Chimära mensura?. Группа авторов

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etwa wenn es um Tricksereien, Irreführungen oder bewusste Betrügereien geht. Diese können aus den verschiedensten Gründen gemacht worden sein. Oftmals dürfte dahinter der Druck gestanden haben, endlich die „richtigen“, zum Projekt passenden Forschungsdaten parat zu haben oder um persönliche Eitelkeiten, also darum, Aufmerksamkeit, Reputation und Gelder zu gewinnen.83 Der Sozialpsychologe Oliver Lauenstein wird sich in seinem Beitrag diesem Thema intensiver widmen und eigene Akzente setzen.

      Kritisch hingegen sehen wir Boghossians Einstellung zu den Gender Studies. Diese bieten sowohl reichlich Anlass zu Kritik84 als auch wissenschaftlich und gesellschaftlich außerordentlich relevante Ansätze. Sie wirken schon seit längerer Zeit über die eigentlichen Kulturwissenschaften hinaus. Ende 2003 beschlossen etwa die medizinische Fakultät der Freien Universität und der Humboldt-Universität, die Charité-Universitätsmedizin Berlin, die Gründung des ersten Zentrums für Geschlechterforschung in der Medizin in Deutschland. Dessen Aufgabe ist

       „die Förderung der Geschlechterforschung in der universitären Medizin und die Integration der Forschungsergebnisse in die medizinische Ausbildung. Geschlechterforschung in der Medizin ist ein neuer, innovativer Wissenschaftsbereich, in dem biologische Grundlagen von Gesundheit und Krankheit, die Auswirkung von Geschlechterunterschieden auf Krankheitsentstehung und -verlauf und ihre Rolle in der Krankenversorgung untersucht werden. Daneben sind medizin-soziologische Aspekte wie unterschiedliche Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit von und bei Frauen und Männern, unterschiedliche Bedeutung präventiver und kurativer Ansätze bei Frauen und Männern und geschlechtsspezifische Aspekte in neuen medizinischen Themengebieten wie Reproduktionsmedizin und regenerativer Medizin (Organersatz) von Bedeutung“. 85

      Kurzum: so sehr man auch Sektoren der Gender Studies konstruktiv kritisieren mag, so kann man nicht über die positiven Ergebnisse des gesamten Feldes hinwegsehen. Schließlich bedeutet etwas kritisieren nicht, es auch (in toto) zu verwerfen.86 Boghossians Hoax hat also „die“ Gender Studies nicht (Martial-Arts-mäßig) zerstört oder ad absurdum geführt. Offenbar hat auch er wohl dabei einen Strohmann geschaffen und in „die“ Gender Studies das herein gelesen und kritisiert, was er darunter versteht. Wir haben hier also die interessante Situation vor uns, dass sowohl Skeptiker als auch Vertreter postmoderner Theorien jeweils den eigenen Strohmann (zumindest teilweise) bekämpfen. Eine Ursache könnte darin liegen, dass Naturwissenschaftler als für die Geistes- und Kulturwissenschaften Außenstehende in erster Linie nur eine Dominanz postmoderner Ansätze registrieren (das andere eben nicht oder weniger) und sich durch deren Verständnis von Wissenschaft, Realität und Erkenntnis herausgefordert fühlen.

      Mit der Publikation verfolgen wir das Ziel, die Debatte, die der Schäferhund-Hoax angestoßen hat, weiter zu verfolgen. Insofern richtet sich dieses Buch an keine klar definierte Zielgruppe, sondern an alle, die sich für die aktuellen akademischen Diskurse in Deutschland interessieren. Es geht keineswegs darum einer (noch) relativ kleinen und unbedeutenden Strömung in der akademischen Welt mehr Aufmerksamkeit entgegenzubringen, als ihr möglicherweise zustehen mag, sondern grundlegendere Probleme anzusprechen. Bei Gesprächen mit Kollegen oder in Diskussionen auf Workshops und Tagungen begegnete uns immer wieder ein Argument von Menschen, die ansonsten den HAS entweder ablehnend oder neutral gegenüberstanden, nämlich dass diese „frischen Wind“ in alte und eingefahrene Forschungsgebiete brächten. Allein, bislang konnten wir, die Herausgeber, noch keine stichhaltigen Argumente für diese These – zumindest in unserem Fachgebiet – erkennen.87 Vielleicht wird es sich noch erweisen. Die Zukunft ist offen, um es mit Karl Popper zu sagen. Sicher hingegen sind wir uns bei der Einschätzung, dass es nicht der letzte Science-Hoax dieser Art gewesen sein wird. Der Stil des Buches ist daher auch bewusst etwas „lockerer“ gehalten; der Inhalt allerdings ist es keineswegs: kenntnisreich und auf hohem Niveau nehmen die Autor*innen für oder gegen die HAS Stellung, beschreiben die aktuellen Schwierigkeiten prekärer akademischer Arbeitsverhältnisse, skizzieren Aspekte der Totalitarismusdebatte, zeichnen sowohl die Geschichte als auch die Bedeutung von Science-Hoaxes nach und beschäftigen sich mit den Möglichkeiten und Grenzen des Erkenntnisgewinns in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. – Übrigens haben wir den Autor*innen überlassen, wie sie in ihren Beiträgen gendern.

      Bedanken möchten wir uns beim Vergangenheitsverlag, der an uns mit der Möglichkeit zur Veröffentlichung herantrat. Mit dem Verleger Alexander Schug haben wir dann eine Crowdfunding-Aktion gestartet, um die benötigten Gelder zusammen zu bekommen. Dank der Unterstützung von 41 Menschen ist dies auch tatsächlich gelungen. Vielen Dank an alle! Durch das Crowdfunding war es möglich, schnell und unabhängig von äußerer Einflussnahme durch übliche Formen der Finanzierung, die Publikation zu realisieren.

      Auch den Titel, nach dem wir lange gesucht haben, müssen wir kurz erläutern: Es ist vermutlich klar geworden, dass sich „Chimära mensura?“ auf den homo-mensura-Satz (in der lateinischen Übersetzung) des Sophisten Protagoras bezieht. Nach ihm also sei der Mensch das Maß aller Dinge. Eine Chimäre ist in der griechischen Mythologie ein Mischwesen zwischen Mensch und Tier, aber aber auch ein Fantasiegebilde. In den untiefen Gefilden tierlicher Hermeneutik fanden wir diesen semantisch mehrschichtigen Ausdruck also durchaus (zu)treffend. Überdies hatte der bekannte Evolutionsbiologe Richard Dawkins schon vor Jahren die Schaffung einer „Chimäre“ vorgeschlagen, also der Kreuzung von Mensch und Tier in Form eines Mischwesens aus Mensch und Schimpanse, um dadurch eine „heilsame Erschütterung“ auszulösen für die auf Menschen fixierte Ethik.88 Natürlich ist auch eine Anspielung auf den Chimaira AK enthalten, der im „Kontext der Gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse“ mit seiner „Namensgebung auf die machtvollen Prozesse hinweisen“ möchte, „im Zuge derer die Grenzen zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren gezogen und naturalisiert werden“.89

      Die Publikation ist zweigeteilt. Der erste Teil ist als eine Art Debatten-Reader zu verstehen. Hier haben wir die wesentlichen Texte des Hoaxes und der anschließenden Debatte aufgenommen. Dazu gehört auch der mittlerweile nicht mehr verfügbare Artikel von „Schulte“ aus der Zeitschrift „Totalitarismus und Demokratie“. Die Herausgeber bedanken sich beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht und beim Redaktionsleiter Prof. Dr. Uwe Backes, dass sie fairer- und freundlicherweise die Erlaubnis erteilten, den Aufsatz in unseren Band aufnehmen zu dürfen. Wir haben uns allerdings dafür entschieden, die Tagungsfassung abzudrucken, die bislang nicht öffentlich verfügbar war. Die wesentlichen Änderungen zwischen dieser und der publizierten Fassung sind in einer editorischen Notiz beschrieben. Es folgen die Interviews, in denen sich „Schulte“ sowie Betroffene des Hoaxes in der Zeitschrift sub\urban geäußert haben. Wir bedanken uns auch in diesem Fall bei der Redaktion und den Interviewten für die freundliche Abdruckgenehmigung.

      Der zweite Teil des Bandes ist so untergliedert, dass er die Struktur des Workshops und damit die einzelnen Problemebenen, die wir durch den Schäferhund-Hoax berührt sehen, teilweise reflektiert, ihn teilweise aber auch verlässt. Zu Beginn steht ein kurzes Geleitwort von Peter Boghossian, der kürzlich als Koautor des Nonsens-Aufsatzes über den „konzeptionellen Penis“ als Ursache des Klimawandels in Erscheinung getreten ist, der im Mai 2017 in der Zeitschrift „Cogent Social Sciences“ veröffentlicht und bald als Hoax mit einer ähnlichen Stoßrichtung enttarnt wurde, eröffnen. Boghossian zufolge sind Wissenschaftshoaxes wichtig und ethisch geboten. Es folgen Beiträge, die aus Statements auf dem Workshop hervorgehen, aber auch eigens geschriebene Artikel, die aus unterschiedlichen Perspektiven eine Analyse des klug platzierten Hunde-Hoaxes bieten.

      Einleitend wird sich Sven Schultze kritisch mit den HAS auseinandersetzen. Aus seiner Sicht sind antirealistische Forschungskonzepte innerhalb der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften derzeit tonangebend. Der Schäferhund-Hoax verweise deshalb innerhalb des Spannungsfeldes zwischen postmodernem „ge-turne“, Konstruktion und Dekonstruktion, kulturalistischer Wende und Performanz auf die unverändert akuten Schwierigkeiten geisteswissenschaftlicher Epistemologie. Die primären Fragen dabei sind, welches Wissenschaftsverständnis den deutschsprachigen HAS eigen ist und welcher wissenschaftliche Stellenwert ihnen zukommen könnte. Der Reptilienforscher Heiko Werning setzt die kritische

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