Vagos, Mongols und Outlaws. Kerrie Droban
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Es stank nach Fäulnis und abgestandenem Wasser. Twist befahl der Frau, sich die Hose runterzuziehen. Lizard, 55 Jahre alt und drogenabhängig, wirkte, als schwebe er immer noch auf einem schlechten LSD-Trip. Er schlug mir die Tür vor der Nase zu. Ich wartete in der beklemmenden Dunkelheit auf spöttische Bemerkungen, Schreie oder lautes Knallen, doch ich hörte rein gar nichts. Der Raum schien jedes Geräusch zu verschlucken, den kleinsten Laut zu einem düsteren, unvorstellbar schrecklichen Ort umzuleiten. Als sie einige Minuten später wieder vom Klo kamen, spuckte Twist einige Male auf sein Stirnband und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Lizard und Rhino klopften ihm anerkennend auf den Rücken. Mit einem Quietschen schloss sich die Klotür. Ich blinzelte hinein und sah auf dem Boden einen zusammengerollten Schatten, hörte ein leises Schluchzen.
Lizard lauerte im Schatten, beobachtete und prüfte mich. Würde ich etwas Ungewöhnliches unternehmen, mich wie ein Mensch mit einem Gewissen verhalten? Doch ich blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete die Frau, die sich vom Boden hochquälte, der mit Glassplittern übersät war. Scherben von Bierflaschen glitzerten in der Kloschüssel wie dunkles Eis. Die Frau kroch zu der Tür, wo ich stand. Ihre Jeans hingen in Höhe der Füße, das zerrissene Höschen war voller Blutflecken. Ich presste mich gegen die Wand, unterdrückte den Drang zu helfen, denn jedes Mitgefühl, jegliche menschliche Regung hätte meine Tarnung auffliegen lassen.
1 Pseudonym.
2 Strafverfolgungsbehörde bei Drogendelikten.
3 Der Ausdruck „One Percenter“ entwickelte sich zu einem stehenden Begriff, der sich mittlerweile auf allen Kutten der OMG (Outlaw-Motorcycle-Gangs)-Mitglieder findet.
Die Vagos brauchten Schlägereien wie andere einen Drogen-Fix. Es war egal, wem es an den Kragen ging oder ob überhaupt ein Sinn dahintersteckte – das Spiel des Gewinnens oder Verlierens verschaffte den Bikern eine Art Erleichterung. Meine Nächte verwandelten sich in einen undurchdringlichen Nebel aus Faustschlägen und Nackenhebeln. Mein Gesicht schlug so lange auf dem Betonboden auf, bis die Zähne die Wangeninnenseiten blutig aufrissen. Meine Augen waren geschwollen, so dass ich nur noch durch schmale Schlitze blinzeln konnte, und meine Stiefel hinterließen blutige Abdrücke auf den Fliesen. Die Polizei schritt niemals ein, da kein Opfer sie je verständigte. Zwischen all dem Grunzen, dem Krach und den hysterischen Schreien tat ich mein Bestens und schlug zu – immer und immer wieder, bis die Gewalt mich nicht mehr juckte, zur Gewohnheit wurde. Ich erwartete sie förmlich. Schlag. Ducken. Schlag. Wegducken. Mein Leben bestand nur aus dem blitzartigen Auflodern der Brutalität vor einer tiefen Finsternis. Die Angst, die ich mal gehabt hatte, schwand mit jedem Zweikampf mehr. Auch wenn ein stechender Schmerz meine rechte Schulter durchzuckte oder mein Kopf dröhnte, machte mir das nichts mehr aus.
Meine Haltung blieb den Bikern nicht verborgen, und so lud mich Terrible zur Feier des achten Gründungstags des Victor-Valley-Chapters ein. Sie fand im Screaming Chicken Saloon in Devore statt, einem Gebiet des San Bernardino County, auf das der Sheriff keinen Zugriff hatte und das zwischen zwei Freeways an der Route 66 lag. Der Saloon, eine umgebaute Tankstelle aus den Vierzigern, schenkte nur Bier und Wein aus, keine harten Alkoholika. Innen drin war es verdammt staubig. Die Barkeeper sahen ziemlich abgerissen aus, wie Fossilien aus einer längst vergangenen Ära, die mal dringend ein gründliches Bad nötig gehabt hätten. Dollarscheine flatterten an der Wand. Ein großes Motorradschutzblech hing ebenfalls dort, gleich neben den grellen Neonröhren, die ein „V“ bildeten. Mehr als 200 Vagos hatten sich in den Laden gequetscht und vermischten sich mit den Mitgliedern anderer Chapter oder von Clubs, die sie unterstützten. Der Tresen war so lang, dass er bis in einen überdachten Außenbereich hineinragte, in dem man mit Hufeisen Wurfübungen machen konnte. Um mich herum sah ich das metallische Glitzern von Waffen und Stahlketten. Pinkfarbene Flyer, die für eine Wohltätigkeitsveranstaltung zur Unterstützung einer Kampagne gegen Brustkrebs warben, lagen auf dem Boden und klebten an den Stiefeln der Männer. Die Frauen stolzierten in Bikinis durch den Laden.
Einige Vagos trugen noch ihre Helme, die an die Nazi-Sturmtruppen des Zweiten Weltkriegs erinnerten. Vor der Bar standen Bikes aneinandergereiht – meist in Schwarz, Bronze, Silber, Rot oder Blau –, deren Lenker mit Walküre-ähnlichen Metallschwingen verziert waren. Das Leben der Onepercenter drehte sich vornehmlich um Motorräder und das Ausschlachten alter Maschinen bzw. den Diebstahl von Ersatzteilen. Terrible drängte sich zwischen den Leuten hindurch und kam auf mich zu, in der Hand ein großes Glas mit kühlem Bier. Er wirkte heute besonders aufgeregt, denn die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Er sprach davon, es Drogendealern heimzuzahlen, die Stoff mit gefälschten Banknoten gekauft hatten, von einer Jagd auf Menschen, die er anleiere, da sie den Vagos Kohle schuldeten, von Anschlägen, die er verüben wolle, und Gesichtern und Augenhöhlen, die er in blutigen Brei zu verwandeln gedachte. Von ihm unbemerkt steuerte ich den Rekorder aus.
Terrible machte mich verdammt nervös. Es war nicht nur seine dämonenhafte Erscheinung, sondern seine Unberechenbarkeit. Er prügelte sich, ohne provoziert worden zu sein, verlor beim Erzählen den roten Faden und beendete Gespräche mitten im Satz. Wenn er unter Stress stand, schlug er auf imaginäre „Schattenmenschen“ ein. Doch er war für mich auch der ideale Türöffner, um an Schlüsselfiguren wie Twist vom Victor-Valley-Chapter oder Rhino vom Victorville-Chapter heranzukommen. Die beiden tauchten just in diesem Moment im dunklen Eingang des Screaming Chicken auf und trugen Tüten voll mit weißem Pulver. In den vorderen Taschen der Kutten steckten kleinkalibrige Pistolen. Ich prägte mir die tätowierten, muskulösen Arme ein und die überdimensionalen Piercings in Rhinos Ohrläppchen. Die beiden durchdrangen mich beim Näherkommen mit ihrem ausdruckslosen Starren. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie eine schwere Kindheit hinter sich hatten, in ihren frühen Jahren emotionaler Vernachlässigung ausgesetzt waren und sich mit den ständigen Gewaltdarstellungen im Fernsehen konfrontiert sahen, während ihre Eltern aus der Arbeiterschicht einen beständigen Kampf führten, damit genügend Essen auf dem Tisch stand. Ich kannte sie gut, Menschen, die so drauf waren wie diese beiden. Gespräche führten da zu nichts. Niemand stellte sich gegen von ihnen gefällte Entscheidungen. Es war ja auch egal. Widerworte hätten sie wahrscheinlich nur zu einem Schlag in die Fresse provoziert. Und mal davon abgesehen, bestand mein Job darin zu beobachten, Gespräche aufzuzeichnen und zu manipulieren, und nicht darin, solche Typen zu läutern, aus ihnen womöglich noch gute Menschen zu machen.
In dieser Nacht ahnte ich noch nicht, dass ich zwei der brutalsten Killer der Vagos begegnet war.
Zu Beginn des Jahres 2004 kontaktierte die Criminal Intelligence Division aus San Bernardino Special Agent John Carr vom Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives [ATF], um sich zu erkundigen, ob er mich für eine sinnvollere Aufgabe einsetzen konnte. Special Agent Carr und Special Agent Darrin „Koz“ Kozlowski trafen sich also mit Vertretern der DEA und mir im Büro in San Bernardino. Carr hatte schon einen Informanten, der in Riverside bei einer Ermittlung gegen die Vagos eingesetzt wurde. Das ATF und die DEA kamen schließlich zu einer Übereinkunft, und von nun an stand ich auf der Gehaltsliste des ATF. Der legendäre Koz, ein Bundesagent, der die Vagos 1997 in einem Undercover-Einsatz infiltriert und es sogar bis zum Rang eines Vollmitglieds geschafft hatte, fungierte als mein Kontaktmann.
Um in die Gang zu kommen, hatte er einen Informanten wie mich