Sinnliches Wissen. Minna Salami

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Sinnliches Wissen - Minna Salami

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nicht nur Grenzen des Wissens, sie setzt dem Wissen Grenzen«, fuhr Morrison fort. »Sexistische Sprache, rassistische Sprache, fundamentalistische Sprache – alle sind typische, maßregelnde Herrschaftssprachen, die keine neuen Gedanken aufnehmen, keinen Austausch neuer Ideen fördern können.«25 Kurz gesagt argumentierte Morrison, so wie auch ich, dass unsere Wahrnehmung des Wissens unsere Wirklichkeit formt.

      Die Romanautorin und Feministin Chimamanda Ngozi Adichie bringt in ihrem TED-Talk »Die Gefahr einer einzigen Geschichte« eine ähnliche Botschaft zum Ausdruck. »Es gibt ein Wort«, sagt sie, »ein Igbo-Wort, an das ich immer denke, wenn ich über die Machtstruktur der Welt nachdenke. Es heißt ›nkali‹. Es ist ein Substantiv, das in etwa übersetzt werden kann als ›größer sein als ein anderer‹. Wie unsere Wirtschafts- und politischen Welten«, argumentiert Adichie, »definieren sich auch Geschichten durch das Prinzip von nkali. Wie sie erzählt werden, wer sie erzählt, wann sie erzählt werden, wie viele Geschichten erzählt werden, wird wirklich durch Macht bestimmt.«26

      Auf den Begriff »sinnliches Wissen« kam ich bei einem Besuch der Singularity University im Ames Research Center der NASA im Silicon Valley, wo ich einen Vortrag halten sollte. Während einer meiner täglichen Schwimmrunden im Pool des Centers tauchte er auf. Ich schwimme grundsätzlich gern, aber in diesen Pool einzutauchen fühlte sich an, als würde ich mich in eine weiche blaue Samtdecke wickeln. Später begriff ich, dass der Pool für mich symbolisch Innerlichkeit repräsentierte, sowohl aufgrund seiner Lage im Inneren des Forschungszentrums als auch, weil er sich wie der sichere Hafen einer Gebärmutter anfühlte.

      Zu jener Zeit arbeitete ich an einem Projekt mit dem Titel »Große Ideen verändern die Welt« für die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth. Ich interessierte mich dafür, feministische Theorie mit Gedanken zu Technologie, Global Governance und Climate Engineering zu verbinden, und die Singularity University war ein spannender Ort, um meine kritischen Argumente zu schärfen.

      Der Hauptredner bei der Veranstaltung war Ray Kurzweil, jener Futurist, der die Idee von der Singularität prägte – die Hypothese, dass Mensch und Maschine sich in der Zukunft annähern werden. Alle erwarteten Kurzweils Vortrag mit Spannung, mich eingeschlossen. Ich ging davon aus, dass er meine Recherche bereichern würde. Und da lag ich auch nicht falsch, denn seine Präsentation war faszinierend und erkenntnisreich. Er sprach überraschend bescheiden und leise, was ich erfrischend fand nach einem Tag voller Vorträge, die auf jene typisch amerikanisch-maskuline Weise abgehalten wurden, bei der die Redner wichtigtuerisch über die Bühne stolzieren.

      Mehrere Diskussionen in jener Woche stimulierten und berührten mich auf diese Art. Ich war davon ausgegangen, meine Zeit dort mit roboterhaften Tech-Bros und Silicon-Valley-Fanatiker:innen zu verbringen. Stattdessen fand ich mich in Gesellschaft von Menschen wieder, die sich zum großen Teil mit ehrlicher Leidenschaft für Ideen interessierten, die etwas verändern könnten. Wir sprachen über die vier großen Technologien der Zukunft – Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und Kognitionswissenschaft (die NBICs). Wir betrachteten die Schnittpunkte von Technologie und Bewusstsein und sahen uns einen unglaublichen Clip an, in dem ein kleines Mädchen ein Spielzeugauto mit ihren Gedanken kontrolliert. Zwischen den Diskussionen gab es Yogakurse und gesunde Mahlzeiten. Kurz gesagt, die Reise hatte sich gelohnt.

      Der Besuch bot mir jedoch auch einen besorgniserregenden Blick in eine Zukunft, die utopisch sein könnte – in der die Probleme des Gesundheitswesens, Armut, soziale Ungleichheit und die Klimakrise gelöst wären –, die unsere gegenwärtige Denkweise jedoch niemals verwirklichen würde.

      Ich erinnere mich an ein beunruhigendes Gespräch mit einer Gruppe von Leuten, allesamt wohlhabend, weiß und männlich, die in aller Ernsthaftigkeit erwarteten, dank lebensverlängernder Technologien (Reverse Aging, epigenetische Verjüngung, Anti-Aging-Nahrungsergänzungen, und so weiter) mindestens hundertfünfzig zu werden. Sie waren etwa in meinem Alter, sprachen jedoch mit der Gewissheit, noch ein weiteres Jahrhundert zu leben. Ich konnte das Entsetzen nicht verbergen, das ich verspürte, als diese sowohl durch ihre Race als auch durch ihre Klasse privilegierten Männer aufgeregt über ihre Zukunft sprachen. Es war keine Zukunft, von der ich oder die meisten Menschen auf unserem Planeten auch nur träumen können.

      Dabei hatte ich keine moralischen Bedenken gegenüber lebensverlängernden Technologien an sich. Ich bin nicht dagegen, zu erforschen, wie die Wissenschaft das Leben verbessern und verlängern kann. Aber ich bin dagegen, neue Technologien gedankenlos in die falsche Richtung zu entwickeln. Ich bin dagegen, Menschen dazu zu ermutigen, sich zu verhalten, als lebten sie auf einer einsamen Insel, wo ihre Entscheidungen keinerlei Auswirkungen auf andere haben. Ich bin gegen die unfassbare Ungleichheit zwischen jenen, die schon Glück haben, wenn sie eine Handvoll Jahrzehnte überleben, und jenen, die bereits planen, bis weit in ihr zweites Jahrhundert hinein am Leben zu bleiben. Ich bin gegen die immer engeren Beziehungen zwischen wissenschaftlicher Forschung und profit-orientierten Unternehmen, die so viele Aspekte im Leben der Menschen kontrollieren können. Es ist kein Zufall, dass einige der bedeutendsten Investoren in lebensverlängernde Technologien die Gründer von Unternehmen wie Google, PayPal und AstraZeneca sind.

      Wissenschaft ist selbstverständlich der verlässlichste Weg, um Hypothesen zu überprüfen. Wissenschaft wurde jedoch auch benutzt, um Verbrechen zu rechtfertigen – vom transatlantischen Sklav:innenhandel bis zum Holocaust oder dem Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Leben. Die Welt der Wissenschaft ist noch immer voller Rassisten und Sexisten, die »Wissenschaft« benutzen, um ihre Vorurteile zu bestätigen. Kaum ein Monat vergeht ohne irgendeinen neuen Skandal im Zusammenhang mit einem Missbrauch der wissenschaftlichen Methode. Ich muss etwa an Satoshi Kanazawa denken, einen Evolutionsbiologen an der London School of Economics, der 2011 einen »wissenschaftlichen« Artikel veröffentlichte, in dem er behauptete: »Schwarze Frauen sind weniger attraktiv als andere Frauen.« Mich überkommt ein unwirkliches Gefühl, wenn ich daran denke, dass die seriöse Plattform Psychology Today diese beleidigenden Worte auf ihrem Blog veröffentlichte. Am meisten beunruhigt mich dabei gar nicht Kanazawas Rassismus, der so transparent wie trivial ist, sondern dass seine Worte in unserer Zeit noch immer ernst genommen werden konnten. Wie der Anthropologe Jonathan Marks in seiner Streitschrift Is Science Racist? ausführt: »Nahezulegen, eine wissenschaftliche Studie über Race könne sich irgendwie gegen Kultur oder Politik abschirmen oder immunisieren, ist selbst eine zutiefst politische Heuchelei.«27

      Zu argumentieren, wissenschaftliche Ergebnisse sollten ebenso kritisch betrachtet werden, wie man etwa Literaturkritik oder Kunstkritik betreiben mag, birgt die Gefahr, als wissenschaftsfeindlich oder antiintellektuell bezeichnet zu werden. Wissenschaft ist die Religion des modernen Europatriarchats, und wie jeder Glaube geht auch dieser davon aus, unstrittig zu sein. Eine inhärente Neutralität in der wissenschaftlichen Wissensproduktion infrage zu stellen, hat Auswirkungen. Es als schwarze Frau zu tun, noch dazu in einem Kapitel über das Wissen, lädt zu Anschuldigungen ein, bestenfalls uninformiert zu sein. Und ja, ich bin mir meiner begrenzten Einsichten in die akademischen Debatten zur Erkenntnistheorie, also der Erforschung des Wissens, bewusst. Diese Diskussionen werden in einer abstrakten Sprache geführt, mit der weder ich noch, wie ich mir vorstelle, die meisten meiner Leser:innen ausreichend vertraut sind. Ich kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass mit Ausnahme der feministischen und postkolonialen Wissenschaften, die die Wissensproduktion grundlegend verändert haben, die Debatte sich noch immer überwiegend auf Philosophen der Aufklärung beruft, die das europatriarchalische Wissen etablierten, indem sie dem Gebiet der Wissenschaft ihre Vorurteile einschrieben. Die Welt leidet aufgrund der Vorurteile des Wissens. Die noch tiefere Ursache für Ungleichheit ist allerdings, dass unsere Konzeptualisierung von Wissen uns nur durch Vorurteile erlaubt, Zugang zu ihm zu finden.

      Mein Besuch im NASA-Forschungszentrum war auch nicht das einzige Mal, dass mir ein Mangel an Rücksichtnahme, Empathie und Sensibilität gegenüber der Zukunft der Menschheit schlaflose Nächte bereitete. Meine gesamte Arbeit entspringt der Verzweiflung über die Unterdrückung von Frauen und die daraus resultierende Diskreditierung von Eigenschaften, die als weiblich angesehen

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