Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus. Charles Dickens

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Читать онлайн книгу Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus - Charles Dickens страница 20

Oliver Twist oder Der Werdegang eines Jungen aus dem Armenhaus - Charles Dickens Reclam Taschenbuch

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sagte Fagin zum Dodger, während er listig zu Oliver hinüberlinste, »ich hoffe, ihr habt heute morgen schon gearbeitet, meine Lieben?«

      »Sogar hart«, erwiderte der Dodger.

      »Eisenhart«, fügte Charley Bates hinzu.

      »Brave Jungs, brave Jungs!«, rief Fagin. »Und was hast du mitgebracht, Dodger?«

      »Zwei Brieftaschen«, gab der junge Herr zur Antwort.

      »Gefüttert?«, erkundigte sich der Alte begierig.

      »Ganz ordentlich«, entgegnete der Dodger und holte zwei Brieftaschen hervor, die eine grün, die andere rot.

      »Nicht so dick, wie sie sein könnten«, bemerkte Fagin, nachdem er ihr Inneres sorgfältig inspiziert hatte, »aber sehr hübsch und gut gearbeitet. Ist er nicht ein geschickter Handwerker, Oliver?«

      »Ja, Sir, in der Tat«, antwortete Oliver, worauf Mr. Charley Bates schallend auflachte, zum großen Erstaunen Olivers, der an dem, was vorgegangen war, nichts zum Lachen finden konnte.

      »Und was hast du, mein Bester?«, fragte Fagin Charley Bates.

      »Rotzfahnen«, entgegnete Meister Bates, wobei er vier Schnupftücher hervorzog.

      »Sehr schön«, sagte Fagin und nahm sie näher in Augenschein, »gute Qualität, sehr gute sogar. Doch hast du das Monogramm nicht schön eingestickt, Charley, also wollen wir es mit einer Nadel entfernen und Oliver zeigen, wie man das macht. Sollen wir, Oliver? Hahaha!«

      »Wenn Ihr meint, Sir«, sagte Oliver.

      »Möchtest du nicht auch so einfach Schnupftücher herstellen können wie Charley Bates, mein Lieber?«, fragte Fagin.

      »Sehr gern sogar, wenn Ihr es mir beibringen wollt, Sir«, antwortete Oliver.

      Meister Bates fand diese Antwort derart belustigend, dass er erneut in Gelächter ausbrach, ein Gelächter, das dem Schluck Kaffee, den er gerade trank, in die Quere kam und den falschen Hals hinabbeförderte, was beinahe mit dem vorzeitigen Erstickungstod des Jungen geendet hätte.

      »Er ist so herrlich grün!«, sagte Charley, als er sich erholt hatte, um sich bei der Gesellschaft für sein unhöfliches Benehmen zu entschuldigen.

      Der Dodger sagte nichts, sondern strich Oliver das Haar in die Stirn und meinte, schon bald würde er alles besser verstehen, worauf der alte Herr, der sah, wie Oliver rot wurde, das Thema wechselte, indem er fragte, ob der Hinrichtung an diesem Morgen eine große Menschenmenge beigewohnt habe. Das verwirrte Oliver nur noch mehr, denn die Antworten der zwei Jungen ließen erkennen, dass beide vor Ort gewesen waren, und Oliver wunderte sich natürlich, wie sie da noch Zeit finden konnten, so fleißig zu arbeiten.

      Als das Frühstück abgeräumt war, spielten der fröhliche alte Herr und die beiden Jungen ein höchst seltsames und ungewöhnliches Spiel, das so vor sich ging: Der fröhliche alte Herr steckte eine Schnupftabakdose in die eine Hosentasche und eine Brieftasche in die andere, eine Uhr, die ihm an einer Kette um den Hals hing, in die Westentasche und eine unechte Diamantennadel ans Hemd, dann knöpfte er seinen Rock fest zu, füllte dessen Taschen mit Brillenetui und Schnupftuch und spazierte daraufhin mit einem Stock im Zimmer auf und ab, ganz so, wie die alten Gentlemen, die man zu jeder Tageszeit durch die Straßen gehen sieht. Mal blieb er am Kamin stehen, mal an der Tür, und tat so, als würde er aufmerksam Schaufenster betrachten. Bei solchen Gelegenheiten schaute er sich aus Furcht vor Dieben ständig nach allen Seiten um und klopfte reihum alle Taschen ab, um zu prüfen, ob auch nichts verlorengegangen sei, und alles wirkte so natürlich und komisch, dass Oliver lachte, bis ihm die Tränen übers Gesicht liefen. Die ganze Zeit folgten die beiden Jungen dem alten Herrn auf Schritt und Tritt und wichen jedesmal, wenn er sich umwandte, seinem Blick so geschwind aus, dass man ihren Bewegungen nicht zu folgen vermochte. Schließlich trat ihm dann der Dodger auf die Zehen oder stieß ihm wie zufällig gegen die Stiefel, während Charley Bates ihn von hinten anrempelte, und in diesem Augenblick entwendeten sie ihm mit bemerkenswerter Flinkheit Schnupftabakdose, Brieftasche, Uhr samt Kette, Anstecknadel, Schnupftuch und sogar das Brillenetui. Spürte der alte Herr in irgendeiner Tasche eine Hand, rief er, in welcher sie sich befand, und dann begann das Spiel von neuem.

      Als dieses Spiel viele Male wiederholt worden war, kamen zwei junge Damen, um die jungen Herren zu besuchen, die eine hieß Bet, die andere Nancy. Sie trugen ihr Haar, das nicht allzu ordentlich hinten hochgesteckt war, ziemlich lang, und ihre Schuhe und Strümpfe wirkten ein wenig ungepflegt. Sie waren vielleicht nicht eigentlich hübsch, hatten jedoch viel Farbe im Gesicht und sahen drall und munter aus. Da sie von ungezwungenem und liebenswürdigem Benehmen waren, hielt Oliver sie für ausgesprochen nette Mädchen. Und das waren sie zweifellos auch.

      Der Besuch blieb eine ganze Weile. Infolge der Klage einer der jungen Damen, ihr würde innerlich frösteln, kamen Spirituosen auf den Tisch, worauf die Unterhaltung eine lebhafte und fröhliche Wendung nahm. Schließlich gab Charley Bates seiner Meinung Ausdruck, es sei Zeit, in die Hufe zu kommen. Das, so vermutete Oliver, müsse wohl Französisch für »ausgehen« sein, denn gleich darauf brachen der Dodger und Charley mit den beiden jungen Damen auf, wobei sie vom liebenswerten alten Herrn noch mit einem Taschengeld versehen wurden.

      »Na, mein Lieber«, sagte Fagin, »das ist ein herrliches Leben, was? Den Rest des Tages haben sie frei.«

      »Ist ihre Arbeit denn schon getan, Sir?«, erkundigte sich Oliver.

      »Ja«, erwiderte der Alte, »es sei denn, ihnen läuft draußen zufällig welche über den Weg, dann werden sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, mein Bester, darauf kannst du dich verlassen. Nimm sie dir zum Vorbild, mein Junge, nimm sie dir zum Vorbild«, sagte Fagin und klopfte mit dem Schürhaken auf den Herd, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Tu alles, was sie dir auftragen, und befolge in allen Dingen ihren Rat, besonders den des Dodgers, mein Liebling. Er wird es einmal zu etwas bringen und auch dir dazu verhelfen, wenn du seinem Beispiel folgst. Hängt mir da etwa mein Schnupftuch aus der Tasche, mein Junge?«, fragte Fagin, plötzlich innehaltend.

      »Ja, Sir«, antwortete Oliver.

      »Versuche, es herauszuziehen, ohne dass ich es merke. So wie du es heute morgen bei unserem Spiel gesehen hast.«

      Oliver hielt mit einer Hand die Tasche unten fest, so wie er es beim Dodger beobachtet hatte, und zog mit der anderen sachte das Schnupftuch heraus.

      »Hast du’s?«, fragte Fagin.

      »Hier ist es, Sir«, sagte Oliver und hielt es ihm hin.

      »Du bist ein cleveres Kerlchen«, sagte der alte Herr launig und tätschelte Oliver lobend den Kopf. »Noch nie habe ich einen geschickteren Burschen gesehen. Hier hast du einen Shilling. Wenn du so weitermachst, wirst du es von allen am weitesten bringen. Und jetzt komm, ich werde dir zeigen, wie man die Monogramme aus den Schnupftüchern entfernt.«

      Oliver fragte sich verwundert, was seine Aussicht, es weit zu bringen, damit zu tun hatte, einem alten Herrn im Spiel die Taschen zu leeren. Aber mit dem Gedanken, Fagin, der ja so viel älter war als er, müsse es wohl am besten wissen, folgte er ihm wortlos zum Tisch und war schon bald emsig mit seiner neuen Arbeit beschäftigt.

      Zehntes Kapitel

      Oliver macht nähere Bekanntschaft mit dem Charakter seiner neuen Gefährten und sammelt zu hohem Preis neue Erfahrungen. Ein kurzes, aber äußerst wichtiges Kapitel dieser Geschichte.

      Viele

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