Operation Terra 2.0. Andrea Ross
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Aus Gabriels eingeengtem Blickwinkel heraus trafen dessen Argumente durchaus zu, doch er musste das große Ganze im Fokus behalten, durfte sich bei seinen Entscheidungen nicht von Emotionen beherrschen lassen. Der Missionserfolg stand in der Rangfolge über allen anderen Belangen, denn hier ging es nicht um das Wohl von Einzelnen, sondern vielmehr um dasjenige einer komplexen Kultur, die auf seinem fernen Heimatplaneten um ihre Existenz kämpfte. Tiberias Überleben zählte, andere Prioritäten gab es nicht.
»Bist du nun fertig? Kann man mit dir wieder vernünftig reden, oder willst du dich weiterhin aufführen wie ein Irrer?«,
fragte Balthasar verschnupft und erhob sich mit gemessenen Bewegungen von seiner Sitzbank, die aus Bequemlichkeitsgründen mit dicken Kissen belegt war.
»Solltest du nämlich weiterschimpfen wollen, so kannst du das auch anderswo tun. Ich werde mir deine Respektlosigkeit nicht mehr lange gefallen lassen. Deswegen bestehe ich darauf, dass du mich künftig wieder mit den höflichen Bezeichnungen Ihr und Vorderster ansprichst. Wir hatten diese Floskeln in den vergangenen Jahren bloß deswegen nicht mehr verwendet, weil wir prima als Team harmonierten und ohnehin alle im selben Boot saßen.
Da ich nun meine Vormachtstellung durch dein unangemessenes Verhalten gefährdet sehe, führe ich die offizielle Anrede für Vorgesetzte ab sofort wieder ein. Dazu bin ich autorisiert, wie du weißt.
Ich warne dich vorsichtshalber aus alter Freundschaft; unternehme besser gar nichts ohne meine ausdrückliche Erlaubnis. Wir befinden uns in einer hochsensiblen Phase der Operation, die keinerlei Fehler verzeiht. Nimm dich und deine Befindlichkeiten zurück, ansonsten wirst du mich nämlich bald von einer völlig neuen Seite kennenlernen!«
Gabriel verließ den Schauplatz wortlos, denn er hätte andernfalls nicht mehr an sich halten können. Was ging hier Übles vor sich? War ein mieses Intrigenspiel im Gange, dessen Regeln er nicht einzuschätzen vermochte? Balthasar ließ sich trotz aller Bemühungen weiterhin nicht in die Karten sehen.
Zwei Seelen wohnten in Gabriels Brust. Diese einander ebenbürtigen Kontrahenten stritten heftig um die Kontrolle über seine Handlungen. Eine davon wollte dem soeben erhaltenen Befehl buchstabengetreu Folge leisten, denn der hochdotierte Mediziner hatte auf Tiberia in seiner Jugendzeit selbstverständlich die allgemein übliche ideologische Ausbildung erhalten.
Es war tatsächlich Fakt, man konnte es nicht wegleugnen … vorangegangene Missionen waren maßgeblich daran gescheitert, dass einzelne Teilnehmer aus der Reihe tanzten und ihren ursprünglichen Befehlen zugunsten intuitiver Planänderungen zuwiderhandelten. So stand es jedenfalls in den Abschlussberichten dokumentiert. Aber würde die von ihm beabsichtigte Intervention dem Gelingen der Operation Terra 2.0 überhaupt entgegenstehen?
Die andere Seite seiner Seele zwickte und zwackte, peinigte ihn mit schweren Schuldgefühlen. Er musste doch Kalmes und ihrer Gruppierung zu Hilfe eilen! Wäre er vollkommen ehrlich zu sich selbst gewesen, hätte er sich gleichwohl die wahren Beweggründe für seine unkontrollierten Ausraster bei Balthasar eingestehen müssen.
Jesus‘ Schicksal berührte ihn zwar, doch hätte Gabriel wegen ihm nicht seine eigene Reputation leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Wenn dieser Revoluzzer jetzt in einem illegalen Prozess zum Tode verurteilt wurde, dann war er größtenteils selber daran schuld. Solaras predigte als Jesus unablässig Liebe und Sanftmut, ging dabei aber ziemlich ungeschickt vor, machte sich mit seiner larvierten Aggressivität viele Feinde.
Nein, im Grunde sorgte sich Gabriel ausschließlich um jene Frau mit den sanften braunen Augen, in die er seit langer Zeit insgeheim verliebt war. Solange sie als Maria Magdalena an Jesus‘ Seite weilte, war sie höchstwahrscheinlich selbst in Gefahr.
Wütend schleuderte der Außerirdische Steine gegen einen Baumstamm, um seinen überschäumenden Frust zu kanalisieren. Balthasar hatte soeben sein blindes Vertrauen, seine Loyalität verraten. Was Gabriel über Jahrzehnte hinweg für eine gelungene Männerfreundschaft gehalten hatte, war in Wirklichkeit wohl keinen Pfifferling wert. Wie sehr musste er sich in seinem vermeintlichen Weggefährten getäuscht haben!
Sollte er noch heute desertieren, mit Kalmes untertauchen und für immer mit ihr auf Terra zurückbleiben? Aber was geschähe, falls Kalmes ihm seine selbstlose Rettungsaktion nicht danken und lieber mit dem lebenden oder toten Solaras brav nach Tiberia zurückkehren würde? Liebte sie diesen langhaarigen Hänfling etwa immer noch?
In diesem Falle säße er hinterher alleine hier in der Wüsteneinöde dieses rückständigen Planeten herum und würde sich bis an sein Lebensende wegen der verpassten Chancen und seiner fatalen Fehleinschätzung grämen!
Während Gabriel einen Stein nach dem anderen zur Kompensation seiner Ratund Machtlosigkeit zerschellen ließ, eilte Balthasar aufgewühlt ins Commudrom. Die schneidenden Vorwürfe seines Kollegen hatten ihn stärker verletzt, als er sich anmerken lassen durfte.
Ungeachtet dessen kam er zuverlässig seinen Pflichten nach, fügte der Missionsdokumentation einen neuen Eintrag hinzu. Er wägte seine Wortwahl ungewöhnlich lange ab, bevor er zu sprechen begann.
Balthasar 209/13.3.6.1.4, terrestrische Zeit: 7.19.10.8.3, Donnerstag
Es ist vorbei. Der Traum, dem manche Crewmitglieder in romantischer Verkennung der Realität nachhingen, ist vorüber. Aus einer verschworenen Gemeinschaft von ziegenzüchtenden Wahl-Terranern ist nun von einer Sekunde zur anderen wieder die tiberianische Missionscrew geworden, und zwar mit sämtlichen Rechten, Pflichten und Hierarchiestrukturen. Unsere Tage auf Terra sind gezählt.
Wir haben alle gewusst, dass es eines Tages soweit kommen wird. Und doch kann auch ich keinen Hehl aus meiner Betroffenheit machen, denn dieses unzivilisierte Terra hat unsere Seelen schon kurz nach der unsanften Ankunft gefangen genommen. Der Planet ist uns trotz oder gerade wegen seiner Unvollkommenheit zur zweiten Heimat geworden. Aber das erwähnte ich sicher bereits in einem meiner früheren Berichte.
Ich weiß, das ist eine seltsame Sichtweise für einen rational erzogenen Tiberianer; ihr Daheimgebliebenen werdet sie sicherlich sehr schlecht nachvollziehen können. Aber folgendes solltet ihr bedenken, bevor ihr euch über meine Gedanken wundert oder mich dafür an den Pranger zu stellen gedenkt:
Tiberia ist im Grunde genauso viel oder wenig unsere »Heimat« wie Terra … diese Bezeichnung verdient eigentlich einzig und allein der Mars, auch wenn er leider schon vor unvorstellbar langer Zeit unbewohnbar geworden ist.
Am schwersten fiel mir die Entscheidung, Jesus hier seinem vorgezeichneten Schicksal zu überlassen. Mir kam zu Ohren, dass er vom Sanhedrin zum Tode verurteilt worden sein soll; sofern der Statthalter Pontius Pilatus diesem Beschluss innerhalb der kommenden Tagen folgt und den Hinrichtungsbefehl antragsgemäß erteilt, werden wir unseren Gefährten verlieren.
Als wir einst auf Tiberia über die erfolgversprechendste Vorgehensweise für einen solchen Fall diskutierten und berieten, fiel es mir leicht, den Sinn und Zweck eines Märtyrertodes zu erkennen. Solaras‘ Leben galt mir als kleines Opfer, verglichen mit dem Effekt, den sein Tod bei den Gläubigen auslösen müsste. Auch ich habe dafür gestimmt, den Dingen ihren Lauf zu lassen, falls man ihm nach dem Leben trachten sollte.
Ein mildtätiger Mann, der mutig und selbstlos für das Heil seiner Welt stirbt, dürfte den Menschen Terras für eine ganze Weile im Gedächtnis haften bleiben. Vielleicht überlebt auf diese Weise zumindest sein Andenken.