Seelenzerrung. Winfried Thamm

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Seelenzerrung - Winfried Thamm

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Hinter dem Empfang aus rosa und schwarzem Granit, spiegelglatt poliert, spricht ihn ein junger Mann mit Gelfrisur und weinroter Hoteluniform mit dezent gedämpfter Stimme an: „Was kann ich für Sie tun, mein Herr?“

      Kleinmann erschrickt und antwortet: „Ich hätte gerne … äh, also ein Zimmer für eine Nacht nur. Haben Sie da … ist da noch was frei bei Ihnen, ich meine im Hotel, hier so?“

      Der Rezeptionist mustert Kleinmann von oben bis unten, hebt kaum sichtbar die Mundwinkel zu einem herablassenden Schmunzeln und fragt:

      „Standard, Komfort oder Luxussuite, mein Herr?“ Die Arroganz im Ton ist eklatant.

      Schnösel, denkt Kleinmann.

      „Was kostet denn ein Standardzimmer?“

      „168 Euro, mit Frühstück 188“, antwortet Schnösel, ohne ihn dabei anzusehen.

      „Was? Zwanzig Euro nur für ein Frühstück?“

      „Buchen oder nicht? Mit oder ohne Frühstück? Wie entscheiden der Herr?“, fragt Schnösel leicht entnervt.

      „Nehmen Sie es mit Frühstück. Es ist teuer, aber großartig!“, kommt plötzlich eine etwas heisere Frauenstimme von hinten. „Ein Buffet, das keine Wünsche offenlässt, so steht es im Prospekt, und das stimmt sogar.“

      „Guten Abend Frau Waldau, darf ich Ihr Baby in Obhut nehmen?“, katzbuckelt Schnösel mit gekünsteltem Lächeln.

      „Baby? Was? Wo?“ Kleinmann dreht sich verwirrt um.

      „Nein, keine Angst! Ich hab’ kein plärrendes Kleinkind“, lacht die Frau. „Das hier ist mein Baby, auf das er aufpassen soll“, und zeigt auf einen großen Koffer in Form einer Geige, den sie dem Rezeptionisten an der Theke vorbei übergibt.

      „Ach, Sie sind Cellistin?“

      „Ja, sieht wohl so aus. Und Sie sind … Sherlock Holmes?“ Sie lächelt ironisch.

      Kleinmann wird rot, wegen seiner dummen Frage.

      „Sie entschuldigen?“, sagt sie noch, nimmt ihren Schlüssel, und verschwindet mit Hüften schwingendem Gang Richtung Aufzüge. Ihr roter üppiger Lockenkopf wippt dabei auf und nieder, als wolle er ihm winken. Das hätte er gerne. Ihre schlanke Gestalt umspielt ein grünes, weit geschnittenes langes Samtkleid. Ihr Schritt auf den rostbraunen Pumps ist selbstbewusst und sicher. Kleinmann schätzt sie auf Anfang vierzig und ist beeindruckt.

      Der blutrote Lippenstift und die stark geschminkten Augen waren schon etwas zu heftig, denkt er. Aber: Hammerfrau, absolut!

      Kleinmann grinst über seine losgetretenen Fantasien.

      „Standard, mit Frühstück“, ordert er kurz angebunden, erledigt die Anmeldung und bekommt seine Schlüsselkarte. Auch er wendet sich dann Richtung Aufzüge. Die Musikerin ist schon gen Himmel gefahren.

      Auf dem Zimmer im zwölften Stock nimmt Kleinmann einen Whisky aus der Minibar, stellt sich ans Panoramafenster und genießt die Aussicht über das abendliche Frankfurt.

      Das ist Leben, denkt er. Wenn ich das meiner Doppelkopfrunde erzähle: Fünf Sterne, hoch über Frankfurt, knapp unterm Himmel. Und dann eine Cellistin kennengelernt. Frau Waldau! Klingt wie … Waldorf-Astoria oder … Waldorf-Salat, jedenfalls nach großer weiter Welt. Eine Cellistin! Gibt es etwas Erotischeres als eine schöne Frau mit diesem Instrument zwischen den Beinen. Sind ja auch meist Frauen, die das spielen, oder? Komisch.

      Kleinmann geht unter die Dusche, zieht frische Kleidung an. Zwischendurch nimmt er immer wieder einen kleinen Schluck Whisky und wirft einen Blick auf die erleuchtete Stadt. Er fühlt sich kosmopolitisch, polyglott, weltmännisch, international: großartig! Er schaut in den großen Spiegel, lächelt sich etwas verlegen an und sagt. „Na ja, gar nicht so übel.“ Ganz nebenbei, als wolle er es vor sich selbst verheimlichen, nimmt er seinen Ehering ab und steckt ihn in die Hosentasche.

      Mit einer unbestimmten Erwartung fährt er hinunter ins Erdgeschoss und betritt die Bar. Gedimmtes Licht, wieder rosa und schwarzer Granit, grau getönte Spiegel, sparsame blaue Farbakzente, kleine Ledersessel, runde Tischchen, glitzernde Gläser und Flaschen hinter der Theke, ein schwarzer Flügel links. Kleinmann setzt sich an die Bar, bestellt einen Scotch, hätte lieber ein kühles Bier, aber in so einem Haus muss man Whisky trinken. Der Barmann nickt freundlich, bringt das schwere Glas. Im Spiegel hinter der Bar entdeckt Kleinmann auf dem Tisch neben dem Flügel einen Teller mit Kanapees und ein Glas Rotwein. Gerade als er sich wundert, wer das denn hinterlassen hat, so unberührt, betritt eine Frau ganz in Schwarz, mit rotem Haar als Pferdschwanz gebunden den Raum und setzt sich an das Tischchen mit der kleinen späten Mahlzeit. Kleinmann beobachtet sie unverhohlen über den Spiegel hinter der Theke.

      Das ist doch die Cellistin, genau. Die hat sich umgezogen. Ist hungrig nach so viel Kunst. Die haut aber ganz schön rein. Habe auch schon länger nichts mehr gegessen. Na ja. Der Spiegel ist gut, so kann ich sie …

      Plötzlich treffen sich ihre Blicke und diese etwas heisere Stimme sagt: „Bevor Ihnen die Augen aus dem Kopf fallen, setzen Sie sich besser zu mir. Ich will nicht schuld an ihrer Erblindung sein. Ihrem Blick nach zu urteilen, sind Sie ja ziemlich hungrig. Ich hoffe, nur auf meine Tapas.“

      Sie lacht ein kleines Glucksen und schaut ihn an, dass ihm die Schamesröte ins Gesicht steigt.

      „Das ist sehr freundlich … ich meine sehr nett von Ihnen. Wenn Sie erlauben.“

      Kleinmann knöpft sein Jackett zu, geht auf sie zu, gibt ihr die Hand, zum Handkuss fehlt ihm der Mut, verbeugt sich leicht und sagt:

      „Kleinmann, Guido Kleinmann, mein Name.“

      Dann setzt er sich in einen dieser kleinen Cocktailsessel und schlägt die Beine übereinander und weiß nicht mehr weiter.

      „Ich heiße Hanna Waldau. Herr Kleinmann, greifen Sie zu. Die Tapas sind viel zu viel für mich. Tagsüber kam ich nicht zum Essen und direkt vor dem Konzert darf ich nicht. Dann kann ich nicht spielen.“

      Der Barkeeper kommt und bringt Kleinmann seinen Whisky. Er trinkt ihn aus und kommt ins Husten. Hannas ironischer Blick schreckt ihn ab.

      „Ja, danke schön, gerne. Ich bin auch zu nichts gekommen, meine, nicht zum Essen, also … Sie verstehen?!“, stammelt Kleinmann. Er weiß nicht, wohin er schauen soll, spürt die Röte auf den Wangen. Schließlich nimmt er sich ein Kanapee vom Teller.

      Beide essen. Kleinmann bestellt sich auch einen Rotwein. „Den gleichen wie Frau Waldau!“

      „Was ich hier mache, haben Sie ja schon mitbekommen. Aber was treibt Sie in diese große, schäbige Stadt?“

      „Ich hatte einen Termin bei einem Anwalt, … also wegen Erbschaftsangelegenheiten. Meine Tante … Sie verstehen.“

      „Oh, das tut mir leid. Entschuldigen Sie, dass ich so indiskret gefragt habe.“

      „Nein, nein, das macht nichts, sie war schon sehr alt, 97, mein Gott, was für ein Alter, stand mir auch nicht besonders nah. Muss morgen wieder zurück. Die Arbeit wartet. Sie verstehen.“

      „Was arbeiten Sie denn so?“ Hanna beugt sich leicht vor und schaut Kleinmann direkt an.

      „Ich bin Bauingenieur, spezialisiert

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