Der Televisionär. Группа авторов

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Kino der dreißiger und vierziger Jahre. Den Effekt der Authentizität nutzten zunächst sozialkritische und sozialreformerische Fiktionen, Ende der dreißiger Jahre dann Werke, die der Propaganda und gewalttätigen Expansion des Dritten Reichs opponierten. Schon Confessions of a Nazi Spy23, der erste in der Reihe so genannter Anti-Nazi-Filme, betonte nicht nur die Basierung der Handlung auf einem Tatsachenbericht, dem autobiographischen Bestseller eines FBI-Mannes. Die damals umstrittene Produktion arbeitete auch in hohem Maße mit Bild- und Tonelementen, die dem Publikum aus den tönenden Wochenschauen bekannt waren und daher eine Faktizität der Spiel(film)handlung simulierten.24

      Welles war daher gezwungen, seine audiovisuelle Faktion um das geheimnisvolle Leben eines allmächtigen Pressebarons – modelliert nach dem lebenden Vorbild William Randolph Hearst – dem Medium des Kinofilms anzupassen. Dies gelang ihm, indem Citizen Kane die Zuschauer zunächst dort abholte, wo das Versprechen eines Unterhaltungsfilms sie hingelockt hatte: im Genre der Fiktion. Die legendären ersten Minuten, die nächtliche Annäherung an Xanadu und das Sterbezimmer Kanes, operieren stilistisch mit Mitteln des expressionistischen Schauerfilms und der Film-Noir-Investigation. Ein harter Schnitt katapultiert den Film dann jedoch in das nonfiktionale Genre der Wochenschau. Der zehnminütige Beitrag der fiktiven News on the March war stilistisch von einer regulären March of the Time-Produktion bis zur Verwendung scheinbar historischen, beschädigten Bildmaterials nicht zu unterscheiden. Schließlich mündete die vermeintliche Wochenschau in den Blick hinter die Kulissen des Mediums und damit in den reportagehaften Hauptteil des Films. Er prätendiert, die journalistische Recherche zu dokumentieren, in deren Verlauf Mosaikstein für Mosaikstein und notwendig nonlinear Kanes Leben rekonstruiert wird.

      Beides, der Einblick in die Verfahren der Medienproduktion und die Rekonstruktion der Tatsachen durch Recherche, sollte in den TV-Faktionen der sechziger und siebziger Jahre eine wesentliche Rolle spielen. In seiner Kinojugend bekam Wolfgang Menge freilich von diesen amerikanischen Filmen der Vorfernsehjahre wenig mit. Partiell nur konnte er, konnte das deutsche Publikum das Versäumte nach dem Krieg nachholen. Citizen Kane wurde in Westdeutschland 1962 gezeigt, Confessions of a Nazi Spy und andere Anti-Nazi-Filme, obwohl oder gerade weil an ihnen deutsche Emigranten prominent mitwirkten, erst in den siebziger Jahren. Wesentlicher aber war, dass sich mit dem Fernsehen nun ein audiovisuelles Medium durchsetzte, das wie das Radio, in dem einst Welles War of the Worlds inszenierte, live berichterstatten konnte.

      Vor allem zwei Besonderheiten zeichneten sein Programm aus: einerseits die kombinatorische Abfolge traditionell (ab-) geschlossener Medienwerke mit im Ausgang prinzipiell offenen Live-Sendungen, andererseits die mediale Integration dokumentarisch-faktischer Berichterstattung und inszeniert-fiktionaler Unterhaltung. In jedem der vier Bereiche hatten sich in den 1960er Jahren distinktive Formen und Formate ausgebildet. Deren Spezifika ermöglichten den zunehmend erfahrenen Fernsehzuschauern binnen Sekunden nach Zuschaltung die Orientierung, ob sie die Ausstrahlung einer aufgezeichneten Serie sahen oder eine Live-Übertragung beziehungsweise ob sie in eine Spielhandlung oder in nonfiktionale Genres wie Nachrichten, Magazin oder Dokumentation geraten waren. Ästhetisch eröffnete dieser Entwicklungsstand des Mediums – wie einst die Ausbildung nonfiktionaler Formen im Film und im Radio – das Potenzial zur Hybridisierung.

      4 Spiel mit der Faktionalität I: War Game und Die Dubrow-Krise

      Im Laufe der sechziger Jahre erweiterte sich das bundesdeutsche TV-Angebot mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) und dann den dritten ARD-Programmen vom Monopol des Ersten Programms zum öffentlich-rechtlichen Oligopol. Seit Mitte des Jahrzehnts dominierten Fernsehsendungen das öffentliche Bewusstsein und Leben, ablesbar an Wasserverbrauch und Verkehrsaufkommen. In einer Vielzahl von Experimenten bildeten sich einerseits neue soziale Strukturen und kulturelle Normen heraus, andererseits die meisten jener ästhetischen Formen – etwa Serie, Show, Magazin –, die für den Rest des Jahrhunderts das deutsche TV-Programm prägen sollten. 1967 wurde in der Bundesrepublik das Farbfernsehen eingeführt, zwei Jahre später auch in der DDR. Erst mit dieser gesteigerten fotorealistischen Wirkung wurde das Fernsehen zum zentralen, der medialen Konkurrenz von Film und illustrierten Magazinen überlegenen Mittel der Welterfahrung. Um 1970 vollendete sich so der Aufstieg des Fernsehens von einem Massenmedium unter anderen zum kulturellen Leitmedium, d. h. zu dem Medium, das die Weltwahrnehmung, das Menschenbild und die Wertvorstellungen der Zeitgenossen dominierte.

      Diesem nachhaltigen Wandel der Rolle, die das Fernsehen innerhalb der zeitgenössischen Kultur spielte, korrelierten ästhetische Experimente innerhalb des Mediums selbst, die seiner Zukunft wie generell der medialen Zukunft die Bahn zu brechen suchen. Dabei formten sich nicht zuletzt neue Erzählweisen, die dem Fernsehen zuvor unbekannt waren. Zu ihnen gehörte die aufkommende TV-Faktion. Ihr selbstreflexives Spiel mit der eigenen Medialität

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