Gonzo. Matthias Röhr

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Gonzo - Matthias Röhr

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war Nugent nie „stoned“. Drogen verabscheute der Detroiter Rocker schon von Beginn an. Waffen (viele, viele Waffen), die Jagd und frische Pelze hingegen, die mochte er. Dennoch war Theodore Anthony Nugent 1979 noch viele Jahre von den skandalösen und antisemitischen Aussagen entfernt, die er über zwei Dekaden später tätigen sollte.

      Der „Motor City Mad Man“ hatte zur Mitte der ausgehenden Siebzigerjahre seine Solokarriere gestartet und sich direkt mit großem Erfolg in den USA etabliert. „Stranglehold“, einer der bekanntesten Songs von Nugent, stammt gar von seinem Debütalbum. Von 1975 bis 1980 wurden insgesamt fünf Studio- und ein Live-Album veröffentlicht, von denen sich alle in den Top 30 und vier in den Top 20 der Billboard Charts einreihen konnten, ehe Nugents Solokarriere ab 1982 zu stagnieren begann.

      Double Live Gonzo! war eines dieser Alben, das Matthias faszinierte. Schnell breitete sich das Nugent-Virus in Kelkheim aus, und noch schneller wurden sich die größten Hits des Detroiters draufgeschafft.

      Und während 1978 der 1. FC Köln deutscher Meister, Argentinien Fußball-Weltmeister und der Mount Everest von Messner bezwungen wurde, mutierte Matthias Röhr langsam, aber stetig zu „Gonzo“. Auch, aber eben nicht nur, weil „The Nuge“ omnipräsent war, denn eigentlich war das nur ein Drittel der Wahrheit.

      Privatpartys waren ein essentieller Bestandteil der Jugend zur damaligen Zeit. Noch viel mehr als in den Neunzigern, und erst recht als in den Zweitausendern, wurde oft und gern dort gefeiert, wo man sich am besten auskannte: daheim.

      Zehn, maximal fünfzehn Jungs und Mädels, die man mochte und mit denen man eh schon die ganze Zeit abhing, rauchte und trank, wurden eingeladen, und die meisten brachten ihre Lieblingsplatten mit. Jedes Wochenende bei jemand anderem. Die Aussage „Bei mir ist am Freitag sturmfrei“ reichte, um die Synapsen vor lauter Vorfreude zum Durchbrennen zu bringen.

      Im Partykeller, oft (aber längst nicht immer) unter der Aufsicht einer erziehungsberechtigten Person, wenn sich das versprochene „sturmfrei“ doch als Ente entpuppt hatte, wurde dann das Teenager-Dasein in vollen Zügen genossen. Unter der wärmenden dreilampigen Lichtorgel, nach dem Genuss einiger alkoholischer Getränke oder von Cannabis, wurden die Mädels, wenn man Glück hatte, schmusig. Discofox, Nazareth („Love Hurts“), die Beatles („Hey Jude“) oder Schnulzenmusik aus Italien („Ti Amo“ von Umberto Tozzi war die musikalisch vollstreckte Kastration eines jeden jungen Mannes) wurden aufgelegt, um eng aneinandergeschmiegt miteinander zu tanzen.

      Und wenn der Pflichtteil vorbei war, die Mädchen glücklich und die Kerle genügend angeheitert waren, wurden die härteren Geschosse auf die Turntables gelegt. Dann hieß es: Kein Halten mehr bei KISS, Banging bis zur Nackenstarre bei Black Sabbath, Luftgitarre bei Deep Purple, Led Zeppelin und – natürlich – andächtige Bewunderung des Könnens von Ted Nugent. Das war das zweite Drittel.

      Auf einer dieser Partys lernte Matthias dann auch den erweiterten Freundeskreis seines damaligen Klassenkameraden und Bandkollegen Oliver kennen. Der hatte schon 1978 seinen Führerschein gemacht. Mit seinem orangefarbenen VW Käfer fuhren also er und Matthias Röhr, so oft es eben ging, von Liederbach und Kelkheim nach Hofheim am Taunus, direkt zum Proberaum ihrer Band.

      Öfter mit an Bord: Sabine, Matthiasʼ damalige Freundin, Ute, die beste Freundin von Sabine, und der weibliche Dunstkreis von Oliver, der immer aus mindestens zwei Damen bestand. Eben jene Mädels waren, das konnte man ihnen deutlich ansehen, sehr froh darüber, mit derart harten Jungs unterwegs zu sein. Und wenn dann mal, nach vielen Kippen und noch mehr Dosenbier, angefangen wurde zu proben, waren Sabine, Ute und die anderen immer am Start. Die erste Reihe, direkt vor Sinner aufgebaut.

      Eines dieser Mädchen hieß Tanja. Siebzehn Jahre. Langes blondes Haar. Vollbusig. Ultra-heiß. Enge Schlagjeans, Lederjacke, stets einen frechen Spruch auf den Lippen und immer mit dabei.

      An besagtem Abend hatte sie einen echten Geistesblitz. Einen, der so naheliegend war, dass es schon beinahe albern wirkte.

      Die Muppet Show erfreute sich 1978 nicht nur größter Beliebtheit, sondern war regelrecht der „heiße Scheiß“. Brandneu und urkomisch. Und weil es bei vielen Bands gerade trendy war, der Besatzung Spitznamen zu verpassen, zeigte Tanja mit dem Zeigefinger auf die spielenden Sinner. Zuerst auf Oliver. Natürlich. Das wird Fozzie Bär.

      Dann auf den Sänger. Der wurde zu Scooter. Der sah auch ein bisschen so aus. Wild, leicht durchgedreht. Ein zappeliger Typ.

      Matthias bekam den populärsten Namen verpasst.

      „Ok, gut. Naja, dann bin ich ab jetzt eben Gonzo“, hatte er schulterzuckend gesagt, und dabei mussten alle anfangen, lauthals zu lachen.

      Das war das letzte Drittel. Fortan gab es nur noch Matthias „Gonzo“ Röhr.

      You can’t arrest me,

       I’m a rock star

      (Sid Vicious)

      Irgendwann kam jeder Mann an den einen, entscheidenden Punkt in seinem Leben, der ihn unweigerlich dazu zwang, alles zu hinterfragen, was bislang als feststehendes Gesetz (moralischer oder ethischer Natur) in ihm schlummerte.

      Veränderungen, die ihn dazu nötigten, seine bisherige Vita komplett zu hinterfragen.

      War ich bislang wirklich frei? Mache ich mir eigentlich irgendetwas vor, indem ich mir kontinuierlich einredete, ich sei glücklich? Was wäre wohl aus mir geworden, wenn ich diese oder jene Abzweigung nicht gewählt hätte?

      Diese Fragen mochten für manche von geringerer, für andere von größerer Bedeutung sein, aber keiner konnte sich wirklich vor ihnen verstecken: Sie führten dich auf die Straße der Selbsterkenntnis, übernahmen dein Lebenssteuer, und wenn du es zuließt, brachten sie dich ein Stück näher ans Ziel. Egal, welches das auch immer war oder wo dieses auch immer liegen mochte.

      Und was ebenfalls stimmte: Die Fragen nach den essentiellen Bausteinen des eigenen Lebens tauchten bei manchen später, bei wenigen zu spät, bei anderen hingegen sehr früh auf.

      Matthias stellte sich diese Fragen schon zu einer Zeit, als Gleichaltrige noch auf der Suche nach sich selbst im Treibsand der Pubertät stecken blieben. Und er beobachtete genau, wie manche dieser Mitschüler sich erst mit ausgetreckten Armen und wild um sich schlagend aus dem Klammergriff der Schule befreien konnten. Oder aus dem Würgegriff der Eltern.

      Junge, es wird langsam sehr ernst. Du musst dringend eine Ausbildung finden. Aber wie willst du das ohne Abschluss schaffen? Meinst du, dafür haben wir dich auf die Realschule geschickt? Dass du keinen Abschluss bekommst?

      Nachdem dieser Junge in den Jahren 1976, 1977 und 1978 alles an Gitarrenmusik konsumierte, was nicht schnell genug vor ihm davonlaufen konnte, und nachdem er eifrig und mit unstillbarem Durst den Texten der großen amerikanischen Rockkünstler gelauscht hatte, verspürte er den Drang, sich weiterzuentwickeln.

      Dazu passte, dass diese Welt der Erwachsenen, die sich vor ihm auftat und in die er jetzt eigentlich hineingleiten sollte, irgendwie nach Fäulnis roch. Erst war es ein leichter, süßlicher Geruch, den man nur mit jeder Menge Konzentration wahrnehmen konnte. Doch mit der Zeit wurde er präsenter. So lange, bis sich dieser Mief nicht mehr ignorieren ließ. Kein Sagrotan konnte übersprühen, was derart stark verrottete. Ein Gestank, der von nun an immer über den Dingen hing, die ihm eine Lehr- oder anderweitige „Respektsperson“ erklären wollte.

      Waren

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