Gonzo. Matthias Röhr
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Jung, aufgeschlossen, fast einer von ihnen. Er sprach die Sprache der Schüler. Mit viel Verständnis und Geduld. Elvis Presley, die Beatles und selbst die, zur damaligen Zeit, höchst anrüchigen Rolling Stones wurden durchexerziert. Im Unterricht sezierte Ullrich alles. Die Songs, die Texte, ja selbst die Bandmitglieder.
Unter der Lupe ergab alles nur noch mehr Sinn. RockʼnʼRoll hieß ab sofort der Heilsbringer – und zu jenem, das war die nächste große Erleuchtung im Leben des noch ganz jungen Matthias Röhr aus Liederbach am Taunus, würde er sich in Windeseile hinbewegen. Und wenn das nicht passieren sollte, aus welch bescheuerten Gründen auch immer, dann hatte der RockʼnʼRoll gefälligst zu ihm zu kommen.
Amen.
Außerdem: Der gerade flügge werdende junge Matthias Röhr hörte zu jener Zeit immer öfter auch das American Forces Network (AFN). Die Amerikaner hatten den deutschen Kids ein gutes und großes Stück ihrer Kultur auch als Radiosender mitgebracht.
Die vielen in und um Frankfurt stationierten GIs mit ihren fetten Fliegerjacken, ihren Kurzhaarfrisuren, den coolen US Cars und ihrem Way of life übten eine große Faszination auf die Jugend aus. Und die Musik der „Amis“ erst recht.
„Hey Dude. Whatʼs up?“, fragten die großen, breitschultrigen Guys freundlich die Kids, sobald sie welche sahen. Und sie sprachen viel schneller, als dass man sie hätte verstehen können. Im Laufe der Jahre mischte sich zum amerikanischen Englisch noch ein weicher hessischer Akzent. Das klang nicht nur cool, das war es auch.
Hier, auf AFN, gab es neben Ted Nugent, Aerosmith und Boston alle angesagten Bands zu hören. Geile Übersee-Mucker, die damals auf dem Weg nach ganz oben waren, oder solche, die den Gipfel bereits erklommen hatten. Als Matthias checkte, dass sich das Radioprogramm von Tag zu Tag nur noch verbesserte, statt an Qualität zu verlieren, gehörte das AFN zum tagtäglichen Pflichtprogramm – oft bis spät nachts. Sogar sonntagmorgens, denn dann gab noch diese unfassbar guten Gospelgottesdienste, die live – irgendwo aus dem Delta kommend –, auf diesem feinen Sender übertragen wurden.
Hier taten sich plötzlich noch einmal ganz neue Welten auf. Es war, als putze jemand ein großes, aber sehr dreckiges Fenster. Plötzlich wurde der Blick auf immer mehr Musik in der großen weiten Welt klar. Und sie erfüllte jeden Raum, in dem sich Matthias gerade aufhielt.
Wolfman Jack war extrem beliebt. Dieser eigenartig aussehende, immer gut gelaunte Discjockey, dessen Sendungen vom American Forces Network übernommen und gesendet wurden, hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, zwischen seinen Songs Wolfsgeheul einzubauen.
Und er spielte sie. Alle. Die fetten, neuen Sounds. So andersartig, aber wunderschön. Es gab keine Genre-Grenzen. Blues, der direkt aus der berühmten Beal Streat in Memphis, Tennessee, kam und vom „King of Blues“, von B.B. King, gespielt wurde. Musik, die tief unter die Haut ging. Außerdem schürender Chicago Blues von Muddy Waters, Willie Dixon und Buddy Guy. John Lee Hooker. Auch den Blues Rock von Johnny Winter, diesem legendären Gitarristen aus Texas, der, neben dem irischen Gitarristen Rory Gallagher, noch in den wilden Siebzigern zu Matthiasʼ größtem Idol an der Gitarre avancierte. Die Musikszene der amerikanischen Südstaaten kannte er bald aus dem Effeff.
Aber ebenso die größten Hits von Neil Young, Crosby, Stills, Nash and Young, den Byrds, Jimi Hendrix und vom geilen Rockabilly der Marke Link Wray. Grandioses, süchtig machendes Zeug wurde auf diesem Radiosender gespielt. Keine deutsche Provinzscheiße. Echte Weltmusik.
Schloss man die Augen, während im Hintergrund die heisere Stimme von Johnny Cash zu hören war, konnte man sicher sein, dass es keinen besseren Ort auf der Welt gab als jenen, auf dem diese Musik produziert wurde.
Das Live-Album One More From The Road der epischen Lynyrd Skynyrd rotierte während dieser unbeschwerten Jahre Hunderte Male auf dem Plattenteller Röhrs. Viele große Interpreten lernte Matthias – ausschließlich aufgrund dieses Senders – bereits zu so früher Zeit kennen.
Sie zogen ihn in ihren Bann. Die Jeff Beck Group, Jimmie und Stevie Vaughan und – natürlich – Mister Eric Clapton, der noch heute von ihm verehrt wird. Durch seine Liebe zum Rockabilly eignete er sich schon in den ganz jungen Jahren seines Gitarrespielens Licks an, deren Grundessenz man noch viele Jahre später in einigen Onkelz-Songs („Gehasst, verdammt, vergöttert“, „Finde die Wahrheit“, „Terpentin“ und anderen) wiederentdecken konnte.
Herr Ullrich vermochte die Musikbesessenheit seines jungen Schülers förmlich in dessen Augen zu sehen. Da bemerkte er immer stärker dieses Lodern, das er selbst sehr gut kannte. Weil er es einst selbst besaß. Ein Funkeln, das nur Menschen hatten, deren wahre Bestimmung die Kunst und nichts anderes ist. Das Flackern der Entschlossenheit derjenigen, die wollten, aber noch nicht konnten, weil sie noch an der Leine der Gesellschaft hingen. Irgendwo auf offener See, während der ach so wichtigen Lebensmissionen.
Geh deinen Weg, Sohn. Pass ja gut in der Schule auf, finde eine Ausbildung, eine Arbeit, und gründe eine Familie. Baue ein Haus.
Meistens kenterte genau dort das Schiff. Orientierungslos schwammen schon damals unzählige Teens und Twens um ihr Leben, auf der Suche nach einem Strohhalm. Nach einem kleinen Funken Hoffnung.
Ullrich nutzte die Gunst der Stunde, auch weil er wusste, dass ungenutztes Talent, das zu lange brachliegt, irgendwann zu faulen beginnt, und schubste Matthias in die Schulband der Realschule Kelkheim.
Fortan wurden Mini-Konzerte in der Aula oder der Kirche gegeben. Es fanden sogar kleinere Band-Casting-Wettbewerbe in den Vorräumen der Schule oder in Pfarrhäusern statt.
Und während einer dieser Auditions tauchte René auf. Ein Klassenkamerad von Matthias, der seiner Zeit eine ganze Armlänge voraus war. Oberlippenbart mit fünfzehn und einer der ersten Halbstarken mit einer echten Bomberjacke, frisch aus London importiert, von wo aus gerade die Subkultur der Punks ihre Finger nach der Jugend ausstreckte.
René war im Allgemeinen ein etwas zu alt aussehender Typ, dessen Aura Ernsthaftigkeit und Wahnsinn ausstrahlte. Er besaß zwar Gitarre und Verstärker, jedoch scheinbar kein großes Interesse, Teil der Schulband zu werden. Dennoch folgte er dem Lockruf des Castings. Und dort, in der großen, halligen Aula der Eichendorffschule angekommen, stellte er seinen Amp auf, schloss seine Gitarre an, und brachte – wortwörtlich aus dem Stand – viele der Anwesenden zum Staunen und Grübeln. Der Junge war ein Naturtalent.
Das damals noch gar nicht geläufige „Downbending“ der Gitarre, also die abrupte Höhenänderung des Tons mit Hilfe eines Vibratos während eines laufenden Songs, das auch, viel später, gern von Eddie Van Halen als Stilmittel eingesetzt wurde, gelang René – diesem verrückten Hund – völlig mühelos. Und das ganz ohne Vibrato, sondern ausschließlich durch die Verwendung der Stimmmechaniken an der Kopfplatte der Gitarre.
Und so setzte dieser Teufelskerl zum Solo an, wechselte auf die E-Saite, kurzer Kniff an der Mechanik, und schon klang der Ton aus heiterem Himmel völlig anders. Und wieder ein kurzer Dreher, schon ging es rauf mit dem Laut. Und dann tiefer. Und wieder höher. Technisch einwandfrei, ohne Störgeräusche oder Irritationen. Während Matthias dasaß und perplex war, gaben sich die „wahren“ Musik-Virtuosen aus dem Lehrerkollegium und der streberhaft-besserwissenden Mitschülerschaft ob der „Schändung der musikalischen Ästhetik“, die René dort „frivol zum Besten gab“, entsetzt.
Ne Kleiner, komm jetzt. Das war ja ganz nett, aber geh besser wieder heim.
So schickte man