Fantasy. Martin Hein
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In der siebten Klasse fing ich dann richtig zu rebellieren an. Ich war schon immer auf liebenswürdige Weise frech gewesen und versuchte nie, meine Lehrerin zu beleidigen, alles sollte Spaß bleiben und Spaß machen. Doch nun fing ich plötzlich an, ein Störenfried zu werden. Ich wollte cool sein, denn ich war in der siebten Klasse schon wieder sitzengeblieben (meine zweite Ehrenrunde) und musste nun also in einer neuen Klasse das Schuljahr wiederholen.
Eine meiner neuen Klassenkameradinnen hieß Nicole, eine andere Simone. Die Mädels waren extrem gut drauf und unglaublich lustig. Sie haben immer Unsinn gemacht. Immer. Und sie haben auch schon geraucht und heimlich Alkohol getrunken. Durch Simone und Nicole fing ich an, in der Pause auch mal eine zu rauchen, weil ich dachte, mit der Kippe im Mund würde ich erwachsen und cool wirken. War ich aber nicht. Auf jeden Fall haben die beiden immer Mist gemacht, und sie haben mich irgendwie damit angesteckt.
Simone, die später an Krebs erkrankte und leider nicht mehr lebt, hat im Englischunterricht gern unseren Lehrer verarscht. Das war so lustig. Wenn sie aufgerufen wurde, hat sie mit einem ganz schlimmen Akzent gesagt: „I don’t understand sis länkwitsch …“ Die ganze Klasse lag natürlich vor Lachen auf dem Boden. Das imponierte mir. Ich wollte ebenso lustig sein und erreichen, dass auch wegen mir alle lachen mussten. Also fing ich an, auf lustig zu machen, und spielte fortan den Pausenclown. Das ist mir auch immer ganz gut gelungen. Meistens habe ich es geschafft, dass die Lehrer dermaßen von mir genervt waren, dass ich nach 20 Minuten aus dem Unterricht geworfen wurde und bis zur Pause auf dem Flur draußen warten musste.
Beispielsweise habe ich einmal meine Englischlehrerin ausgelacht, weil sie wirklich ein fürchterliches Englisch redete. Im Englischunterricht hieß ich „Henry“. Wir durften uns alle englische Namen aussuchen. Bei ihr hieß es dann: „Henry, pliiies go to se boart and rite a word.“ Sie hatte einen ganz grässlichen Akzent. Ich saß vor ihr und hatte meiner Meinung nach eine gute englische Aussprache, alleine schon deshalb, weil ich immer englische Lieder nachgesungen habe. Ich wusste auf jeden Fall, dass das total falsch war, was sie da sagte, vor allem auch, wie es klang. Ich stand also auf und sagte zu ihr: „Ich will Ihnen mal was sagen. Ich möchte Ihr Englisch gar nicht lernen. Ich verstehe nicht, wie Sie Englischlehrerin werden konnten, wo Sie doch ein so grässliches Englisch sprechen. Wenn ich hier Englisch lernen müsste, würde ich mich im wahren Leben niemals trauen, auch nur ein Wort zu sprechen.“
Die Klasse hielt geschlossen die Luft an. Raten Sie mal, wie es weiterging. Richtig. Ich konnte den Englischunterricht verlassen – und zwar für immer. Die Lehrerin hatte sich beim Direktor über mich beschwert. Was nun? Englisch machte mir keinen Spaß, Kunst auch nicht. Sogar der Musikunterricht langweilte mich.
Wir hatten eine Musiklehrerin, die ganz schlimm war. Wenn einer von uns ihren Unterricht störte, hat sie jedes Mal mit ihrem Fuß auf den Boden gestampft und geschrien: „Ruhe jetzt!“ Die ganze Klasse hat gelacht, weil wir das so lustig fanden. Eigentlich haben wir in jeder Musikstunde nur darauf gewartet, bis sie das machte. Alle lagen dann vor Lachen auf dem Boden. Sie besaß überhaupt keinen Geschmack und ließ uns lauter grässliche Lieder singen. „Die Forelle“ von Franz Schubert, 1816 komponiert und somit völlig am Musikgeschmack junger Leuten vorbei. Oder „Ännchen von Tharau“, auch so ein alter Schinken aus dem 17. Jahrhundert. Als die gute Dame zufällig mitbekam, dass ich sang, meinte sie, ich solle mal eine Kassette von mir in den Musikunterricht mitbringen.
Ich hatte tatsächlich schon ein Demo von mir aufgenommen: „Schachmatt“ von Roland Kaiser. Zu Beginn der nächsten Stunde habe ich ihr dann meine Kassette in die Hand gedrückt. Sie grinste mich fies an und sagte: „Dann wollen wir uns dieses Werk doch gleich mal gemeinsam anhören.“ Ich wusste ja, dass sie mich nicht leiden konnte, und rechnete damit, dass sie mich total zerpflücken würde. Ich wusste aber gleichzeitig auch, dass ich das Lied richtig gut gesungen hatte.
Es kam, wie es kommen musste. Die frustrierte Frau hat mich vor der kompletten Klasse lächerlich gemacht und als Idioten hingestellt: „Weißt du denn überhaupt, was der Text bedeutet, ‚schachmatt‘, und worum es da überhaupt geht? Oder singst du da nur irgendwas? Das ist ja ein Schlager. Das ist ja auch kein tolles Lied. Warum hast du dir denn kein klassisches Stück ausgesucht?“
Ich war kurz davor zu platzen und zeigte ihr das auch mit meiner deutlichen Antwort: „Also, erstens weiß ich, was der Text bedeutet. Sonst würde ich dieses Lied ja nicht singen. Ich bin der deutschen Sprache durchaus mächtig. Und zweitens sind Sie es, die keine Ahnung von Musik hat. Wenn Sie gern Klassik hören, dann ist das für Ihre Generation. Ich bin jung und höre wahnsinnig gern Schlager und Popmusik – wie wohl jeder in meinem Alter.“ Und da ich von vornherein darauf vorbereitet war, dass sie mich niedermachen würde, habe ich mich nicht beirren lassen in meiner Meinung. Ab diesem Tag war auch der Musikunterricht für mich gestorben. Ich würde eh keine gute Note bekommen, egal, wie gut ich wäre. Die Lehrerin verabscheute mich, genau wie meine Englischlehrerin und überhaupt fast jeder meiner Lehrer. Ich hatte fast nur schlechte Noten im Zeugnis stehen.
Ich musste die siebte Klasse dann noch ein zweites Mal wiederholen; insgesamt war ich also bereits zum dritten Mal sitzengeblieben. Wahrlich nichts, auf das ich stolz wäre. Damals redete ich mir ein, dass meine schlechten Noten lediglich der Tatsache geschuldet seien, dass mich keiner der Lehrer mochte, weil ich zu lustig war. Zumindest aber ist es mir gelungen, die Klasse ein wenig aufzulockern. Kein Wunder also, dass ich noch mal sitzengeblieben war …
Ich bin ja der Meinung, kein dummer Mensch zu sein, weder damals noch heute. Ich kann mich korrekt artikulieren, gut unterhalten und habe ein recht großes Allgemeinwissen. Irgendwann würde ich beispielsweise gern mal in der RTL-Show Wer wird Millionär von Günther Jauch mitmachen. Diese Sendung liebe ich; ich kann auch die meisten Fragen spontan richtig beantworten. Weshalb ich dann aber drei Mal sitzengeblieben bin? Ganz einfach: Ich war unterfordert im Unterricht. Mir war es immer total langweilig. Ich hatte immer das Gefühl, ich wisse schon alles. Okay, es gab Ausnahmen. Rechnen konnte ich nicht so gut, muss ich ehrlich sagen. Physik hat mich nicht interessiert. Geschichte hat mich als Fach auch nicht so sehr gefesselt. Und Erdkunde schon mal gar nicht. Ich dachte mir: „Fredi, das, was du brauchst, kannst du schon: Du kannst gut auf Deutsch schreiben, du kannst gut auf Deutsch lesen, du kannst sehr gut Englisch, und du kannst Kroatisch – und du kannst Musik machen und bist eigentlich kein Dummer. Was willst du dann noch in der Schule?“
Möglicherweise hätte ich auf die Realschule gehört. Ich besaß aber nicht die Eltern, die dahinterstanden und mich gefördert hätten. Mein Vater war tot. Meine Mutter hatte viel zu tun. Ich hatte eigentlich keinen, der sich um mich kümmerte, mit Ausnahme meiner Cousine und meines Cousins: Ivanka und Walter. Sie waren die Kinder meiner Tante Anica und meines Onkels Johann; er war der zweite Bruder meines Vaters. Ich mochte sie und war als Kind oft bei ihnen zu Besuch. Meistens sonntags. Sie hatten nämlich so ein tolles Familienleben. Jeden Sonntag pünktlich um 12 Uhr gab es Mittagessen, und ich liebte diese festen Rituale, die ich von zu Hause nicht gewohnt war. Ich durfte mitessen und fühlte mich aufgenommen, und um 3 Uhr ging’s dann zur kroatischen Messe in die Kirche. Der Sonntag bei Onkel Johann und Tante Anica war für mich immer ein geregelter Tag, und ich freute mich schon während der ganzen Woche darauf, weil sie sich um mich sorgten, Fragen stellten und mir das Gefühl gaben, ernstgenommen zu werden.
Mein Cousin Walter und meine Cousine Ivanka haben mir viel beigebracht. Die waren so ganz anders als mein Bruder und ich. Sie waren schon viel reifer. Gut, sie waren bereits ein paar Jahre älter und hatten es in ihren Berufen schon zu etwas gebracht. In dieser Familie lernte ich beispielsweise, vernünftig mit Messer und Gabel zu essen, dass man sich sonntags zusammen hinsetzt und zu Mittag isst, dass eine Familie auch mal gemeinsam etwas bespricht und bequatscht. Sie haben sich auch oft nach der Schule mit mir hingesetzt und Hausaufgaben gemacht oder für die nächste Klassenarbeit gelernt. Sie haben mir beigebracht, zwischendurch mal ein