The Who - Maximum Rock I. Christoph Geisselhart
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Keith erschien mit nichts weiter als einem Paar Trommelstöcken bewaffnet. Unter den fünf oder sechs Bewerbern waren auch einige Hochkaräter. Lloyd Ryan zum Beispiel, der in Fernsehshows, bei Musicals und für Filmmusik getrommelt hatte und direkt von einer Europatournee mit Gene Vincent zurückkam. Oder Mick Fleetwood, der in den Siebzigern mit seiner eigenen Band berühmt werden sollte. Und natürlich Bobby Elliott, der einige Jahre später mit den Hollies ein häufiger Gast in den Charts war, ein Könner mit Jazz im Blut, der eigens zweihundertfünfzig Kilometer von Lancashire nach London gefahren war, um den Job bei den Fentones zu bekommen. Für ihn lohnte sich der weite Weg am Ende tatsächlich, denn er setzte sich durch, wurde angeheuert und hatte mit dieser Band noch viel Spaß.
Für Keith hingegen war der Frust groß. Fenton hielt ihn für zu jung und fand ihn zu hastig, zu ungenau in seinem Spiel. Immerhin konnte er einige neue Kontakte zu den Profis schließen; er näherte sich dem inneren Kreis seiner Zunft. Und als er seinem väterlichen Freund Lou Hunt von seinen Erlebnissen berichtete, sorgte der dafür, dass Keith im Oldfield auf die Bühne klettern durfte, wenn ein großzügiger Kollege damit einverstanden war, dem sechzehnjährigen Nachwuchsdrummer für ein paar Rock’n’Roll-Standards eine Chance zu geben.
Theoretisch hätte Keith bei einer solchen Gelegenheit auch das erste öffentliche Vorspielen der Detours beobachten können, das etwa um die gleiche Zeit, im November 1962, im Oldfield Hotel vor dem Promoter Bob Druce stattfand. Sicher ist, dass er die Detours danach oft sah, wenn sie im Oldfield auftraten, und dass sie ihm zunehmend imponierten, je weiter sie sich entwickelten, je rauer, lauter, härter, wilder und kompromissloser als alle anderen Gruppen in Druces Tourzirkus sie wurden.
Eine urtümliche Aura von rüder Prominenz, von Eigensinn und Unnahbarkeit umgab diese Truppe, obwohl sie noch so neu im Geschäft war. Keith behielt sie im Auge, traute sich aber nicht, den schlagkräftigen Roger oder gar Pete, den arroganten Kunststudenten an der Gitarre, anzusprechen. Er übte eifrig weiter, spielte mal hier mit, mal dort und wartete auf seine nächste Chance.
Sie kam schon wenig später. Am 25. April 1963 erschien im Harrow Observer eine Anzeige, die Keith aufmerken ließ: „Beachcombers brauchen guten, zuverlässigen Rockschlagzeuger, regelmäßige Arbeit, Tel. Wembley 7185.“ Die Beachcombers waren Keith ein Begriff. Er hatte sie im Oldfield Hotel gesehen, und ihr Name hatte ihm etwas versprochen, das ihm, so absurd es klingt, fast heilig geworden war: Surfmusik.
11.: „Surfin’ London Nights“: Mit den Beachcombers entlang der Themse
„Meine Vorstellungskraft war vielleicht wilder.“
Keith Moon
„Er war gut, und er war laut.“
Leadgitarrist Norman Mitchener über Keith
„Es war, als würde eine Bombe hinter uns explodieren.“
John Schollar, Gitarrist der Beachcombers
Auf den ersten Blick erscheint es vollkommen rätselhaft, weshalb ein bleicher, schmächtiger, unsportlicher Sechzehnjähriger aus Nord-London, der noch nicht lange für den staatlichen Gipsvertrieb British Gypsum in untergeordneter Stellung von neun bis 17 Uhr Anrufe beantwortete, Bestellungen weiterleitete und als Bürobote fungierte, eine so heftige und aufrichtige Obsession für die Kulissenmusik kalifornischer Wellenreiter entwickeln konnte.
Bis zu den großen Hits der Beach Boys, die erstmals 1964 mit „I Get Around“ im britischen Fernsehen zu bewundern waren, galt Surfmusik als inneramerikanisches Phänomen, das sich von der Westküste nur zögerlich über den Kontinent ausbreitete, bevor die instrumentalen Ursongs der Surferszene mit Texten vom leichten Leben im kalifornischen Sonnenstaat angereichert wurden.
Dick Dale, ein Gitarrist aus Balboa Beach, der fünfunddreißig Jahre später durch seine Filmmusik zu Pulp Fiction ein zweites Mal weltberühmt wurde, gilt gemeinhin als Erfinder des Surfsounds – obwohl der erste originäre Surfhit, „Mr. Moto“, nicht von ihm stammte, sondern von The Belairs (die aber mit der gleichnamigen Tanzkapelle aus West-London nichts gemeinsam hatten).
Dale, selbst fanatischer Wellenreiter, hatte Schlagzeug erlernt, wechselte dann aber an die E-Gitarre, die er mithilfe von Leo Fender, der seine Manufaktur ebenfalls in Kalifornien betrieb, ähnlich stilprägend entwickelte wie Duane Eddy. Dale war Linkshänder wie Jimi Hendrix, der manches von ihm abgeschaut hatte; aber er spannte die Saiten nicht um, sondern behielt ihre verkehrte Reihenfolge bei, was logischerweise zu einem ungewöhnlichen Umgang mit den Bass-Saiten führte. Da er mit seiner Stimme nicht zufrieden war, ließ er sich von Fender Hall- und Vibratogeräte bauen, die er ans Mikrofon anschließen konnte. Als er diese Effekte einmal versuchsweise zwischen Gitarre und Verstärker schaltete und die tiefen Saiten wie gewohnt kräftig anschlug, war der Surfsound, mit seinem charakteristischen, basslastigen und rhythmisch wogenden „Twang“-Klangbild geboren.
Dale veröffentlichte 1961 das Stück „Let’s Go Trippin’“, das unter Surfern schnell ein Hit wurde. Davon angeregt, legten einige Sessionmusiker unter dem Namen The Marketts ein zweites Instrumentalstück nach, „Surfer’s Stomp“. Dieser Song wurde ein kleiner nationaler US-Hit, während die Debütsingle der Beach Boys, „Surfin’“, im November 1961 nur bis auf Platz 75 der Charts kam.
Trotzdem fand der Beach-Boys-Sound, der rockige Elemente mit eingängigem, vielstimmigem Harmoniegesang verband, viele Anhänger und Nachahmer in Nordamerika. Auf den britischen Inseln freilich wussten von dieser Entwicklung allenfalls ein paar echte Musikfreaks und Insider. Was hätte ein Fabrikarbeiter im grauen Manchester, ein Angestellter im regennassen Liverpool oder ein Bürobote im hektischen London schon mit dem Gute-Laune-Ideal vom unbeschwerten Leben am Strand anfangen können? Frisierte Autos, goldener Sand, blauer Ozean, der ewige Ritt auf hohen Wellen und zwei Mädels für jeden Surfer – für einen gewöhnlichen Briten Anfang der Sechziger lag der Mond näher.
Für Keith „Sputnik“ Moon hingegen bedeutete schon der erste Kontakt mit Surfmusik den Beginn einer lebenslangen Beziehung. Niemand weiß genau, wer Keith diese Leidenschaft näherbrachte. Aber es ist dokumentiert, dass er früh alle Schallplatten zu sammeln begann und sich über einen Mittelsmann ständig Neuerscheinungen aus den USA schicken ließ, darunter so obskure Titel wie „Ghost Surfer“ oder „Ghost Hop“. Er wusste alles über Songs wie „Let’s Go Trippin’“ und „Misirliou“, „Wipe Out“ oder „Surfer Joe“ von den Surfaris. Er konnte mit so großer Autorität und Ernsthaftigkeit über die musikalischen Aspekte der Surfmusik fachsimpeln, dass sich Kollegen, Freunde und Mitmusiker oft wunderten.
Wer aber das Schlagzeugspiel von Ron Wilson auf „Wipe Out“ von 1962 unter die Lupe nimmt, wundert sich schon weniger. Nach einem fulminanten Einstieg hält Wilson sein hämmerndes Tom-Tom-Schlagmuster das ganze Stück über durch; erst damit gibt er ihm Struktur und Originalität – man könnte aus diesem Muster problemlos ein Vorbild für Keith Moons Rhythmusarbeit in frühen Who-Songs ablesen. Nicht weniger überzeugend klingt das Schlagzeugsolo, das in „Surf City“ von Keiths Surfsoundlieblingen Jan And Dean zum Schluss ausgeblendet wird. So dominant, vordergründig, tragend sind Trommeln in anderen Stilrichtungen populärer Musik selten zu hören.
Mit der Surfmusik liegen schließlich alle Komponenten auf dem Tisch, in denen das bewundernswert intuitive Schlagzeugspiel von Keith Moon seine stilistischen Wurzeln hatte. Am Anfang standen die großen Showdrummer Pate, Gene Krupa vor allem, die technisch perfekt und in ihrer Musik, dem Jazz, so sicher waren, dass sie sich hinter der Schießbude jeden Spaß erlauben konnten. Dann folgte der wilde, unorthodoxe Autodidakt