Der Televisionär. Группа авторов
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Im Alltag des Wiederaufbaus wirkte der Fernsehschirm wie ein technisch eröffnetes zusätzliches Fenster auf neue Realitäten. Vorrangiges Ziel des öffentlich-rechtlichen Fernsehens war es, sowohl demokratische Werte als auch westeuropäische Positionen im Kalten Krieg zu vermitteln. Zweifelsfrei stiftete die Television bald mehr als jedes andere Medium bundesdeutsche Identität. Inhaltlich setzte sich das Fernsehprogramm – wie in den meisten Ländern – zu einem hohen Teil aus Darbietungen zusammen, die anderen Medien entstammten. Zum Ersten waren Live-Übertragungen von Theater- und Opernaufführungen, von Ballett- oder Kabarettabenden, von sportlichen oder politischen Ereignissen an der Tagesordnung.6 Zum Zweiten strahlten die Sender eine Vielzahl älterer Spielfilme aus. In den 1950er Jahren avancierte das Fernsehen weltweit so zum ersten Kinomuseum: Es ermöglichte ein Wiedersehen mit Tausenden filmischer Werke, die bis dahin in den Archiven der Studios unzugänglich lagerten. Zum Dritten wurde eine Reihe informativer und unterhaltender Radiosendungen – etwa Werner Höfers legendärer Internationaler Frühschoppen – relativ unverändert ins Fernsehen übernommen.
Fernsehspezifische Formen wie Krimi- und Familienserien, Fernsehspiele und Talkshows bildeten sich erst allmählich aus. Mit über 100 Drehbüchern für TV-Serien und Fernsehspiele wie auch als erratischer Talkshow-Moderator leistete Wolfgang Menge dafür Bahnbrechendes.
2 Spiel mit seriellem Verbrechen: Von Stahlnetz zu Tatort
Zum Fernsehen gelangte Wolfgang Menge, nachdem er 1957 aus Asien zurückgekehrt war, auf zwei voneinander recht unabhängigen Wegen, wie er im Rückblick selbst analysierte: einmal vom Journalismus und einmal von der Literatur herkommend.7 Der erste Einstieg begann im Funkhaus an der Hamburger Rothenbaumchaussee. In der Kantine traf er einen alten Bekannten, Jürgen Roland, ein Jahr jünger als Menge. Nach einer Schulung beim BBC arbeitete Roland seit 1950 als Radioreporter. Seit 1953 betreute er zusätzlich die journalistische Fernsehsendung Der Polizeibericht meldet ...8 Die Reihe lief jedoch nicht sonderlich gut. Roland bat Menge um Hilfe:
»Der sagte: Hör mal zu, du hast doch früher immer solche Tatsachenberichte geschrieben, über Morde und so. Ich habe hier eine Sendung, die wollen die mir abwürgen [...] Kannst du mir da nicht irgendwas [schreiben]?«9 – »Da hab ich gesagt ... weil ich schon als Reporter gelernt hatte ... mit Dialogen in Reportagen zu arbeiten [...]: Du musst nicht einfach so trocken erzählen, du musst das mit Dialogen machen, mit Schauspielern. Und dann haben wir das gemacht, das war, glaube ich, sieben oder acht Minuten lang, [...] um ihm zu zeigen, was ich meine.«10
Das Prinzip – die Ersetzung loser Folgen von Einzelmeldungen durch längere Tatsachenberichte mit eingefügten Spielszenen – hatte Erfolg. Die Sendung erhielt mehr Zeit und auch einen neuen Namen: Stahlnetz.11 Der Weg aus dem Journalismus in fiktionale bzw. faktionale Spielformen, der Wolfgang Menges gesamte Karriere in den audiovisuellen Medien prägen sollte, war zum ersten Mal vollzogen. Ein Jahrzehnt lang sollte er nun als alleiniger Autor die erste deutsche Fernsehkrimi-Serie schreiben: Die Auftakt-Folge wurde im März 1958 ausgestrahlt, die letzte im März 1968.12 »Und irgendwann habe ich mir auch einen Fernsehapparat gekauft und diese Dinge angesehen.«13
Neben Jürgen Rolands Hintergrund journalistischer Fernsehreportagen und Wolfgang Menges Erfahrungen mit angelsächsischen Print-Reportagen hatte Stahlnetz freilich noch eine dritte Quelle: die populäre amerikanische Kriminalserie Dragnet, die von 1949-1957 für das Radio und von 1951-1959 für das Fernsehen produziert wurde14 und von der Menge vermutlich einige Folgen in Hongkong gehört und gesehen hatte. Von Dragnet übernahmen er und Roland nicht nur den eingedeutschten Namen und die prägnante Titelmelodie, sondern auch das zentrale Stilmittel der Voice-Over-Erzählung, dessen Ursprung im Radio wie im Film Noir lag, sowie die ausdrückliche Betonung des Authentischen im Vorspann. Die Sätze »Ladies and gentlemen: the story you are about to see is true. Only the names have been changed to protect the innocent« des amerikanischen Originals verwandelten sich in der deutschen Version zur Schrifttafel: »Dieser Fall ist wahr. Er hat sich so zugetragen[,] wie wir es zeigen.« [Abb. 2]
Darüber hinaus hatte Stahlnetz mit Dragnet allerdings wenig gemeinsam. Die deutsche Serie zeigte die Verbrechensermittlung, nicht zuletzt ihrem dokumentarischen Ansatz folgend, als eine eher gemächliche und weitgehend unspektakuläre Tätigkeit ganz normaler Beamter. Dass die ermittelnden Kommissare in der Regel auch die Erzähler aus dem OFF waren, verstärkte die staatstragende Perspektive. Christiane Hartmann spricht gar von einer »erzieherische[n] Absicht der Reihe: Es galt, das während der noch nicht lange zurückliegenden NS-Zeit erschütterte Vertrauen in die Ordnungsmacht Polizei wieder herzustellen.«15 Indirekt bestätigte Wolfgang Menge diese Sicht, indem er kurz nach Ende der Serie einräumte, dass er die vermeintlich berichteten Tatsachen den erzählerischen Anforderungen einer Kriminalhandlung durchaus angepasst hatte:
»[ ... ] dokumentarisch war es dennoch nicht ganz, weil ich oft was verändern mußte. Schon weil die Polizei unvermeidlich oft und das weiß sie hinterher dann auch besser, Fehler macht. Und wenn ich die komplett zeigen würde, würden sich die Leute totlachen. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber es hätte dem Sinn der Sendung nicht unbedingt entsprochen.«16
Im Vergleich mit durchschnittlichen Kinofilmen, wie sie dem TV-Publikum vertraut waren, fielen die billigen NDR-Fernsehproduktionen zwar ästhetisch eher bescheiden aus; zumal in den ersten Jahren. Um aber die behauptete faktische Authentizität auch als ästhetische Anmutung herzustellen, experimentierten Menge und Roland mit zwei sehr unterschiedlichen und in der Kombination ungewöhnlichen Stilmitteln: einerseits mit einer Verwendung dokumentarischer Aufnahmen inmitten inszenierten Materials, andererseits mit einer an die Kriminalwelten des Film Noir gemahnenden Mise en Scène.17 [Abb. 3] Die Spielszenen prägte Menges spezifische Lakonik. Sein Stahlnetz-Stil, schrieb ein Kritiker 1962, zeichnete
»sich durch dokumentarische Nüchternheit, durch genau nuancierte Alltäglichkeit, durch einen trockenen Realismus aus, der seine Wirkung tat dank weitgehendem Verzicht auf Pathos. Menge rekonstruierte Fälle aus der Arbeit der Kriminalpolizei für den Bildschirm, ohne je sich der Gefahr auszusetzen, ein Kriminalstück zu schreiben; seine Menschen waren beiläufig, aber treffend charakterisiert, was sie sagten, war ein sehr umsichtiger Wortwechsel mit der Wirklichkeit.«18
Gerade in der Rohheit und Aggressivität seiner Stilmischung wirkte Stahlnetz im Fernsehen der frühen Jahre spektakulär.19 Bei nicht wenigen Folgen waren denn auch um die 90 Prozent aller bundesdeutschen TV-Apparate angeschaltet.20 Dennoch kam die ebenso fruchtbare wie erfolgreiche Kollaboration von Wolfgang Menge und Jürgen Roland, die neben den Stahlnetz-Folgen ja auch mehrere Spielfilme produziert hatte, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre zu ihrem Ende.21
Als Nachfolgeprojekt entwickelte und schrieb Menge zwischen 1969 und 1972 für den WDR – parallel zu mehreren, heute klassischen Fernsehspielen22 – eine neue Krimireihe. Ihr Held sollte ein Zollfahnder namens Kressin werden.