Fantasy. Martin Hein

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Fantasy - Martin Hein страница 12

Fantasy - Martin Hein Musiker-Biografie

Скачать книгу

gefunden, wo wir uns von Anfang willkommen und aufgehoben fühlten. Friedrichsfeld ist ein Stadtteil von Voerde am Niederrhein mit rund 11.400 Einwohnern. Ich war zwölf, mein Bruder sieben, unsere Mutter 29, als wir in unsere neue Heimat zogen und dort strandeten.

      Mein Vater hatte keine Ahnung von den Plänen meiner Mutter. Als er uns das nächste Mal im Lager in Unna besuchte, sagte ihm meine Mutter kein Wort davon. Sie sind spazieren gegangen, dann fuhr er wieder nach Hause. Keine fünf Minuten später rief meine Mutter ihre Freundin Anna an und bat, sie möge uns im Heim abholen. Sie wolle dort keinen Tag länger mit uns Kindern bleiben. Am Abend kamen Anna und Thomas mit dem Auto. Sie packten unser Hab und Gut in den Kofferraum, und wir fuhren nach Voerde und wohnten ab sofort mit in deren kleiner Wohnung.

      Als mein Vater drei Tage später ins Lager kam, fand er uns nicht vor. Einer der Angestellten sagte ihm, dass seine Frau mit den Kindern abgereist sei. Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wo wir waren. Er muss fast durchgedreht sein. Vielleicht ahnte er auch, dass es sich um den Anfang vom Ende seiner Ehe handelte, auch wenn er das nicht wahrhaben wollte.

      Meine Mutter rief ihn dann aus Annas Wohnung an. Sie teilte ihm ihren Entschluss mit, dass sie unter diesen Umständen mit unserer Großmutter und angesichts der beengten Wohnung auf keinen Fall bei ihm einziehen werde. Überhaupt habe sie sich das alles ganz anders vorgestellt, wenn man sich nach so langer Zeit der Entbehrung endlich wiedersehen würde. Aber die Liebe sei in diesen fünf Jahren wohl auf der Strecke geblieben, ließ sie ihn wissen. Mein Bruder und ich saßen zu ihren Füßen und sagten kein Wort. Anschließend begann der große Scheidungskrieg zwischen meinen Eltern. Er sollte sechs Jahre dauern und auch uns Kindern endgültig den Vater nehmen.

      In Voerde wurden zu dieser Zeit gerade neue Wohnungen gebaut. Nach gut drei Wochen schon bekamen wir eine Zusage vom Bürgermeister für zwei Zimmer, Küche, Bad. Wir freuten uns riesig auf unser eigenes kleines Reich. Doch mit dem Einzug fingen die Probleme erst richtig an. Wir hatten zwar Besteck und Bettwäsche mitgebracht aus Polen, aber wir besaßen keine Möbel. Ein Bekannter schenkte uns eine alte Matratze aus dem Ehebett seiner verstorbenen Eltern. Wir legten sie auf den Boden vor die eine Heizung, die in Betrieb war. Mehr konnten wir uns nicht leisten. Tagsüber nutzen wir sie als Sofa, nachts schliefen wir zu dritt darauf. Eng aneinandergekuschelt.

      Gegen den Hunger kochte meine Mutter Hühnersuppe, von der wir tagelang essen konnten. Sie schnitt das Huhn in der Mitte durch, am nächsten Tag gab es dazu Kartoffeln. Eine Episode hat sich in meinem Gedächtnis eingebrannt: Nach dem Essen sagte Mutter zu uns: „Kinder, heute habe ich eine riesengroße Überraschung für euch.“ Damian und ich saßen starr vor Anspannung vor ihr und warteten auf unser Geschenk. Mutter holte eine Banane aus ihrer Tasche, die sie von der Arbeit in der Raststätte, wo sie einen Job gefunden hatte, mit nach Hause gebracht hatte. „Ich habe euch Nachtisch mitgebracht.“ Wir strahlten. Die Banane wurde in zwei Hälften geschnitten, und wir aßen sie ganz langsam, damit wir länger etwas davon hatten.

      Wenn ich mir überlege, wie mein Sohn heute aufwächst, in welchem Luxus er lebt, ohne sich dessen bewusst zu sein! Es ist für die Kinder heutzutage doch völlig normal, ein iPhone, zehn Paar Sneakers und Süßigkeiten en Masse zu haben. Bei uns war das ganz anders!

      Zum Glück fand ich in meiner Schulklasse in der Hauptschule in Friedrichsfeld schnell neue Freunde. Ich kam, wie zuvor in Polen, in die fünfte Klasse. Nur die ersten Minuten vor den neuen Mitschülern waren komisch. Alle starrten mich an, ich brachte nur „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ hervor. Als es zur Pause klingelte, fürchtete ich zunächst, dass ich alleine in einer Ecke auf dem Schulhof herumstehen müsste. Doch Frank und Stefan sagten ohne zu zögern: „Martin, komm, wir spielen Fußball.“ Diese Worte verstand ich. Schließlich hatte ich ja auch zu Hause in Polen rund um die Uhr mit meinen Freunden Fußball gespielt. Ich strahlte sie an, und ab diesem Moment waren wir unzertrennlich.

      Sie nahmen mich überallhin mit. Ich hielt mich die meiste Zeit an Frank. Wir wurden zu einem unzertrennlichen Paar. Anfang der 80er Jahre war es groß in Mode, dass man als Junge die Haare an den Seiten kurz rasiert und oben wie ein Igel frisiert trug. Frank hatte diesen Haarschnitt, und ich wollte ihn auch haben. Aber er kostete beim Frisör fünf Mark, und meine Mutter hatte das Geld nicht. Sie arbeitete zwar viel in der Autobahnraststätte, aber sie musste die Miete zahlen und uns Kinder allein durchbringen. Wie kam ich also zu meinem Wunsch-Haarschnitt? Frank und ich lachen heute noch, wenn wir darüber reden. Frank sagte: „Ich leihe dir die fünf Mark, und du bezahlst sie mir irgendwann zurück.“ Ich stöhnte: „Frank, ich bekomme 50 Pfennig Taschengeld. Das dauert ein Jahr, bis ich dir dein Geld zurückgeben kann.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ist doch egal, dann dauert es eben ein Jahr.“

      Das werde ich ihm niemals vergessen. Wir gingen also gemeinsam zum Frisör. Ich bekam die coole Frisur, er hat bezahlt. Ich glaube, es hat sieben Monate gedauert, bis ich schuldenfrei war.

      Ich besaß immer viele Freunde, war jedoch nicht unbedingt der allerbeste Schüler. Besserer Durchschnitt, würde ich sagen. Ich war nie ein Einser- oder Zweier-Kandidat, aber meine Drei in allen Fächern hatte ich sicher. Sport war mein Lieblingsfach, vor allem Fußball. Davon konnte ich nie genug bekommen, an den Wochenenden war ich teilweise von morgens 10 bis abends um 20 Uhr auf der Straße, mit einer kleinen Mittagspause. Ich war natürlich auch im Fußballverein, machte Karate und spielte viele Jahre Tischtennis. Bis dann irgendwann die Mädels interessant(er) wurden.

      Mit meinem Bruder hatte ich, zumindest bis ich 13, 14 wurde, ein ziemlich inniges Verhältnis. Ich übernahm für ihn die Beschützer-Rolle, da ich schließlich der Ältere war. Letztendlich war es schließlich dann sogar die Musik, die uns ein wenig entzweite. Mein Bruder liebte Depeche Mode und spielte später in einer Death-Metal-Band Gitarre, ich wiederum liebte und sang Schlager, und da ist dann jeder seines Weges gegangen. Wir haben aber nie den Kontakt zueinander verloren und sind als Brüder bis heute eng verbunden. Wir telefonieren auch regelmäßig und versuchen, uns alle paar Wochen zu treffen.

      Meine Jungs aus Voerde und ich haben bis heute engen Kontakt. Wir treffen uns, so oft es geht. Ein Ritual besteht seit unserer Jugend: Wir fahren einmal im Jahr für vier Tage in den Urlaub. Nur wir vier Männer, ohne Frauen. Für diese besondere Freundschaft bin ich unendlich dankbar. Durch Frank, Stefan und Oliver habe ich erst so richtig Deutsch gelernt. In Polen redete ich zwar mit meinen Großeltern ein bisschen. Aber erst in Voerde, zusammen mit den Jungs, wurde es zu meiner Muttersprache.

      Eines Tages sagte meine Mutter dann: „Kinder, morgen gibt es neue Sachen zum Anziehen.“ Da haben wir uns sehr gefreut. Allerdings sind wir nicht zu Kaufhof oder C&A gegangen, um eine neue Jeans zu kaufen. Sondern es ging zur Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes. Wir stellten uns in eine Schlange mit etwa 20 Mitwartenden, und nach gut einer Stunde kamen wir endlich dran. Wir durften uns zwei Pullover, eine Hose, Strümpfe, eine Jacke und ein Paar Schuhe aussuchen und kamen uns vor wie unterm Weihnachtsbaum. Die Sachen gefielen mir. Erst auf dem Heimweg schoss mir ein fürchterlicher Gedanke durch den Kopf: „Was passiert, wenn einer meiner Klassenkameraden seinen alten, ausrangierten Pullover weggeworfen hat und ihn nun an mir wiedererkennt?“ Ich malte mir aus, wie ich ausgelacht werden würde, weil einer der Jungen rief: „Hey, Martin. Den Pulli hast du wohl aus dem Altkleidersack gestohlen, oder!?“

      Ich schämte mich. Die neuen-alten Sachen trug ich wochenlang erst mal nur zu Hause. Irgendwann ging ich damit dann aber auch zur Schule. Und: Es ist gutgegangen. Selbst wenn einer wusste, woher ich meine Kleider hatte, so war er doch so anständig und hat den Mund gehalten.

      Die ersten Wochen in Deutschland lebten wir von Sozialhilfe. Erst später fand meine Mutter den Job in der Raststätte. Nebenbei besuchte sie einen Sprachkurs, um Deutsch zu lernen. Dort hat sie auch meinen Stiefvater kennengelernt: Franz. Wir mochten ihn auf Anhieb. Er besaß einen Videorecorder und einen Golf und war fast wie ein Kumpel zu Damian und mir. Wir durften ihn gleich duzen. In Polen ist das Kindern bei Erwachsenen nicht erlaubt, außer bei den Eltern und den Großeltern. Zu allen anderen musste man extrem

Скачать книгу