Gonzo. Matthias Röhr
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Der Moment, viele Jahre später, in dem das damals anwesende Kollegium und die Mitschüler angesichts der aufstrebenden Glam-Rock-Bands gemerkt haben dürften, was für ein Talent sie dort, an jenem Nachmittag, in der Schulaula mit Nichtbeachtung gestraft hatten, muss umwerfend komisch gewesen sein …
Das alles war für Matthias Motivation genug, noch tiefer einzusteigen. Eine eigene Band zu gründen. Und auch endlich den Plan, die über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Musikszene in Kelkheim abzuchecken, in die Tat umzusetzen. Raus aus der Taunus-Liederbach-Reihenhaus-Idylle, rein in die „echte Welt“, die in seiner Vorstellung von Menschen bevölkert wurde, die so drauf waren wie er selbst. Deren Lust und Treiben in der Musik einen großen, gemeinsamen Nenner fand.
Und die zum heiligen Geist des RockʼnʼRoll beteten. Vor seinem Altar der Riffs, Licks, Soli und tretenden Bässe niederknieten und seine Bibel, die Songtexte, verinnerlichten. In allen Facetten. Das war keine langweilige Fachsimpelei über Akkorde oder Noten, die eh kaum jemand lesen konnte, sondern echtes Herzblut und Engagement. Autodidaktischer Erwerb verschiedenster Spielarten. Tonleiter rauf und Tonleiter runter.
Doch die ersten Begegnungen verliefen anders, als Matthias gedacht hatte. Hier, im Herzen einer jungen, dynamischen Künstlerszene, interessierte man sich nicht sehr für den jungen Röhr. Die älteren und erfahreneren Musiker, Aficionados allesamt, orientierten sich an Bands und Musikern wie Black Sabbath, Deep Purple, ELP, Focus, Johnny Winter, UFO, Fleetwood Mac, Bob Dylan, David Bowie oder Led Zeppelin. Die Stones gingen schon auch klar – von allen geliebt wurden sie deshalb noch lange nicht.
Jagger und Richards spalteten die Gemeinde und wurden kontrovers diskutiert. Manche mochten sie aufgrund ihres Erfolges und des damit verbundenen Arschtritts in das Hinterteil der englischen Upper-Class, andere wiederum lehnten sie genau deshalb ab. An Glaubwürdigkeit mangelte es ihnen aber keineswegs.
Generell konnte man der Kelkheimer Szene eine große Offenheit bescheinigen. Es gab keinerlei Einschränkungen. Jeder hörte das, was er hören wollte.
Und jeder gab Plattentipps. Auf modernen Schallplattenspielern wurde das neue Zeug aufgelegt. Es wurde analysiert und verglichen. Was spielte der Gitarrist von Chicago? Was spielte Tony Iommi von Black Sabbath. Und, wichtiger, wie spielten die?
Nach der kurzen, aber durchaus intensiven Phase des gemeinsamen Abtastens mit den neuen Bekanntschaften in Kelkheim fing Matthias schnell an, Konzerte zu besuchen. Die Pubertät brachte natürlichen Freigeist mit, der durch die steten Erzählungen von Musiklehrer Ullrich, seiner Klassenkameraden und der älteren Teenager in Kelkheim nur noch genährt wurde.
Die Haare wuchsen. Sie wurden immer länger, und Matthias weigerte sich vehement, einer Friseurschere zu nahe zu kommen. Schon nach wenigen Wochen trug er eine schulterlange Matte. Weniger zur Freude der Eltern, die nicht nur seine haarige Entwicklung jeden Tag mitbekamen, sondern auch den Leistungsabfall in der Realschule höchst sorgenvoll zur Kenntnis nahmen.
Die Hoffnung, dass sich Matthias irgendwann für ein geregeltes Leben entscheiden und diese ganze Taugenichts-Ästhetik hinter sich lassen würde, wurde immer geringer.
Und was war, wenn ihr Sohn auch noch anfangen sollte, Drogen zu nehmen? Haschisch und Marihuana gehörten zum guten Ton und zur Grundausstattung vieler neuer Freunde von Matthias, der es – nach einigem Probieren – jedoch vorzog, beim Alkohol zu bleiben. Weed, Dope, Spliffs und Bongs interessierten ihn nicht.
Dennoch, ein undurchdringlicher Hanfnebel, der schon meterweit vom Ort des Kiffens entfernt gerochen werden konnte, hing fortan über allem und fast jedem. In den Pfarrhäusern roch es wie auf einer Grasplantage. Hier probten die ersten Studentenbands, deren Mitglieder wiederum der ersten Hippie-Bewegung in Deutschland zugerechnet werden konnten. Die Proberäume in den Gotteshäusern waren schnell Umschlagplätze für bestes Dope. Und Walt- und Schaltzentrale der Kreativität. Was sich nach einem furchtbaren Siebziger-Klischee anhörte, war allerdings ziemlich exakt das, was sich dort abspielte.
Im Sommer 1976 lernte Matthias Röhr, quasi im „Vorbeigehen“, den ebenfalls musikbegeisterten Norbert Nebenführ kennen. Matthias war gerade dabei, den Hund der Familie Gassi zu führen, als er Nebenführ auf einer Parkbank in Liederbach sitzen sah. Das Treffen war von Thomas G. arrangiert worden, der – zusammen mit Nebenführ – eine Band gründen wollte, dringend einen Bassisten benötigte und den langhaarigen Matthias kannte. Röhr kam ihnen gerade recht. Dessen musikalisches Know-how war bekannt und ebenso, dass er gut Bass spielen konnte.
Es vergingen keine zwei Tage, bis Matthias der Gruppe beitrat.
Norbert Nebenführ erinnert sich: „Ich war, genau wie fast jeder andere Teenager zu jener Zeit, total der Gitarrenmusik verfallen. Perfekt war auch, dass sich gerade die lokale Musikszene in Hofheim, Liederbach und Kelkheim herausbildete, die wirklich großartig war. Thomas G. war damals sehr umtriebig, hatte Verstärker und eine E-Gitarre und spielte mir in der Garage seiner Eltern etwas vor. Es dauerte keine zehn Minuten, bis ein schwarzer G.I. hinzustieß, der im Nachbarhaus wohnte, und uns fragte, ob er sich an der kleinen Jam-Session beteiligen dürfe. Als er ‚Voodoo Chile‘ von Hendrix coverte, war es um mich geschehen. Ab diesem Tag bekniete ich meine Eltern, dass sie mir auch eine Gitarre kauften. Es wurde dann die ‚Les Hertie‘ aus dem Main-Taunus-Zentrum.“
Matthias, Thomas und Norbert probten fortan pausenlos im Keller von Thomasʼ Familie. Nach ein paar Wochen standen vier, fünf brauchbare Songs. Genug Material, um es auf Schulfeiern und privaten Feten aufzuführen. Material, das allerdings auch relativ schnell offenlegte, wer etwas an seinem Instrument konnte und wer nicht.
Thomas, das stellte sich schnell heraus, war kein begnadeter Gitarrist. Einer, der gut reden konnte und noch besser darin war, Kontakte zu knüpfen, aber kein Vollblutmusiker. Es dauerte nicht mal ein Vierteljahr, da verließ er die Band und ging seines Weges.
Norbert Nebenführ und Matthias Röhr freundeten sich in Folge dessen noch stärker an, und schon bald waren sie beste Kumpels, die das ehrgeizige Hobby verband, Musik zu machen. Röhr wechselte vom Bass zur Gitarre, und ab da merkte Nebenführ, wie krass sein Kumpel unterwegs war und wie gut er die Saiten bespielen konnte. Er war ein Naturtalent und endlich ein Partner, der kreativ genauso tickte, wie er selbst. Sie kümmerten sich nicht mehr um Mädels oder Partys (auch wenn sie kaum eine ausließen, wenn sie eingeladen waren), sondern übten, bis ihnen die Finger bluteten. Oft fuhr Norbert zu den Röhrs, und gemeinsam rockten die beiden den Keller, in dem der langhaarige Matthias sein Zimmer hatte.
Norbert aus der Erinnerung: „Ich weiß noch gut, wie das Zimmer aussah: Tür rein, links Schrankwand, davor Sofa, und wenn der Zug vorbeifuhr, rumpelte es immer.“
Gemeinsam nahmen sie Gitarrenunterricht bei einer Frau, die bei Röhrs in der Reihenhaussiedlung wohnte. Zwei, maximal drei Tage hielten sie es aus, dann beendeten sie die Stunden. Weder Matthias noch Norbert hatten länger darauf Lust, „Im Frühtau zu Berge“ nach Noten einzustudieren. Noch während der ersten Übungen und spätestens beim „… fallera“ brachen beide in schallendes Gelächter aus.
KISS waren Matthiasʼ Lieblingsband, und auch, wenn die hiesige Musikszene die Band nicht mochte, so liebt er Gene Simmons, die Schminke, das Outfit und – vor allem – die Songs dieser Gruppe noch immer heißblütig. Und hin und wieder malte er sich auch seine Stiefel golden an, genauso, wie es diese Rocker, die sich augenzwinkernd „Knights in Satanʼs Service“ nannten, auch taten. Norbert wurde ebenfalls zum KISS-Fan. Er konnte gar nicht anders. Die Band lief praktisch rauf und runter.
Manchmal passieren die komischsten Dinge zur merkwürdigsten Zeit. Zwei einschneidende Geschehnisse brachten Matthias Röhr