Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson
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Wir diskutierten darüber, mir einen Spitznamen zu geben. Jimmy und Bill hielten das für überflüssig, aber Cus wollte mich „The Tan Terror“, der „gebräunte“ Schrecken, nennen – eine Hommage an Joe Louis, den „braunen Bomber“. Ich fand den Namen richtig gut, auch wenn wir ihn nie durchsetzen konnten. Und ich huldigte noch weiteren Helden, die ich verehrte: Ich ließ mir eine Schüssel über den Kopf stülpen und mir mit dem Elektrorasierer einen Schnitt wie Jack Dempsey verpassen. Ganz ernst sagte ich zu Cus, ich würde den Leuten Angst einjagen. Als ersten Schritt legte ich mir diesen missmutigen Dempsey-Arschloch-Look zu. Und dann setzte ich auf das spartanische Erscheinungsbild meiner alten Helden: keine Socken und keinen Boxermantel. Diesen Look wollte ich wieder im Boxen einführen.
Mein erster Profikampf fand am 6. März 1985 in Albany statt. Der Gegner war ein gewisser Hector Mercedes. Weil wir über ihn überhaupt nichts wussten, telefonierte Cus mit einigen Trainern und Betreibern von Boxställen in Puerto Rico, um sich zu vergewissern, dass Mercedes kein Geheimtipp war.
Am Abend des Kampfs war ich nervös, aber kaum sah ich den Typen im Ring, wusste ich, dass ich ihn schlagen konnte. Ich wusste, dass sich Cus für meine ersten Kämpfe schwächere Gegner heraussuchte, um mein Selbstvertrauen zu stärken.
Ich hatte recht. Der Kampf wurde schon in der ersten Runde abgebrochen, als ich Hector in einer Ecke des Rings auf die Knie geprügelt hatte. Ich war in Hochstimmung – bis mir Cus im Umkleideraum alle meine Fehler aufzählte. „Du musste deine Hände höher halten. Du hast mit den Händen nur herumgefuchtelt.“
Die nächsten beiden Kämpfe fanden ebenfalls in Albany statt – praktisch in meiner Heimatstadt. Einen Monat nach Mercedes kämpfte ich gegen Trent Singleton. Ich trat in den Ring, verbeugte mich in alle vier Richtungen der Arena und riss dann wie ein Gladiator vor der Menge die Arme in die Höhe. Binnen kurzer Zeit schlug ich Singleton dreimal nieder. Der Ringrichter brach den Kampf ab. Ich schlenderte in seine Ecke, küsste ihn und strich ihm über den Kopf.
Einen Monat später sollte ich wieder antreten. Zwischen den Kämpfen trieb ich nichts anderes als zu laufen, zu trainieren und zu boxen. Mehr verlangte Cus nicht von mir. Boxen, boxen und nochmals boxen, sparren, sparren und nochmals sparren.
Am 23. Mai kämpfte ich gegen Don Halpin, einen deutlich erfahreneren Gegner. Halpin hielt drei Runden durch. Experimentierend pendelte ich zwischen der konventionellen und der Rechtsauslage hin und her, um Ringerfahrung zu bekommen. In der vierten Runde verpasste ich ihm eine Linke und eine Rechte, und als er schon zu Boden taumelte, setzte ich mit einem rechten Haken nochmals nach. Er blieb solange liegen, bis man ihn schließlich hochzog. Cus meinte natürlich, ich sei in den Gegner nicht richtig hineingegangen und hätte es versäumt, mich seitwärts zu bewegen. Aber Jacobs und Cayton waren von der Art, wie ich mich bislang geschlagen hatte, hellauf begeistert.
Mit den Kämpfen schuf ich mir allmählich eine Fangemeinde. Wie bei Baseball-Spielen tauchten sie mit kleinen Schildern auf. Auf einem stand: „GOODEN IST DR. K., ABER MIKE TYSON IST DR. KO.“ Und auch Groupies zog ich an. Damals nutzte ich ihre Annäherungsversuche noch nicht aus. Ich war zu sehr in mich selbst verliebt, um an andere zu denken. Cus meinte, dass ich es etwas übertreibe. Ich solle doch mehr ausgehen. Folglich ging ich nach Albany und trieb mich mit Freunden rum.
Mit diesen ersten Kämpfen verdiente ich kaum Geld. Mein erster Kampf endete für den Promoter im Minus. Aber Jimmy gab mir 500 Dollar. Davon zweigte er allerdings 50 Dollar für Kevin ab und zahlte 350 Dollar für mich auf der Bank ein. Mir blieben also nur 100 Dollar. Diese ersten Kämpfe dienten mehr dazu, mir einen Namen zu machen, als Geld zu verdienen. Jimmy und Cayton machten Aufnahmen von den Highlights der Kämpfe, von allen meinen Knockouts, und verschickten die Videokassetten an sämtliche Box-Journalisten im Land – damals eine höchst innovative Idee.
Obwohl ich Sensationelles leistete, wurde Cus immer missmutiger. Manchmal dachte ich, dass er mich für einen servilen Onkel Tom hielt. Wenn ich mich bemühte, höflich zu sein und brav „Ja, Ma’am“ und „Nein, Sir“ sagte, mischte er sich ein.
„Warum redest du mit denen so? Meinst du, die sind was Besseres? Diese Typen sind alle Angeber“, sagte er. Aber wenn ich dann den arroganten Unnahbaren gab, wie er es mir immer vorschrieb, schaute er auf mich herab: „Das gefällt dir wohl, wenn die Leute zu dir aufschauen, hä? Weil Typen wie Cayton und Co. dir sagen, wie großartig du bist.“
Ich glaube, er brauchte einfach einen zum Herummäkeln. Wie mein Tag verlief, hing davon ab, mit welchem Bein Cus zuerst aufgestanden war. Ich hatte inzwischen den Führerschein und fuhr ihn zu verschiedenen Treffen und Besprechungen.
Am 20. Juni, kurz vor meinem 19. Geburtstag, kämpfte ich in Atlantic City gegen Ricky Spain. Es war mein erster Profi-Kampf außerhalb von Albany, aber Cus hatte mich schon zu großen Kämpfen in Städte überall im Land geschickt, um mich an die Arenen zu gewöhnen.
„Mach die Arena zu deinem Zuhause, mach dich mit ihr vertraut, bis du sie wie deine Westentasche kennst“, sagte er mir. „Du wirst dort lange Zeit leben, also richte dich darauf ein.“ Er nahm mich auch mit, wenn wir uns mit den Akteuren großer Kämpfe trafen. Er setzte mich zum Abendessen mit ihnen an einen Tisch, um mich mit ihnen bekanntzumachen und damit ich mich von keinem Kämpfer einschüchtern ließ.
Ich war richtig begeistert über den Kampf in Atlantic City, der auch noch auf ESPN übertragen wurde. Mein Gegner, ebenfalls ungeschlagen, hatte eine 7:0-Kampfbilanz mit fünf Knockouts. Eingeführt wurde ich als „Der Baby-Rabauke“, wobei ich von der Rolle als Baby nichts wusste: Ricky Spain ging in der ersten Runde zweimal zu Boden, worauf der Ringrichter den Kampf abbrach.
Jimmy und Cayton versuchten mir einen regelmäßigen Sendeplatz bei ESPN zu verschaffen, aber Bob Arum, der die Kämpfe förderte, sagte ihnen, dass seine Matchmaker mich nicht für besonders talentiert hielten. Cus war deswegen stinksauer. Er hasste Arums Matchmaker und arbeitete nie wieder mit ihm zusammen.
Aber diese ganze Politik interessierte mich nicht. Ich konnte meinen nächsten Kampf kaum erwarten. Er fand wiederum in Atlantic City statt, am 11. Juli gegen John Alderson, einen großen rustikalen Typen aus West Virginia, der ebenfalls eine Kampfbilanz von vier Siegen in vier Kämpfen vorzuweisen hatte. Auch dieser Kampf wurde auf ESPN übertragen. Ich schickte Alderson in der zweiten Runde mehrfach zu Boden. Nachdem er in seine Ecke zurückgekehrt war, brach der Ringarzt das Spiel ab.
Auf 6:0 steigerte ich meine Bilanz im nächsten Kampf gegen Larry Sims, machte Cus dabei aber richtig wütend. Sims war echt gewieft und plump, einer dieser netten Fighter. In der dritten Runde wechselte ich in die Rechtsauslage und schickte ihn mit einem wuchtigen Punch zu Boden. Im Umkleideraum stellte mich Cus zur Rede.
„Wer hat dir diesen Linkshänderscheiß beigebracht? Jetzt wird’s vielleicht schwierig, Kämpfe für dich zu kriegen“, sagte er. „Gegen Linkshänder treten die Leute ungern an. Du bist dabei, alles zu ruinieren, was ich aufgebaut habe.“ Cus hasste Linkshänder.
„Tut mir leid, Cus“, entschuldigte ich mich. Aber war es nicht blöd, sich für einen spektakulären Knockout zu entschuldigen?
Einen Monat später stand ich wieder im Ring, erledigte in einer Runde Lorenzo Canady und trat drei Wochen später in Atlantic City gegen Mike Johnson an. Als wir uns zur Belehrung aufstellten, machte Johnson ein so arrogantes Gesicht, als hasse er mich persönlich. Binnen Sekunden schickte ich ihn mit einem linken Haken in die Nieren zu Boden, und als er wieder aufstand, verpasste ich ihm eine spektakuläre Rechte, die ihn so schwer traf, dass zwei seiner Schneidezähne im Mundschutz