Gonzo. Matthias Röhr

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Gonzo - Matthias Röhr

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Laufbahn erst einmal warten mussten, die heiligen Sex Pistols im Fernsehen. Ob es bei einer der oben erwähnten Sendungen, während einer Reportage oder eines Fiebertraums war, weiß er nicht mehr.

      „Während des Musikladens oder während Disco kann es eigentlich nicht gewesen sein“, sinniert er im Gespräch. „Die Pistols waren den verantwortlichen Redakteuren meiner Erinnerung nach zu heiß.“

      Sei es, wie es sei. Es spielte keine Rolle, denn feststand: Irgendwo kam Matthias das erste Mal mit Johnny Rotten, Steve Jones, Paul Cook und Sid Vicious in Berührung.

      Mit einem einzigen Ausschnitt auf dem alten Röhrengerät explodierte vor seinem inneren Auge etwas und half dabei, dass der musikalische Kosmos Röhrs weiter expandierte. Wie gern hatte er noch vor wenigen Jahren vor dem Fernseher gehockt und die absurd guten Gospel- und Johnny-Winter-Shows geguckt. Voller Faszination für die dargebotene Kunst.

      Er liebte die Musik damals schon so sehr, dass er es nicht ertragen konnte, auf die Sendezeiten der Öffentlich-Rechtlichen angewiesen zu sein. Mit seinem Kassettenrecorder (damals so etwas wie der heilige Gral der musikbegeisterten Jugend) zeichnete er die Sendungen analog auf. Mit Störgeräuschen, mit Gerede im Hintergrund, mit allem, was eigentlich unerträglich war.

      Für Matthias nicht. Es war erträglich, weil sein Gehör, einmal in Gang gesetzt, alles herausfiltern konnte, bis nur noch die Musik übrig blieb.

      Und dann folgte die Erleuchtung. Diese englischen Bands hatten etwas, das er nicht beschreiben, sondern nur fühlen konnte. Die britischen Medien, hysterisch und panisch, wie sie immer waren, wenn eine neue Subkultur die Monarchie schockierte, brauchten dringend ein Wort, um den Krach der Instrumente und die Impertinenz der Texte zu beschreiben, die sie hörten: Punk!

      Die Etymologie des Begriffes war eigentlich viel älter. Erste Aufzeichnungen gingen sogar auf das Jahr 1596 zurück, in denen man altes, faulendes Holz als „Punk“, als etwas Wertloses, bezeichnete. Den heute gebräuchlichen Sinn des Wortes rechnete man der Musikjournalistin Carolin Coon zu. Coon liebte viele Jahre Paul Simonon, den Bassisten von The Clash. Und als man sie fragte, wie sie denn den Musikstil ihres Freundes und seiner Freunde bezeichnen würde, fiel ihr dieses alte Wort ein.

      „Well, I guess, this is Punk Rock.“

      Die Tatsache, dass es Coon war, die den Begriff etablierte, interessierte in den Massenmedien kaum jemanden. Die waren noch viel zu sehr damit beschäftigt, laut zu mosern oder angeekelt zu kotzen. Punk. Rock. Punk Rock.

      Oh Jesses.

      Das war sie also, die Zukunft der Musik. So viel Energie, so viel Wut und so viel Authentizität hatte Gonzo nie zuvor gehört. Und das trotz oder gerade wegen des Umstands, dass die Mucker der Punkbands nicht gerade die Talentiertesten ihrer Zunft waren. Bei genauerem Hinhören und Hinsehen jedoch war das eigentlich wiederum geil. Nichts oder nur wenig an den Instrumenten zu können, schien urplötzlich kein Hemmnis für Erfolg zu sein. Und das war noch nicht alles.

      Jetzt schien es sogar en vogue, derbe Texte zu schreiben, über die sich die alten, zerknitterten, ungevögelten Frauen und aristokratischen Männer aufregen konnten. Und wie genüsslich und inbrünstig sich das Establishment zu echauffieren vermochte, wusste man spätestens, wenn man die schockierten Kommentare des Feuilletons über den Pistols-Hit „God Save The Queen“ las.

      Doch trotz aller Aufreger platzierte man diese Bands im Fernsehen. Und dort ließ man sie vor einem Millionenpublikum auftreten. In den Charts landen. Und ab da regnete es für die populärsten Punk-Rock-Bands tausendfach britische Pfund.

      Also, wenn das nicht krass war, wusste Matthias auch nicht weiter. Hier wurde den Bands der Busen gereicht, nach dessen Milch sich die Jugend die Finger leckte und an der die Medien, Manipulatoren, Politiker und Monarchen ersticken sollten.

      Von nun an liebte Matthias „Gonzo“ Röhr den Punk. Er stieg in die Rakete, nahm Platz und ließ sich auf einen neuen musikalischen Planeten schießen. Ein unbekannter Ort im bekannten Sonnensystem. Dasselbe, in dessen planetarischen Umlaufbahnen er Jahre zuvor noch Chuck Berry, Elvis, die Stones, Nugent und alle anderen großen Künstler entdeckt hatte, kannte ab diesem Moment vorerst nur noch die drei dicken P: Punk, Pogo und Provokation.

      Fragt man Gonzo heute nach den ersten Tagen in der Subkultur, nach dem „Wie alles begann“, gerät er nicht selten ins Schwärmen: „Für mich war das plötzlich wie das Eintauchen in eine neue Blase. Man hat diese Bands im Fernsehen gesehen, The Stranglers, The Damned und alle anderen, und ja, das war mit einem Mal etwas völlig Neues. Es gab vorher ja größtenteils nur diese ganzen ‚Superstar‘-Bands. Also Genesis, Emerson, Lake and Palmer, die Stones. Alles Bands, die mit riesigen Produktionen durch die Lande zogen und für die Jugend aber immer uninteressanter wurden. Da vermisste man irgendwann den RockʼnʼRoll in der Rockmusik, die im Begriff war, zu einem Kunstprodukt zu werden. Das war schon großes Business, an dem sich Hunderte Manager, Veranstalter und Künstler sattaßen. Und mit den englischen Punkbands gab es plötzlich – aus dem Off – eine völlig neue, krass inspirierende Form des musikalischen Ausdrucks. Wild abstehende Haare, so neue Frisuren, wie sie damals Eddie Cochran oder Link Wray in den Fünfzigern trugen. Manche kurzrasiert, manche gefärbt. Dazu eine Lederjacke, die Gitarre tiefhängend, drei Akkorde spielend. Das hat gereicht, die haben abgerockt und gute Songs geschrieben. Das hat mich natürlich vom Fleck weg begeistert. Also bin ich losgezogen, ein paar Tage, nachdem ich die Bands im Fernsehen für mich entdeckt hatte, und habe mir im Schallplattenladen von Olivers Bruder einen Punk-Sampler gekauft. Frisch aus dem Königreich importiert. Und plötzlich sah man da auch auf einmal Freunde und Bekannte, denen es ganz ähnlich ging wie mir. Mit diesem neuen Schwung an Energie kamen auf einmal Mädels an und hatten sich die Haare abrasiert oder grün gefärbt. Dazu noch gern eine kaputte Jeans und die Ersten, die Doc Martens trugen. Manche Mädchen, von denen man bislang immer dachte, dass die doch noch total unter der Fuchtel ihrer Eltern stehen und zum Lachen in den Keller gehen, haben sich plötzlich auch der Welle angeschlossen. Vieles lief über die Musik. Die Platten-Stores waren die Treffpunkte, um sich auszutauschen. Und so bin ich langsam, nicht mit einem Rutsch, immer mehr zum Punk geworden.“

      Die Geburtsstunde der aus England kommenden wütenden Untergattung des RockʼnʼRoll faszinierte die Jugendlichen. In Frankfurt und seinen Vororten, in Hamburg, Berlin, dem Ruhrpott, Bremen und Düsseldorf war es am krassesten. Hier schlug das Punk-Beben mit voller Härte zu und begeisterte unzählige Kids aus dem Stand. Mit einem Mal wurde über diese spezielle Musik gefachsimpelt, als wäre Punk das Wichtigste im Leben.

      Schallplattenläden, deren größter Absatz noch bis dato die großen Popbands und Interpreten der USA, ABBA aus Schweden, die Beatles oder Stones aus England waren, sortierten ihre Verkaufsräume um und platzierten die Sex Pistols, The Clash und Co. gut sichtbar im Schaufenster.

      Michael, Olivers älterer Bruder, tat es den anderen Plattenladen-Besitzern gleich. Sein Geschäft wurde über die Jahre immer wieder von Matthias und anderen jungen Erwachsenen aufgesucht, um sich echte Schätze der Rockmusik zu sichern. Der Mann hatte und kannte alles. Er selbst war immer auf der Suche nach neuen, schrillen Tönen und nach dem nächsten großen Importhit aus Übersee. Als die Bee Gees noch als Geheimtipp galten, man die Sex Pistols noch für ein frivoles Liebesspielzeug und The Clash für einen Romantitel hielt, hatte er deren Veröffentlichungen, verpackt in große Vinylschachteln, schon bei sich im Laden stehen.

      Seit gefühlten Ewigkeiten dealte er das gute Zeug. Die heiße Ware wurde direkt an die Jugend weiterverkauft. So hielt auch dort ab 1979 „das dicke P“ Einzug in die Schaufenster. Und weil es großen Spaß machte, ein bisschen mit dieser unverbrauchten Attitüde zu kokettieren, gab es für jeden Punk, der sich den neuen Scheiß kaufte, noch ein paar Aufkleber und Patches obendrauf. Das allein war schon ein Faustschlag ins Gesicht der stockkonservativen Spießbürger, die in dieser neuen Bewegung nun endgültig den

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