Gonzo. Matthias Röhr
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Doch nicht nur die Spaßbremsen der elitären, beamtenmentalitätsvertretenden Langweiler hatten ein großes Problem mit der Subkultur. Auch gleichaltrige Besserwisser aus gutem Hause, von denen man einige später den „Poppern“ zuordnen konnte, Musikerkollegen aus anderen Bands und Schulkameraden rümpften über diesen primitiven Krach die Nase.
Witzigerweise wurde selbst AC/DCs legendäres erstes Album, High Voltage, von diesen Typen abgelehnt und weggelächelt. Die Platte gab es seinerzeit nur in Europa und war eine Zusammenstellung der ersten beiden Longplayer der Australier.
Auch deren Nachfolger erging es nicht besser. T.N.T., Dirty Deeds Done Dirt Cheap und Let There Be Rock waren für die Nullpeiler nicht viel mehr als Lärm mit sinnfreier Lyrik. Die Band aus Down Under kratzte das allerdings überhaupt nicht. Im Gegenteil. Das war mehr Segen als Fluch. Als die Punk-Welle, in England startend, ihren Siegeszug quer durch Europa hinlegte, kamen AC/DC glimpflich davon. Deren Musik war weder zahn- noch eierlos, sondern wütend, aggressiv und obrigkeitsverneinend. Eigentlich so, wie die der Punk-Rock-Bands, nur mit deutlich höherer Qualität in den Produktionen und mit viel mehr Skill an den Instrumenten.
„Auf der ersten AC/DC-Single, die ich mir damals gekauft habe und an deren Namen ich mich heute leider nicht mehr erinnern kann, war so ein kleines, aber gut lesbares Banner draufgedruckt“, erzählt Matthias. „100 Prozent Punk-Rock stand da drauf.“
Ein Kulturschock für all die Vollblutmusiker, die sich zeitlebens mit der Perfektion ihrer Kunst auseinandergesetzt hatten.
Das soll Musik sein? Alter, mach dich nicht lächerlich! Nach dem Mist kräht in einem Jahr kein Hahn mehr.
Oder: Junge, ich hatte dich bislang echt respektiert und für jemanden gehalten, der Ahnung von dem hat, was er sagt. Aber du willst mir doch jetzt nicht ernsthaft erzählen, diese Scheiße wäre gut?
Es wurde geschimpft, gemosert, geklagt. Von oben nach unten, links nach rechts, doch die Welle war störrisch, schlicht nicht interessiert daran, was man über sie zu klagen hatte, und bewegte sich mit großem Tempo immer weiter vorwärts. Sie war nicht mehr aufzuhalten.
Die elitären Musikerkreise, die sich für die Krone der Schöpfung hielten, mussten fortan auf Partys miterleben, wie das Virus des Punk immer weiter um sich griff, die Inkubationszeit immer kürzer wurde und ein bundesweiter Ausbruch der „Seuche“ bereits im vollen Gange war. Die DJs änderten ihre Musik in den Clubs, die Gastgeber die Musik auf ihren Privatpartys und die Punks ihre Musik auf den heimischen Schallplattenspielern.
Einzig die deutschen Radiostationen wollten nicht mitmachen. Das war ihnen nichts. Zu heiß, zu schmutzig, ordinär und nicht zu ertragen. Doch statt das Phänomen damit zu bekämpfen, sorgten sie dafür, dass es immer größer wurde.
Der unausgesprochene Boykott hatte genau die gegenteilige Wirkung. Ein ähnliches Paradoxon, das bei genauerer Betrachtung nur logisch war, konnte man dreizehn Jahre später bei den Böhsen Onkelz feststellen, die dann mit Heilige Lieder ein ihrerseits ganz neues Virus verbreiten sollten.
„Und so sind wir zu Punks geworden“, sagt Gonzo.
„Das ganze Ding zog immer größere Kreise. Es entstanden wirklich innerhalb kurzer Zeit, vielleicht nur binnen eines Sommers, richtige Netzwerke in Frankfurt und den Orten ringsum. Man traf sich dann plötzlich auch mit neuen Leuten, mit Gleichgesinnten, die man vorher noch gar nicht so richtig auf dem Schirm hatte, weil die sich natürlich dann auch zu erkennen gaben und der Szene zugehörten. So bildeten sich neue Cliquen. Ich hatte viele Freunde, die in der Umgebung wohnten, mit denen ich eine verdammt gute Zeit verbracht habe. Heiko, Frankie Frosch und wie sie alle hießen. Die kamen teilweise aus dem gesamten Taunus-Umland und haben meine ‚Szene‘ gebildet. Einige kamen auch aus Orten, in denen Menschen gewohnt haben, die alles waren – aber ganz sicher nicht arm. Aus Königstein, Neuenhain, stellenweise aus Kelkheim-Hornau. Millionäre, die in ihren großen Villen oder in Bungalows lebten. Grundstücke so riesig, dass ich damals dachte, in einer Siebzigerjahre-Tatort-Kulisse zu stehen, wenn man da drin war. Und die Töchter und Söhne dieser Millionäre sind dann auch auf einmal Punks geworden. Das waren bislang ‚nur‘ Schulkameraden von uns, vielleicht – im besten Fall – entfernte Bekannte. Aber auf keinen Fall Freunde, die man oft sah.“
Das änderte sich ebenfalls mit dem Eintreffen der Punk-Welle auf dem deutschen Festland. Plötzlich spielte der soziale Status des Einzelnen keine Rolle mehr. Es war völlig einerlei, ob der kleine Punk aus gutem Hause oder aus einer völlig verwahrlosten Wohnsituation im Jugendheim kam. Die Bewegung und die Musik vereinten die Kids.
Dass diese kurzen Momente des großen Zusammengehörigkeitsgefühls nicht von Dauer sein sollten, war schon damals abzusehen. Dennoch, so erinnert sich Matthias, als die „Arbeiterpunks“ plötzlich auf die „angepunkten“ bessergestellten Jugendlichen trafen, und man zusammen feierte, dass sich die Balken bogen, seien das tolle Momente gewesen: „Und plötzlich betrat man also diese fetten Häuser und Bungalows, die man allerhöchstens mal beim Vorbeifahren sah, und feierte dort drin krasse Partys. Das war natürlich auch nicht zu verachten.“
Man kann sich die Szenerie bildhaft vorstellen, ohne dabei gewesen zu sein: Holzgetäfelte dunkle Wohnzimmer mit schweren, teuren Eichenmöbeln. Perserteppiche, deren Besitzer schon die Krise bekamen, verschüttete man nur Leitungswasser auf dem sündhaft teuren Stoff, und Einbauküchen, deren Elektrogeräte allein schon teurer waren als die gesamte Wohnungseinrichtung der Röhrs.
Und die Hausherren standen auch oft gefährlich nahe am Rande des plötzlichen Herztodes, als sie – sonnengebräunt und erholt aus dem Urlaub kommend – die Ergebnisse und Hinterlassenschaften der ungebetenen Partybesucher begutachten und aufräumen mussten.
„In diesem Umfeld haben sich Heiko und ich immer wieder aufgehalten, bis es uns irgendwann langweilig wurde. Die Waldrandgebiete im Taunus waren toll, die Feten in den großen Villen ebenso, aber wir hatten irgendwann das Gefühl, dass wir raus in die Großstadt mussten. Nach Frankfurt. Und dort nach Sachsenhausen. Einige aus unserer Clique schlossen sich an, andere hatten überhaupt keine Lust darauf. Das hat sich dann auch schon direkt nach Abenteuer angefühlt, um ehrlich zu sein. Beim ersten Mal hatten wir noch richtiges Herzklopfen, als wir am Hauptbahnhof ankamen. Klar, man ist natürlich auch als Nicht-Frankfurter sofort aufgefallen. Die ganze Bewegung war ja gerade frisch, steckte sprichwörtlich noch in den Kinderschuhen, da hat man natürlich die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, ist ja logisch. Am Anfang dachten wir eigentlich noch, naiv wie wir waren, dass man uns vielleicht in dieser großen Stadt gar keine Beachtung schenken würde, weil es ja dort – so stellten wir uns das jedenfalls vor – wahrscheinlich an jeder Ecke einen Punk geben musste. Weit gefehlt. Schon nach unseren ersten Besuchen stellten wir ganz schnell fest, dass dem ganz und gar nicht so war. Es gab natürlich schon damals eine gewisse Anzahl an Punks, aber das waren noch so wenige, dass sie sich optisch nicht ins Gesamtbild von Frankfurt einfügen ließen, ohne dabei jemanden zu stören.
Es war inzwischen Februar 1981 geworden, und ich lebte zu der Zeit mit meiner Familie schon in Frankfurt-Bonames. Das war ein Graus. Eigentlich war ich nie zuhause. Es ging nicht, man ist dort automatisch krank geworden, zwischen diesen ganzen Hochhäusern und dem ewigen Sich-in-die-Arme-Laufen der Gangs. Eines Samstags – wir sind immer am Wochenende nach Sachsenhausen gefahren, um uns dort mit den anderen Jungs und Mädels zu treffen – ist es dann passiert.
Wir kommen am Hauptbahnhof in Frankfurt an, gehen zur Straßenbahn, um auf die andere Mainseite zu fahren, und an der gegenüberliegenden Haltestelle