewannen sowohl in ihrem Curriculum wie auch für ihr Selbstverständnis eine wesentliche Rolle. Erst innerschulisch, später zwischen den Schulen kam es, um Turniere zu ermöglichen, zu einer sukzessiven Kodifizierung und Standardisierung von Regeln. In einem zweiten Schritt drang dann im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das Fußballspiel aus der Oberschicht- und Obere-Mittelklasse-Welt dieser Schulen in breitere Bevölkerungsgruppen: »Almost from the moment of its codification football was colonized by the British working classes as both players and spectators.«27
Diese Popularisierung des Fußballs folgte im Mutterland der Industrialisierung und in deren Zentren weitgehend dem Vorbild bereits etablierter, in der aristokratischen und bürgerlichen Kultur verwurzelter Sportarten wie Pferderennen, Rudern, Boxen oder Kricket: Einigung verschiedener regionaler Clubs auf gemeinsame Regeln und Prozeduren, Bildung von Ligen und Ausrichtung regionaler und nationaler Meisterschaften. Die dafür wichtige Standardisierung des Balls im Hinblick auf Größe und Beschaffenheit gelang 1872.28 Die Rolle des Feldschiedsrichters wurde 1881 eingeführt, wenn er seine heutige Funktion auch erst 1898 gewann.29 1882 erhielt das Tor eine Latte, 1892 ein Netz.30 Um die Mitte der 1880er Jahre setzte dann – trotz bestehender Verbote – die Verdrängung von Amateuren durch bezahlte Berufsspieler ein. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs bestritten in England um die 5000 Profis ihren Lebensunterhalt mit Fußball.31
Im Kontext dieser Professionalisierung des neuen Volkssports industrieller Kultur vollzog sich auch seine Medialisierung. Ein erster Schritt bestand – wie schon in der neuzeitlichen Medialisierung des Schauspiels – in der Errichtung spezialisierter Gebäude, die es immer mehr Menschen erlaubten, dem Spiel aus zumindest erträglichen Perspektiven zu folgen. Binnen weniger Jahrzehnte wuchsen diese neuartigen Fußballstadien in Großbritannien auf Kapazitäten, die das römische Kolosseum als bis dahin größten Vergnügungsbau der Geschichte mit seinen 50-80 000 Sitzplätzen erreichten und übertrafen. So fasste das 1907 fertiggestellte Stadium in Glasgow, damals für einige Zeit das größte der Welt, über 120 000 Zuschauer.32
Parallel dazu begannen vielfältige Anstrengungen, Fußballspiele und ihre Ergebnisse zumindest post festum auch denjenigen zugänglich zu machen, die an ihnen nicht persönlich teilnehmen konnten. Seit den 1880er Jahren wurden die Ergebnisse wichtiger Begegnungen per Telegraph in entfernte Städte übertragen, um sie in Postämtern und Lokalen zu verkünden.33 Zeitschriften und Zeitungen rund um den Fußball entstanden und erreichten immer höhere Auflagen. Die Wochenzeitung Scottish Referee, gegründet 1888, wurde beispielsweise im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, als Schottland fünf Millionen Einwohner zählte, in einer Auflage von 500 000 Exemplaren vertrieben.34 1907 veröffentlichte die britische Daily Mail die ersten Fotos von Fußballspielen.35
Der entscheidende nächste Schritt dieser Medialisierung bestand dann darin, Spiele live zu übertragen. Im Radio geschah dies zum ersten Mal im Januar 1927, drei Wochen nach der Gründung der BBC.36 Damit war Fußball in der tertiären Medialität angekommen. Die erste Fernsehübertragung, wiederum durch die BBC im noch experimentellen Sendebetrieb, wurde bereits ein Jahrzehnt später ausgestrahlt, im September 1937.37 In den Gründerjahren des Fernsehens, den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, gingen – zumindest in Großbritannien und Kontinentaleuropa – Fußball und Fernsehen eine symbiotische Beziehung ein: Neben der Übertragung von Spiel- und Unterhaltungsshows sowie der Ausstrahlung von Spielfilmen trug Fußball entscheidend dazu bei, dass die Television zum neuen Leitmedium der Epoche aufstieg. Umgekehrt sorgte die Integrierung des Sports ins tertiäre Massenmedium durch Live-Übertragungen, Meldungen in den Nachrichtensendungen und eigene Sportschauen dafür, dass Fußball von einem proletarischen Mitmachspiel britischer Provenienz zu einem globalen, alle Klassen begeisternden Spiel wurde, das die Mehrheit der Menschen primär als Zuschauer erlebte.
Mit dem Aufkommen analog-elektronischer und dann digitaler Spiele seit den 1960er Jahren migrierte Fußball unmittelbar auch in diese neuen Medien. Das erste elektro-mechanische Fußballspiel CROWN SOCCER SPECIAL erschien 1967.38 Viele andere Arkaden- und PC-Spiele folgten. Der entscheidende Durchbruch gelang jedoch erst mit Fußballmanager-Spielen seit Anfang der neunziger Jahre. Erfolgreich waren vor allem ANSTOSS – DER FUßBALLMANAGER (1993-2006), FIFA INTERNATIONAL SOCCER und FIFA (seit 1993) sowie PRO EVOLUTION SOCCER (seit 2001). Allein von den diversen Inkarnationen der FIFA-Serie verkaufte Electronic Arts bis 2010 nach eigener Auskunft 100 Millionen Exemplare.39 Digitale Fußballspiele leiten so eine neue Phase massenhaft aktiver, allerdings nun nicht mehr realer, sondern virtueller Teilhabe ein. Fußball scheint erneut von einem Zuschauer- zu einem Spielersport zu werden. Wer heute einen Raum betritt und Menschen vor einem HD-Bildschirm sitzen sieht, kann sich – zumindest aus einiger Entfernung – auf Anhieb nicht mehr ganz sicher sein, ob dort ein Match ›läuft‹ und ›geschaut‹ wird oder ob die vermeintlichen Zuschauer nicht doch das Spiel selbst spielen.
QUARTÄRE MEDIALITÄT: VOM ZUSCHAUER ZUM SPIELER
Als Harry Pross vor einem halben Jahrhundert seine Taxonomie der Medialitäten vorlegte, war die Entwicklung des digitalen Transmediums – vor allem im Kontext europäischer Kultur – kaum absehbar. Insofern muss sie aus heutiger Sicht ergänzt und auch partiell korrigiert werden. Zwar erforderten die tertiären Medien, wie Pross erkannte, auf beiden Seiten des Kommunikationsprozesses Technik. Mit Blick auf die Digitalisierung ist diese Sende- und Empfangstechnik jedoch näher zu bestimmen. Denn die analogen Massenmedien Radio und Fernsehen erlaubten lediglich die Übermittlung fixierter und standardisierter Werke in eine Richtung: von wenigen Produzenten beziehungsweise Sendern zu vielen Konsumenten beziehungsweise Empfängern. Die Zuhörer und Zuschauer konnten nicht ›zurücksenden‹. Sie vermochten also weder mit den Anbietern der Programme oder mit dem Programmangebot selbst noch untereinander zu interagieren. Insofern lässt sich Pross' Definition tertiärer Medialität aus gegenwärtiger Sicht dahingehend ergänzen, dass es sich bei der Technik, die bei den Broadcast-Medien zum Einsatz kommt, prinzipiell um Einweg-Technik handelt: Sie ermöglicht dem Empfänger kein Rücksenden und verhindert umgekehrt, dass die Sender wie die gesendeten Werke Rückmeldungen empfangen können.40
Im Zuge der Digitalisierung entstand dann eine weitere Medialität, die wiederum auf beiden Seiten des Kommunikationsprozesses Technik einsetzt, jedoch prinzipiell über Rückkanäle verfügt – ob dieses Potential zur Interaktion den Nutzern nun zur Verfügung gestellt wird oder nicht. Denn auch unter digitalen Produktions- und Distributionsbedingungen folgen die Hersteller