Es war einmal ein kleines Mädchen .... Brooke Shields

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Es war einmal ein kleines Mädchen ... - Brooke Shields

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später hörte man Sirenen und sah Rotlicht durch die Fenster. Alle eilten vor die Türe und jeder war zu Tode erschrocken angesichts dessen, was sich vor ihnen offenbarte.

      Zu jener Zeit war die Third Avenue noch keine Einbahnstraße. Morton hatte das Auto auf der anderen Straßenseite geparkt, hatte die Fahrbahn überquert und war dabei von einem Wagen erfasst worden. Sein Körper war an die zehn Meter weit durch die Luft geschleudert worden. Er war sofort tot gewesen. Als die Rettung schließlich eintraf, hatte ihm bereits jemand seine Uhr und seine Geldtasche entwendet. Die ganze Geschichte war unglaublich. Ich konnte nicht fassen, dass es Leute gab, die einen Toten oder einen sterbenden blutenden Mann bestehlen würden.

      Wenn er überlebt hätte, hätte ich wohl nie existiert.

      Laut meiner Mutter wurde die Third Avenue am nächsten Tag in eine Einbahnstraße umgewandelt. Man konnte nun auf ihr nur mehr Richtung Uptown fahren. Eigentlich kam es zwar erst ein wenig später zu dieser Umwandlung, aber für sie klang „am nächsten Tag“ eben etwas dramatischer und ansprechender. Das war nur eine der leicht manipulierten Wahrheiten meiner Mutter.

      Ich kann mir den Schmerz, den meine Mutter erfahren musste, nur ausmalen. Ich glaube, dass durch den Verlust ihres Vaters als Kind und später ihres Verlobten eine tiefgründige Angst vor dem Verlassenwerden in ihrem Herzen Wurzeln schlug. Mom war in vielerlei Hinsicht eine Person, die sich nicht unterkriegen ließ, und sie unternahm alles in ihrer Macht Stehende, um ihren Weg weiterzugehen. Sie war keine, die über ihre wahren Gefühle sprach, sondern eine, die still für sich und alleine litt.

      Ihr Leben ging weiter und sie fand andere Verehrer, allerdings nahm sie keine Heiratsanträge mehr an. Sie wollte auf Dates gehen, sich amüsieren, unterhalten werden beziehungsweise – so nehme ich an – Alkohol trinken. Mom war das Herzstück jeder Feier und ihre Trinkerei hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Auswirkungen, außer vielleicht, dabei zu helfen, ihren Status als „lustiges Mädel“ aufrechtzuerhalten.

      Irgendwann traf Mom dann doch einen anderen Mann, von dem es heißt, dass es zwischen ihr und ihm sehr ernst gewesen sein soll. Allerdings sollten noch Jahre vergehen, bis ich die Wahrheit über diese Beziehung erfahren sollte.

      Obwohl sie in ihrem Leben einige Tragödien durchleben musste, hatte sie auch ziemlich viel Spaß. Mom liebte den Broadway und jeden, der mit dem Theater zu tun hatte. Einige Jahr traf sie sich mit einem verheirateten (aber in Trennung lebenden) Mann namens Murray Helwitz, der als Schatzmeister am Shubert Theatre tätig war. Sie dateten für eine Weile und Mom öffnete sich so die Welt der Premierenfeiern, der spätabendlichen Cocktails sowie der Dinnerpartys in unterschiedlichen Clubs, wo auch getanzt wurde. Gesellschaftliche Events dieser Art hauchten meiner Mutter Leben ein. Sie freundete sich mit allen Barmännern, Garderoben-Girls und Restaurant-Managern an. Dies schien der Beginn eines lebenslangen Musters zu sein, denn sie fühlte sich immer zu jenen hingezogen, die sie als „Underdogs“ bezeichnete.

      Obwohl sie sich auf der Suche nach einer fabelhaften und glamourösen Zukunft befand, schien sie sich stets an den Randgebieten aufzuhalten. Es war, als ob sie in zwei sich widersprechenden Welten zuhause sein wollte. Es war eine paradoxe Situation, da sie zwar einen höheren sozialen Status anstrebte, doch sich gleichzeitig nicht von einem düstereren und problematischeren sozioökonomischen Umfeld lossagen konnte. Sie strebte nach Anerkennung und einem Aufstieg in ihrem Leben, schien sich aber gleichzeitig dagegen zu wehren. Es wirkte, als ob sie sich danach sehnte, ihre Wurzeln hinter sich lassen zu können, doch konnte sie ihnen nie wirklich ganz entsagen. So fing sie immer an, sich ein wenig ungehobelter auszudrücken, wenn sie sich eingeschüchtert fühlte. Ich sagte immer, dass sie ihre Herkunft aus Newark wie ein Polizeiabzeichen mit sich führte, um es hervorzuholen, wenn sie es für notwendig hielt oder sich bedroht sah. Wann immer sie das Gefühl hatte, ihre Rüstung hätte eine Delle abbekommen, wann immer sie glaubte, sich ungeschickt verhalten zu haben, würde sie mithilfe ihrer barschen Newark-Erziehung gegensteuern. Sie begründete ihre Zähigkeit jedenfalls oft und offen damit, dass sie aus Newark stammte. Ich war mit ihr immer gerne dort zu Besuch, weil sich alles so unkompliziert anfühlte. Aber ich ließ diese Welt auch immer wieder gerne hinter mir, da ich mich irgendwann langweilte – so wie sie ja auch.

      Die Barmänner schienen besonders auf sie aufzupassen. Einmal, als Murray und Mom sich gestritten hatten, sah ein Barkeeper Murray mit einer anderen Frau. Sie saßen auf dem Tisch, der eigentlich jener war, auf dem Murray immer mit meiner Mom saß – „ihr Tisch“ sozusagen. Der Barmann griff sich das Telefon und rief Mom an. Er informierte sie mit leiser Stimme, dass ihr Beau sich mit einem anderen Mädel im Lokal amüsierte. Mom dankte ihm, sprang schnell unter die Dusche und schlüpfte in den neuen Zobelmantel, den ihr Murray zusammen mit einem Paar hochhackigen Schuhen geschenkt hatte. Ausgestattet mit nichts außer Pelzmantel und High-Heels fuhr Mom nun in einem Taxi ins Restaurant, begab sich zu dem besagten Tisch, baute sich vor den beiden auf und wandte ihren Blick Murray zu, drehte sich jedoch mit dem Körper etwas mehr in Richtung der anderen Frau, die sich als seine Ehefrau herausstellen sollte. Es schien so, als wären sie doch nicht so getrennt voneinander! Sie erkundigte sich, ob ihm der neue Pelzmantel gefiele. Während sie diese Frage stellte, öffnete sie den Mantel, stieg heraus und vollführte eine volle Drehung, bevor sie sich wieder einpackte und sich aus dem Restaurant verabschiedete. Auf der Straße mag sie geweint haben oder auch nicht, aber sie hatte zumindest ihren Standpunkt klargemacht. Mom liebte es, solche Szenen zu machen, und ihre zahlreichen theatralischen Einlagen wurden legendär.

      Auch von der Pelzmantel-Episode abgesehen spielte Kleidung eine wichtige Rolle in Moms Leben und sie wählte sie mit Bedacht aus. Schon früh erkannte sie die Strahlkraft gewisser Labels. Allerdings begriff sie auch, dass sie nicht in der Lage war, sie sich zu leisten. Sie wusste, wie sie sich für gewisse gesellschaftliche Umgebungen zu kleiden hatte, und ließ es nicht zu, dass ihre beschränkten finanziellen Mittel sich negativ auf ihre Garderobe auswirkten.

      In den späten Fünfzigern und frühen Sechzigern war etwa Emilio Pucci eine enorm angesagte Marke. Mom liebte Puccis farbenfrohe Kleider und fand es innovativ, wie er seinen Namen in die Muster einarbeitete. Doch konnte sie sich keines der berühmten, bunt bedruckten Minikleider, die all die Ladys aus Uptown trugen, leisten. So musste Mom wieder einmal in die Trickkiste greifen. Und kreativ war sie ja ohne Zweifel. Sie kaufte sich also einen Stoff mit einem Druck, der praktisch nicht von jenem der mittlerweile so berühmten Pucci-Muster zu unterscheiden war, und schneiderte sich ihr eigenes Etuikleid. Sie nähte es eigenhändig zusammen und schrieb dann mit einem Füller „Teri“ in Kursivschrift auf all jene Stellen, auf denen normalerweise „Emilio“ gestanden wäre. Später erinnerte sie sich an viele Damen der Gesellschaft, die auf Cocktailpartys zu ihr kamen und ihr zu ihrem besonderen Kleid gratulierten: „Ich liebe dein Pucci-Kleid, Teri!“ Mom sagte, dass sie sich stets bedankte und dann weiterging, um sicherzustellen, dass ihr Geheimnis gewahrt bliebe. Sie scherzte später, dass alles in Ordnung war, solange sie nicht in einen Regenguss kam, weil in diesem unglücklichen Fall das Kleid sich in einen Rorschach-Test verwandelte, da die Tinte dort, wo sie ihren Namen so hübsch platziert hatte, zu verlaufen begann.

      Mom begehrte die Kleidungsstücke, die die reichen Frauen trugen, und fand schließlich heraus, dass man diese Teile auch in den Second-Hand-Läden auf der Upper East Side erstehen konnte. Sie wusste, dass dies die Orte waren, in denen die Damen aus der Park Avenue ihre alten Sachen von Gucci, Courrèges und anderen Designern ablieferten. Sie durchstöberte die Regale und Stapel und war mit der Zeit in der Lage, dank ihres scharfen Blickes sich eine Garderobe zusammenzustellen, die auch jede reiche Hausfrau von der Upper East Side goutiert hätte.

      Dank dieser Kleidungsstücke und ihrer erst unlängst aufmerksam wie gierig erworbenen Manieren, traf Mom sich immer öfter mit kultivierten Herren und verschaffte sich dadurch Zutritt zu Kreisen, die eigentlich für die High Society reserviert waren – die Gebildeten und Reichen, die Elite eben. Mom fühlte sich dort wohl, und falls sie überhaupt in puncto ihres Bildungsstandes ein wenig unsicher war, dann glich sie dies mit ihrem Humor, ihrem Stil und ihrer Beobachtungsgabe wieder aus. Moms trockener Witz sowie

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