Fantasy. Martin Hein

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Fantasy - Martin Hein Musiker-Biografie

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die er meiner Mutter mitgab. Nach fast sechs Jahren Kampf wurden sie dann wenig später endlich offiziell geschieden.

      In dieser heißen Phase der familiären Auseinandersetzung war ich natürlich wahnsinnig traurig über sein Verhalten. Erst viel später lernte ich auch ein wenig darüber zu schmunzeln. Die drei Akkorde, die mir mein Vater in seinem Wohnzimmer auf der Gitarre beigebracht hatte, waren nicht etwa C, F und G. Sondern A, D und E. Schreibt man sie ohne Komma nebeneinander, ergibt das: Ade.

      Franz hat mich aufgefangen. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich meinen leiblichen Vater gar nicht so extrem vermisst habe. Das waren höchstens Momente, in denen ich unter seiner Abwesenheit litt. Heute weiß ich, dass ich ihn einfach aus meinem Herzen und meinen Gedanken verdrängt habe. Aus Selbstschutz. Sonst wäre ich wahrscheinlich in irgendeiner Psychotherapie gelandet. Wer weiß, was dann aus mir geworden wäre.

      So kalt es vielleicht klingen mag, es fehlte mir an nichts. Im Gegenteil. Dank der beiden Gehälter von Franz und meiner Mutter konnten wir uns Schritt für Schritt ein besseres, angenehmeres Leben leisten. Franz hat als Bergmann gutes Geld verdient, und wir konnten schließlich in eine größere Wohnung mit drei Zimmern umziehen. Trotzdem musste ich mir mit meinem Bruder das Kinderzimmer teilen. Mit 14, 15, als dann die Kumpels öfter zu Besuch kamen oder auch die ersten Mädchen, hat er mich natürlich oft gestört. Aber alles in allem haben wir uns gut verstanden. Und nach einer klaren Ansage von mir verstand Damian schließlich auch, dass er nicht mal im Traum daran denken solle, mich und meine Kumpels abends begleiten zu wollen …

      Kapitel 9:

      Die Schule ist für Fredi ein notwendiges Übel

      Meine Schulzeit könnte man in einem Satz zusammenfassen: Sie war bescheiden. Und ich habe letztlich auch nur so lange durchgehalten (und die Hauptschule nach der siebten Klasse dann doch ohne Abschluss verlassen), weil ich meine Mama sonst wahrscheinlich endgültig in den Wahnsinn getrieben hätte. Unser Verhältnis war wegen meiner Gesangsleidenschaft eh schon angespannt genug. Und ich wollte es nicht auf die Spitze treiben. Als ich eingeschult wurde, hatte ich zuerst richtig Lust darauf, Neues zu lernen. Doch als ich dann in der zweiten Klasse war, ist mein Vater gestorben. Als Siebenjähriger kann man damit sowieso nur ganz schwer umgehen, und durch den Schock über den plötzlichen Verlust hatte ich auf einmal die Lust an der Schule verloren. Und zwar komplett. Ich hatte Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Ich litt unter einem regelrechten Trauma. Ich glaube sogar, das ist auch heute noch teilweise da. Jedes Mal, wenn ich über meinen Vater rede, bin ich nach wie vor total erschüttert und fange an zu weinen. Als Kind oder als Teenager hatte ich niemals Gelegenheit, meine Trauer in Worte zu fassen. Meine Mutter, meine Onkel und Tanten redeten so gut wie nie vor uns Kindern über meinen Vater. Geschweige denn fragte mal einer, wie es mir denn gehe oder ob ich Hilfe bräuchte.

      Dies hatte zur Folge, dass ich in der Schule plötzlich komplett versagte und eine ganz große Lernschwäche bekam. Meine Lehrerin fand ich von Anfang an doof. Ich erinnere mich, dass sie meine Mutter oft in die Schule bat, um sich dann über mich zu beschweren. Ich war sehr traurig, dass meine Mama nicht in der Lage war, dieser Frau vernünftig zu erklären, wo mein Verhalten herrührte, nämlich vom frühen Tod meines Vaters, und dass ich eine schwere Zeit durchmachte. Meine Lehrerin hat sich aber auch nicht darum bemüht, mögliche Gründe zu finden. Sie hatte überhaupt kein Interesse an mir, auch nicht an meinen Mitschülern. Sie spulte ihren Unterrichtsstoff ab, alles streng nach Lehrplan. Für zwischenmenschliche Töne fehlten ihr schier jegliche Emotionen. Dabei war sie noch gar nicht so alt, höchstens Anfang 40.

      In der dritten Klasse ging es dann wieder ein bisschen aufwärts mit mir. Allerdings war ich in der zweiten Klasse sitzengeblieben und musste eine Ehrenrunde drehen, wie es so schön heißt. In der dritten (meine Kumpels waren ja bereits in der vierten) konnte ich dann auch plötzlich lesen, was mir vorher nie gelingen wollte. Eines Morgens saß ich im Deutschunterricht, blickte vor zur Tafel und sagte mir: „Mensch, Fredi, es kann doch nicht sein, dass du nicht lesen kannst.“ Und irgendwann in dieser Stunde habe ich mich dann so konzentriert auf jedes einzelne Wort und habe mir die Buchstaben so zusammensortiert, dass ich ganz sicher war zu wissen, was dort an der Tafel stand.

      Ich streckte den Arm in die Höhe. Als ich aufgerufen wurde, las ich den Satz vor. Meine Lehrerin war völlig überrascht, dass ich mich freiwillig zum Vorlesen gemeldet hatte. Und ich war natürlich auch erschrocken über mich selbst, dass es geklappt hatte. An jenem Tag fing ich an zu lesen. Heute lese ich sehr, sehr gut. Erstaunlicherweise. Ich glaube, besser als mancher andere. Wenn wir Radio-Interviews geben und ich im Studio bin, frage ich die Redakteure oft, ob ich im Studio die Stau-Nachrichten oder anderes vorlesen dürfe. Ich habe da richtig Spaß dran. Zu Beginn bemerke ich jedes Mal eine Blockade, aber mit jedem Wort werde ich freier und mutiger. Mir wurde übrigens schon oft gesagt, dass ich die perfekte Radiostimme hätte und dass ich auch gut als Radiosprecher oder Moderator arbeiten könne.

      Nach der Grundschule folgte die Hauptschule. An meinem ersten Tag in der fünften Klasse fühlte ich mich gut. In der Pause gingen alle Kinder raus in den Hof. Ich war schon immer ein bisschen anders als andere Jungs in meinem Alter, sehr feminin und sensibel. Ich weiß nicht, woran das gelegen hat. Ich war auch sehr zierlich, dünn und blass. Sodass die anderen Jungen mich gar nicht wahrgenommen haben. Dafür hatte ich einen Schlag bei den Mädchen in meiner Klasse. Sie mochten mich. Als irgendwann durchsickerte, dass ich Sänger werden wolle, war ich für die Jungs natürlich ein gefundenes Fressen: „Na, Fredi. Du willst also Sänger werden? Hahaha … du kleiner Spinner.“

      Ich war entsetzt über diese Gemeinheiten. Das ging lange so. Viele Jahre lang wurde ich in der Schule belächelt und ausgelacht. Das hat mich aber eigentlich immer bestärkt. Ich dachte mir: Lacht ihr ruhig. Irgendwann werdet ihr schon sehen, dass ich ein erfolgreicher Sänger geworden bin. Es ist wirklich wahr, mich haben die Hänseleien meiner Klassenkameraden total stark gemacht beim Verfolgen meines Plans: Ich wollte Sänger werden, und ich war mir ganz sicher, dass sich dieser Riesentraum eines Tages für mich erfüllen würde.

      Ich tat deshalb fast nichts anderes mehr, widmete mich der Musik und traf mich kaum noch draußen mit Gleichaltrigen. Ich war so gut wie immer zu Hause, hörte Platten, sang und übte Texte ein. Ich wusste, ich würde es schaffen. Dass ich allerdings einmal so berühmt und erfolgreich werden würde, wie es heute der Fall ist, hätte ich natürlich nicht gedacht.

      Jede Mark meines Taschengeldes investierte ich in neue Schallplatten. Manchmal bekam ich auch von meiner Tante Eva ein bisschen Geld zugesteckt oder von Ivan, dem damaligen Freund meiner Mutter. Er wusste, sobald ich drei Mark zusammengespart hatte (so viel kostete damals eine Single), würde ich in den nächsten Musikladen gehen und mich dort stundenlang herumtreiben auf der Suche nach einem neuen Fund. Somit war garantiert, dass er und meine Mutter zu Hause sturmfreie Bude hatten und ich ihnen nicht auf die Nerven fallen würde. Wir hatten also beide etwas von Ivans vermeintlicher Großzügigkeit. Mir sollte es recht sein. An besonders spendablen Tagen gab er mir sogar zehn Mark. Davon konnte ich mir drei Singles oder eine Platte kaufen. Yeah!

      Die Lästereien in der Schule hörten erst auf, als mich meine Klassenkameraden singen hörten. Es war im Rahmen eines Schulfestes, und ich wurde von meinem Musiklehrer gebeten, in der Aula aufzutreten. Er fand es toll, dass ich sang, und versuchte mich, so gut es ging, zu unterstützen. Ich willigte ein, aber unter der Bedingung, dass ich nicht mit meiner eigenen Stimme singen müsste, sondern nur quasi Playback den Song imitieren würde. Ich wählte dazu „Only For Love“ vom britischen Sänger Limahl aus; er hatte seinen Durchbruch 1983 als Sänger der Band Kajagoogoo geschafft und startete kurz darauf seine Solo-Karriere. „Only for you“ wurde zum Hit, und weltweit bekannt wurde er dann 1984 mit dem Song „The Never Ending Story“, den er gemeinsam mit Giorgio Moroder für den Kinofilm Die unendliche Geschichte geschrieben hatte. Ich fand Limahls blondierte Vokuhila-Igelfrisur genial und wählte bewusst eines seiner Lieder für die Premiere in meiner Schule.

      Diesen

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