Sinnliches Wissen. Minna Salami

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Sinnliches Wissen - Minna Salami

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Grund haben organisierte Religionen Zeugnisse der Göttinnenverehrung zerstört und die Taliban die antike Kunst Afghanistans in die Luft gejagt. Deshalb haben Fundamentalisten in Timbuktu Bibliotheken verbrannt. Das ist es, was Hitler gegen die Nazis gerichtete Kunst und Literatur aus Deutschland verbannen ließ, und es ist der Grund dafür, dass das türkische Militär kurdische Denkmäler zerstörte. Diese brutalen Autokraten sind sich bewusst, je mehr sie eine Erfahrung von Wissen als lebendig und sich entwickelnd verhindern, desto besser sind ihre eigenen Chancen, an der Macht zu bleiben. Sie verstehen, dass ein verängstigter, fragmentierter und frustrierter Verstand sich kaum der Unterdrückung widersetzt und sie mit höchster Wahrscheinlichkeit aufrechterhält. Jene, die den Status quo bewahren wollen, werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Transformation von Wissen zu verhindern. Sie wissen, dass ein Mensch, der nicht für sich selbst denken kann, ein Mensch ist, der für sie denken kann.

      Wenn es eine Gruppe gibt, die die Prämisse des europatriarchalischen Wissens schon immer infrage gestellt hat, dann sind es die schwarzen Feministinnen. Aufgrund unserer Position außerhalb des Machtzentrums im Hinblick auf Race, Gender und oftmals auch Klasse bietet schwarzer Feminismus nicht die einzige, aber die umfassendste Kritik am europatriarchalischen Wissen. Schwarze Feministinnen haben stets betont, der Kampf könne sich nicht allein gegen das Patriarchat richten, wie weiße Feministinnen behaupteten. Er darf auch nicht nur die Klassendiskriminierung aufheben, wie von Sozialist:innen angestrebt. Er kann nicht nur Rassismus und Imperialismus angreifen, wie von den Black Radicals gefordert. Und er darf sich auch nicht nur um die Umweltzerstörung drehen, wie von Umweltaktivist:innen proklamiert.

      Aus diesem Grund bietet der schwarze Feminismus für alle eine relevante gegenkulturelle Perspektive, die sich gegen das Wissenssystem richtet, das unsere Welt beherrscht. Keine andere Ideologie – weder der Sozialismus noch der Marxismus, der schwarze Radikalismus oder der weiße westliche Feminismus – hat in ihrem Kern Befreiungstheorien entwickelt, die Diskriminierung aufgrund von Klasse, Gender und Race gemeinsam angehen. Während die schwarze Befreiungsbewegung einen wichtigen Beitrag zum Beenden des Imperialismus geleistet hat, weiße Feministinnen Fortschritte in Richtung einer Auflösung des Patriarchats bewirkt und Sozialist:innen sich kritisch mit Klassenunterschieden auseinandergesetzt haben, finden wir lediglich im schwarzen (und Women-of-Color-) Feminismus einen konsequenten Widerstand gegen all diese Unterdrückungsmechanismen, die, wie immer mehr Menschen immer deutlicher erkennen, miteinander verbunden sind.

      Wie es in der klassischen Erklärung des schwarzen Feminismus, »Ein Schwarzes feministisches Statement« des Combahee River Collective, steht: »Wenn Schwarze Frauen frei wären, würde dies bedeuten, dass alle anderen auch frei sein müssten, da unsere Freiheit die Zerstörung aller Unterdrückungssysteme erfordert.«19

      Schwarze Feministinnen haben auch von Anfang an ganz grundsätzlich verstanden, dass wir neue Wege finden müssen, um das in Begriffe zu fassen, was wir wissen. Wieder und wieder haben schwarze Feministinnen argumentiert, das herrschende System sei ein seelenloses, weshalb die Lösung eine Form des Wissens sei, die Dichtung und Kunst einbezieht, die Sprache der Liebe.

      Dementsprechend weisen schwarze Feministinnen darauf hin, dass kreativer Ausdruck eine wesentliche Form der Wissensproduktion sei, da er helfe, emotionale Intelligenz zu entwickeln. Als Gruppe, der in der Geschichte der Zugang zu Bildung verwehrt wurde, überlebten schwarze Frauen, indem sie sich auf das tiefgründige, intuitive und poetische Wissen des kreativen Ausdrucks stützten, und zwar nicht nur zur Unterhaltung, sondern auch, um kritische Einsichten zu erlangen.

      Beispielsweise versteckte Miriam Makeba in ihrem Lied »Beware, Verwoerd« eine Antiapartheidsbotschaft im Refrain, der schwarze Menschen zum Widerstand gegen die Apartheid aufrief, indem er den weißen Militär Verwoerd vor einem schwarzen Aufstand warnte – eine Zeile, die später zum Protestslogan wurde. In »Four Women« betonte Nina Simone die einzelnen Namen »Aunt Sarah«, »Saffronia«, »Sweet Thing« und »Peaches«, um gegen eine Kultur vorzugehen, die schwarze Frauen auslöscht und sie zum Schweigen bringt. Beides ist schwarze feministische Wissensproduktion.

      Wenn Beyoncé sich auf ihrem Album Lemonade darüber ausließ, sie sei keine »average bitch«, und wenn ihr Liebhaber sie nicht genügend wertschätze, werde sie bald weitergehen zum »next dick«, dann war das eine schwarze feministische Botschaft, dass Frauen kein schlechtes Benehmen von Männern akzeptieren sollten.

      Als Sansibar 1897 die Sklaverei abschaffte, begannen die zuvor versklavten Frauen eine Mode, die sie kanga nannten. Sie nähten die Tücher zusammen, die von portugiesischen Händlern in die Häfen Sansibars gebracht wurden, und verwendeten sie, um damit ihre Freiheit zum Ausdruck zu bringen. Diese Wissenspraxis trug dazu bei, die historische Trennung nicht nur zwischen Sklav:innen und freien Menschen, sondern auch zwischen Araber:innen und schwarzen Afrikaner:innen sowie zwischen Frauen und Männern zu überwinden.

      Schwarze feministische Theorien, wie etwa die »Ethik der Fürsorge« der Soziologin Patricia Hill Collins, führen dieses Wissen näher aus. Hill Collins zufolge verleiht der psychologische Effekt einer geteilten Erfahrung von Klassismus, Sexismus und Rassismus dem Leben von schwarzen und afrikanischen Frauen auf der ganzen Welt eine einzigartige Veranlagung, die sie als eine Ethik der Fürsorge bezeichnet. Gegründet auf drei Säulen umfasst die Ethik der Fürsorge erstens den Wert, der auf individuellen Ausdruck gelegt wird, zweitens den Wert der Emotionen und drittens die Fähigkeit zur Empathie. Hill Collins argumentiert, dass afrikanische humanistische und feministische Prinzipien die Wissensformen schwarzer Frauen beeinflussen. Der Zugang sowohl zu afrozentrischen als auch zu feministischen Standpunkten unterscheidet den schwarzen Feminismus vom weißen Feminismus, nicht etwa, weil letzterer keinen Wert auf den kreativen Ausdruck von Frauen legte, sondern weil er ihn nicht als eine Form des Wissens anerkennt.

      Man denke auch an Alice Walkers »Auf der Suche nach den Gärten unserer Mütter«, den Essay, in dem ein Garten zum Symbol für die Wissensproduktion wird. Walker führt an, schwarze Frauen seien nicht in der Lage gewesen, Wissen aufzuzeichnen, da man ihnen im Verlauf der Geschichte jene »Last aufgebürdet [hat], die sich alle anderen – alle anderen – zu tragen geweigert haben«.20 Als Folge, argumentiert Walker, haben sie Wissen durch Kreativität übermittelt – haben Quilts hergestellt, Geschichten erzählt und Gärten gepflegt. Über den Garten ihrer eigenen Mutter schreibt Walker: »[J]edes schäbige Haus, in dem wir zu wohnen gezwungen waren, […] [verwandelte meine Mutter i]n einen Garten, der so farbenprächtig war, so originell angelegt, so strotzend von Leben und Kreativität«.21 In dieser Form des Ausdrucks, argumentiert sie, wussten schwarze Mütter traditionell und intuitiv, wie sie ihren Töchtern Freiheiten beibringen konnten, auch wenn sie selbst nie das Glück hatten, diese zu genießen.

      Bell hooks argumentiert in ihrem Essay »Theory as Liberatory Practice«, die theoretische »Arbeit von Women of Color und marginalisierten Gruppen weißer Frauen (zum Beispiel Lesben, Sexradikale)«22 sei die befreiendste Form von akademischem Wissen, da sie das Persönliche untermischt. In dem für sie so typischen klaren, mitfühlenden Stil, der geprägt ist von einer christlichen Erziehung und einer buddhistischen Praxis, fügt sie in ihrem Buch Teaching to Transgress hinzu, kreative Arbeit, geschaffen »aus einem Ort des Schmerzes und Kampfes heraus, […] wird im akademischen Umfeld oftmals nicht anerkannt«23, obwohl sie genau die Art von Wissen darstellt, die Menschen befreien kann.

      In ihrer Nobelpreisrede von 1993 erzählte Toni Morrison die Geschichte von einer Gruppe Jugendlicher, die eine alte, blinde Hellseherin als Betrügerin entlarven wollten. »Alte Frau«, sagten sie, »in meiner Hand halte ich einen Vogel. Sag mir, ist er lebendig oder tot.« Die Frau blieb eine lange Weile stumm, bis die Jugendlichen frech über sie lachten. Dann sagte sie plötzlich: »Ich weiß nicht, ob der Vogel in deiner Hand tot oder lebendig ist, aber ich weiß, dass du ihn in Händen hältst. Du hast es in der Hand.«24 Wenn der Vogel für ein Narrativ steht, dann lautet die Botschaft der alten Frau, dass am Ende nicht zählt, was genau in diesem Augenblick die Geschichte ist. Es kommt darauf an, dass es

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