Vagos, Mongols und Outlaws. Kerrie Droban
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Ich lebte mit einem Gefühl der ständigen Angst, das ich vor den Bikern verbarg. Jede Nacht ging ich in Gedanken meinen Tagesablauf durch. Hatte ich mich auffällig verhalten? War ich vor einer Aufgabe zurückgeschreckt? Hatte ich etwas Falsches gesagt? Im Moment musste ich sowohl Koz als auch den Vagos meine Loyalität unter Beweis stellen. Ich schwor mir, der beste Prospect aller Zeiten zu werden. Und so hing ich mit ihnen bis in die Morgenstunden in verdreckten Bars ab, grölte Madonnas „Like A Virgin“ und machte beim Wettsaufen mit, wobei ich mir manchmal fünf Krüge Bier hintereinander reinkippte.
Besonders Head Butt nutzte meine neue Position aus und ließ keine Gelegenheit verstreichen, mich auf die Probe zu stellen. Er forderte mich im Billard heraus, holte mit dem Stock aus, verpasste mir einen aufs Schienbein und kicherte wie ein Idiot, wenn ich vor Schmerzen das Gesicht verzog. Ich wusste, wie das Spiel lief, doch Head Butt hatte seine eigenen Regeln. Wenn ich die Billardkugel gekonnt in eine Tasche beförderte, beschuldigte er mich der Respektlosigkeit. Falls ich einen Stoß vermasselte, musste er mich „erziehen“.
Kaum hatte ich die Schmerzen weggesteckt, verpasste er mir mehrere Schläge an den Kopf – wie bei einem defekten Aufzieh-Spielzeug! Ihm machte das Quälen anderer Menschen großen Spaß. Oft fühlte ich mich wie ein Amateurboxer, der sich jeden Abend auf ein Match vorbereitete, keine Zeit zur Erholung hatte und seine Gegner nicht einschätzen konnte. Mal abgesehen von den seltenen Ruhepausen, in denen ich meinen Hund fütterte oder Koz Bericht erstattete, war ich Rhinos Launen ausgesetzt. Ich begleitete ihn auf seine Menschenjagden, wenn er Drogenschulden eintrieb oder sich Motorräder unter den Nagel riss. Die meisten Aktionen stellten sich jedoch als Flops heraus. Erst wurde ein großer Wirbel veranstaltete, die Spannung stieg auf den Siedepunkt, und dann kam nichts dabei heraus. Wir erreichten das Haus eines Schuldners, quatschten darüber, wie man am besten reinkäme, schwafelten weiter, verzogen uns, kamen kurz darauf wieder zurück und klopften dann ganz normal an. Rhino hatte die Ausstrahlung eines Bilderbuchgangsters. Die Androhung körperlicher Gewalt schien in Großbuchstaben in Form einer gigantischen Sprechblase über seinem Kopf zu stehen. Es dauert nie lange, bis die Opfer mit der Knete rausrückten.
Eines Nachts durchbrach Rhino sein monotones Leben. Er lag benommen und sternhagelvoll auf seiner Couch, an jeder Seite eine Frau, deren sexuelle Gefälligkeiten er mit Drogen honorierte. Ich stützte mich an einer Wand ab. Meine Augen tränten vom Rauch. Ich beobachte das Geschehen wie ein Voyeur eine Freak-Show, wie ein Mann, der ruhig bleibt, während sich um ihn herum ein rasend schnelles Karussell dreht. Dann, als wäre er plötzlich erwacht, ließ Rhino von seiner neuesten Eroberung ab und schnippte mit den Fingern. Ein Schatten kam aus dem Schlafzimmer. Big Guy – Rhino hatte ihn mir als seine „Waffenquelle“ vorgestellt – tauchte im kaum beleuchteten Raum auf und zeigte ihm eine glänzende Beretta, Kaliber .25. Er war ein untersetzter Mann mit einer krummen Nase und dicken Tränensäcken unter den Augen. Rhino grunzte anerkennend, löste sich aus der Umarmung der Frau und schubste sie vom Sofa. Erst da merkte ich, dass sie keine Beine mehr hatte, sondern nur noch Stümpfe, die den dürren Torso und das leblose Gesicht noch bizarrer erschienen ließen. In einem Anflug von Galgenhumor überlegte ich kurz, ob es dafür auch einen Aufnäher bei den Vagos gab – vielleicht ein Symbol mit fehlenden Flügeln?
Rhino strich mit den Fingern beinahe zärtlich über den Pistolenlauf und gab bekannt: „Wir machen eine Tour. Das Ziel ist Bullhead City.“
Ich wusste, dass es sinnlos war, sich nach Details zu erkundigen. Allein bei dem Namen der Stadt lief mir ein kalter Schauder über den Rücken. Was gab es so Besonderes in Bullhead City, einem Dreckskaff, fast 200 Meilen entfernt am Colorado River im Mohave County, Arizona, gelegen? Und was hatte Rhino mit der Waffe vor? Er befahl mir, die Beretta im Kofferraum meines Wagens zu verstecken, aber das Magazin und die zusätzliche Munition woanders aufzubewahren, für den Fall, dass uns die Cops anhielten. Dann setzte er sich sternhagelvoll und mit zitternden Händen auf seinen Bock und startete die Maschine.
„Nachts kann ich nix sehen“, fluchte er und raste in die Dunkelheit. Ich folgte ihm so dicht wie möglich.
Die Biker waren natürlich generell verdammt flott unterwegs: 65 Meilen die Stunde in Ortschaften und 100 Meilen die Stunde auf den Highways waren die Regel, wobei sie auch bei einem hohen Tempo nicht immer klar bei Verstand waren. Doch das hier erinnerte an einen wahren Höllenritt, glich einem meilenweiten Flug auf einer dunklen und verlassenen Wüstenstraße.
Schon nach einigen Minuten zog Rhino die Maschine an den Straßenrand. „Ich bin verflucht müde, Mann“, sagte er und überreichte mir die Schlüssel.
Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt für die Wahrheit gekommen. Verdreckte Zweiräder hatte ich bislang nur als Kind gefahren, und auf das Bike von der Regierung wartete ich immer noch. Trotzdem setzte ich mich auf den warmen Ledersitz, lächelte Rhino gequält an und beobachtete, wie er in mein Auto stieg. Als ich die schwere Maschine zurück auf die stockfinstere Straße manövrierte und dabei die Abgase und verbranntes Motoröl einatmete, betete ich, dass keine anderen Biker sich zu einem morgendlichen Ausflug aufgemacht hatten. Der Fahrtwind schoss mir ins Gesicht, brachte die Augen zum Tränen. Ich litt an sogenannter Zerrsichtigkeit auf dem rechten Auge und konnte darum räumlich nur sehr schlecht sehen. Eine Brille wäre dringend nötig gewesen. Ich hatte eine Höllenpanik davor, mit einem Motorrad zu verunglücken, und der goldene Strahl der Schweinwerfer meines Wagens hing viel zu nahe an meinem Hinterreifen. Die Arme schmerzten, da ich den Lenker mit den Händen völlig verkrampft hielt. Gedanklich wiederholte ich: Bloß nicht auf dem Asphalt aufschlagen!! Pass bei Straßensplitt auf! Schürf dir bloß nicht die Haut bis auf die Knochen ab.
In meinem Kopf spielten sich wahre Tragödien ab, während der Rollsplitt und kleine Steinchen auf den Rahmen des Bikes prallten. Die Angst umnebelte mein Gehirn und verdrängte alle Gedanken. Und was, wenn etwas mit dem Bock passierte – zum Beispiel ein Kolbenfresser, ein Zylinderbruch oder ein ganz normaler platter Reifen? Und wenn ich mich auf die Schnauze legte, mir einen Arm oder ein Bein brach?
In Bullhead City angekommen, gab mir Rhino per Lichthupe ein Signal. Ich fuhr an den Straßenrand, und er befahl mir, die Knarre aus dem Kofferraum zu holen und ihm zu geben. Als ich abstieg, fühlten sich meine Beine wie Pudding an. Rhinos Visage, nass vom Schweiß, sah so aus, als würde sie gleich explodieren. Er lud die Pistole und murmelte etwas von „eine Rechnung begleichen“ und von einer Überraschung für jemanden. Ich fühlte mich, als krabbelten mir tausend Ameisen die Wirbelsäule hoch. Seine alte Dame lebte in Bullhead City. Er verdächtigte sie, ihn zu betrügen, und wollte sich jetzt um „das Geschäftliche“ kümmern.
Ich setzte mich wieder in meinen Wagen und startete den Motor. Übelkeit überkam mich. Mit bis zum Reißen angespannten Nerven rief ich Koz an, meldete den nächtlichen Ausflug und hoffte, Rhinos Bike werde den Geist aufgeben.
„Wir hocken hier jetzt schon sechs Stunden“, lallte ich mit schlaftrunkener Stimme um zwei Uhr morgens. Ein leichter Nieselregen traf auf die Windschutzscheibe. Terrible saß aufgedreht auf dem Beifahrersitz. Die aufgerissenen Augen sahen glasig aus. Ich wusste, dass er nichts sah, wie durch dickes Eis starrte. Wenn noch ein Funken Mitgefühl und Leben in ihnen steckte, war das hinter einer kalten, gefrorenen Schale versteckt.
Wir fuhren nasse Straßen entlang, eine Szenerie so unwirklich wie ein verkratzter Film. Ich parkte, würgte den Motor ab und wartete, während sich Terrible in dreckigen Hauseingängen verkroch, in Seitenstraßen oder auf dem Gehweg, um sich weitere Drogen einzufahren. Früher führte ich auch so ein Leben. Mal abgesehen von der Langeweile und der Müdigkeit stellte das den schlimmsten Teil meiner Mission dar – meine Vergangenheit in seiner Gegenwart zu erkennen. Er hatte seine Menschlichkeit verloren, seine Würde. Terrible stürzte in ein dunkles Loch und vegetierte nun in einem düsteren Schlauch voll von schwarzem Dreck – ein