The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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John kam gerade mit Freundin Alison von einer Probe mit The Scorpions, der Schulband, in der auch sein Kumpel Pete mitmischte. Er schleppte nicht nur die Bassgitarre über die Lexden Road, sondern auch den überdimensionalen Lautsprecher, und Allison trug den Verstärker, so dass Rogers unverhoffte Annäherung im Rückblick einigermaßen befremdlich klingt: „Ich hab’ gehört, du spielst Bassgitarre?“ fragte der Teddyboy.
„Yeah“, antwortete John, gleichermaßen beeindruckt von der schieren Ignoranz, mit der Roger sein Gepäck übersah, wie von der ungenierten Selbstgefälligkeit des weithin gefürchteten Haudraufs Daltrey.
„Willst du’s mal in meiner Gruppe versuchen?“, meinte Roger gnädig.
„Ich bin schon in einer Gruppe“, erwiderte John vorsichtig.
„Schon möglich, aber meine verdient Geld.“
Mit diesem Argument, das freilich nicht der Wahrheit entsprach, hatte Roger den Bassisten am Haken. John konnte den Lockungen des Gelds nie widerstehen und damals jeden Penny besonders gut gebrauchen. In The Complete Chronicle Of The Who 1958 – 1978 wird berichtet, dass Roger ziemlich übertrieben hatte. John wird folgendermaßen zitiert: „Roger sagte mir, dass ein Auftritt bevorstand, was eine Lüge war, und dass sie Geld verdienten, was eine Lüge war; aber zur Probe ging ich trotzdem …“
Wie auch immer: John wurde aufgefordert, sich am nächsten Abend im Proberaum der Detours einzufinden, und er erschien ordnungsgemäß in Reg Bowens Haus in Shepherd’s Bush. Nach einigen Stücken wurde er gefragt, ob ihm die Darbietung gefallen habe. John nickte.
Mit diesem stummen Einverständnis wurde er offiziell Mitglied der Detours. Das bedeutete freilich auch, dass John fortan mit dem gefürchteten „Big Bad Roger“ spielte und seinen Schulfreund Pete verlassen musste. Um die Scorpions selbst tat es John nicht leid („wir hatten eh keinen Pfeffer im Hintern …“), aber Pete aufzugeben fiel ihm schwer, zumal jener inzwischen weit besser spielte als Detours-Gitarrist Reg Bowen, der nach einhelliger Meinung höchstens fünf Akkorde beherrschte, aber wegen seines Proberaums unverzichtbar erschien.
Nach einiger Zeit gelang es John, Roger für seinen Freund Pete zu interessieren. Über den genauen Ablauf der Eingliederung gibt es unterschiedliche Versionen, was zu einem Gutteil an Petes poetischem Gedächtnis und seiner ungenierten Redelust liegt. In Johnny Blacks Buch Eyewitness The Who hat er die Situation als spannungsgeladene Begegnung im Schulkorridor geschildert, wo ihm unversehens der längst ausgeschlossene Roger Daltrey entgegentritt: „Oh Gott, dachte ich, was wird er diesmal mit mir anstellen! Er war schrecklich, ein schrecklicher Typ. Aber er sagte: ‚Ich höre, du spielst Gitarre.‘ Ich nickte, und er sagte: ‚Bei mir zuhause. Heut’ Abend. Sieben Uhr dreißig.‘“
Es spricht einiges dafür, dass Roger die bei John bereits erfolgreich angewandte knappe Anwerbung in der gleichen Form auch bei Pete einsetzte. John erinnert sich jedoch, dass er Pete zunächst regelrecht weichklopfen musste, der Band von Roger beizutreten: „Er wollte erst nicht mitmachen, warum auch immer, aber dann erzählte ich ihm, dass wir einen richtigen Vox-Verstärker hatten. Da dachte er, wow, ein Vox-Verstärker, na dann … Was ich Pete allerdings nicht verriet, war, dass er den Vox eines ertrunkenen Vorgängers mit Roger teilen musste.“
Roger hält sich in seiner Variante recht einsilbig. Er sagt, er habe Pete erst getroffen, als der mit seiner Gitarre zum Vorspielen in seinem Haus aufkreuzte, wo die Detours seit Bowens Rausschmiss heimlich probten, wenn Rogers Eltern ausgingen. Für Pete war es in jedem Fall „der größte Triumph meiner Schulzeit, als Roger mich fragte, ob ich Gitarre spielen kann. Hätte er gesagt, komm auf den Schulhof, ich mach’ dich fertig, ich wäre mit einem Schlag erledigt gewesen. Musik war der einzige Weg für mich, jemals zu gewinnen.“
Aus dieser letzten Bemerkung können wir einiges über Petes noch schlummernde dominante Natur erfahren. Jedenfalls schien er von Anfang an wild entschlossen, Daltrey herauszufordern und sich und seine Vorstellung von Musik gegen den einstigen Schulhofkönig durchzusetzen.
Vorerst aber machte sich Pete nur auf den Weg zu seiner ersten Probe mit den Detours und musste dabei gleich einsehen, dass er seinem künftigen Widersacher noch lange nicht das Wasser reichen konnte. Townshend sah unvermittelt ein wunderschönes blondes Mädchen auf sich zu rennen und hegte schon gewisse Hoffnungen: „Sie weinte, und mein mitfühlendes Herz sprang ihr sofort entgegen. Eine Sekunde war ich unschlüssig, weil sie sich mir näherte. – ‚Gehst du zu Roger Daltreys Haus?‘ wollte sie wissen. Ich bestätigte stolz ihren Verdacht. ‚Gut, dann kannst du ihm ausrichten, entweder ich oder seine Gitarre!‘ Sie brach erneut in Tränen aus und stürmte hinaus in die Nacht.“
Soweit Pete es überblicken konnte, waren die Detours damit erledigt. Er platzte bei Roger herein, um ihn wissen zu lassen, dass es ihm nichts ausmachen würde, zu seiner Seekadettenkapelle zurückzukehren, mit der er seit Johns Abgang dudelte. Aber: „Roger wählte seine Gitarre, und die erste Probe verlief prima, ohne Erwähnung des weinenden Mädchens, das ich nie wieder gesehen habe.“
Ungeachtet der verschiedenen persönlichen Einfärbungen lässt sich Petes Einstieg bei den Detours ziemlich genau auf Mitte 1961 festlegen, kurz bevor Pete und John ihren Abschluss an der Grammar School machten, während John vermutlich schon Ende 1960 festes Mitglied der Band war.
„Irish“ Jack Lyons, ein Who-Fanatiker der allerersten Stunde, beschreibt in den 2004 erschienenen Aufzeichnungen The Who Concert File, dass die Band nach Petes Aufnahme noch ein seltsames Intermezzo unter dem Namen Dale Angelo & The Detours zu überstehen hatte. Dawson, der Sänger hatte darauf gedrängt, die Gruppe um ein weibliches Element zu erweitern und stellte seine Freundin Angela Dives neben sich ans Mikro. Diese Idee war vermutlich sein erster Sargnagel, denn sie lieferte Roger einen guten Vorwand, den Kampf um die Alleinherrschaft in der Band gegen den älteren Dawson zu eröffnen.
Bald waren die Detours wieder eine reine Männergesellschaft. In Ermangelung eines richtigen Managers organisierte Roger die Auftritte in und um West-London. Er verhandelte die Gage und trieb sie notfalls auch mit der Faust ein, während Mr. Wilson, der Vater des Drummers, die minderjährigen Rock’n’Roller mit seinem Kleinlaster von Gig zu Gig kutschierte.
Geprobt wurde nun auch öfter bei Townshends zu Hause, nachdem Rogers Eltern sich wunderten, wer für den nächtlichen Lärm verantwortlich war, über den die Nachbarn klagten. Denn kaum waren Irene und Harry zum Kartenspiel mit Freunden aus dem Haus, schlüpften schon Pete und John und der Rest der Truppe hinein. Roger schickte seine beiden Schwestern streng ins Bett (wobei eine der beiden bald zuschauen durfte, nachdem Pete mit ihr anbandelte), und die Jungs bauten ihre Anlage im Elternschlafzimmer auf, Lautsprecher und Schlagzeug gegen die Wand zum Nachbarn gerichtet …
Bis Rogers Eltern zurückkamen, war der Spuk vorbei, und Roger mimte stets den Ahnungslosen, wenn man auf die Beschwerden der Nachbarn wegen des Krachs zu sprechen kam.
Natürlich unterstützten Petes Eltern die Karriereversuche ihres Sohns nach Kräften, aber oft waren auch ihnen der Lärm und die Unruhe in der oberen Hausetage zuviel. Betty hatte im Herbst 1960 einen dritten Sohn zur Welt gebracht, Petes fünfzehn Jahre jüngeren Bruder Simon, der, wahrlich kein Wunder, Jahrzehnte später an Petes Seite mit den verbliebenen Who auf der Bühne stehen würde, hatte er doch ihre Musik geradezu mit der Muttermilch aufgesogen.
Petes Vater wurde durch die etwas undifferenzierte musikalische Betätigung seines Erstgeborenen zu einer anderen Überlegung inspiriert: „Der Krach, den ich mit meiner ersten elektrischen Gitarre veranstaltete, legte meinem Vater nahe, dass ich besser an der Kunsthochschule aufgehoben war und mich auf Grafik konzentrierte, statt das Feld der musikalischen