Operation Terra 2.0. Andrea Ross
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»Dies ist dank unserer besten Ingenieure eine freitragende Konstruktion, die federleicht wirkt und entgegen der Optik äußerst stabil ist!«, erklärte der Dozent sachlich, als hätte er eine Schar von wissbegierigen Novizen vor sich.
»Und obgleich es hier aussieht, als befände man sich draußen in wilder Natur, ist unter oder stellenweise auch hinter
der Vegetation eine vollständige Ausstattung für Schulungsräume versteckt. Es ist die perfekt gelungene Simulation einer ungezwungenen Atmosphäre, die unserem Nachwuchs das Lernen etwas versüßen sollte, möchte ich meinen! Deine Patientin liegt übrigens im dritten Schulungsgarten hier drüben, wo die ganz Jungen unterrichtet werden.«
Yannas bog um eine tadellos getrimmte Hecke und wies auf etwas leuchtend Gelbes, das verkrümmt auf einer wattierten Decke im Gras lag. Gabriel konnte zunächst nichts Genaueres erkennen, denn die zirka fünfzehn Schüler der bedauernswerten Dozentin standen gestikulierend und schwatzend rings um ihren reglos hingestreckten Körper herum. Ein Mädchen kniete in Kopfhöhe, schien beruhigend auf die Bewusstlose einzureden. Erst als die Kinder den Arzt als solchen erkannten, gewährten sie bereitwillig Platz zum Durchgehen.
»Darf ich um ein wenig Ruhe bitten? Ich möchte eure Do-
zentin untersuchen, damit ich ihr … !«
Gabriel stockte der Atem. Er kannte diese Frau. Und wie er sie kannte! Er liebte sie mehr als sein Leben. Ach was, sogar mehr als alle Lebenden auf sämtlichen bewohnbaren Planeten dieses Universums!
Spätestens in diesem Moment war er felsenfest davon überzeugt, dass hier das Schicksal seine unberechenbaren Finger im Spiel gehabt hatte. Seit seinem Aufenthalt auf Terra glaubte er nämlich fest an Mysterien aller Art, auch wenn er das niemandem offen eingestanden hätte.
*
Terra, Zeit: 13. August 2117 nach Christus, Freitag
Swetlana Emmerson saß erschöpft auf der fadenscheinigen Couch und weinte leise. Ihr zwei Monate alter Säugling lag in einem dick mit Kissen und Decken ausgepolsterten Pappkarton zu ihren Füßen, weil sie sich innerhalb der letzten zweieinhalb Monate seit Geburt ihrer jüngsten Tochter noch nicht hatte aufraffen können, die alte Familienwiege aus dem verstaubten Kellerabteil der Wohnanlage zu holen. Die russischstämmige Frau fühlte sich ausgelaugt und antriebslos, konnte ihren Mutterpflichten nur mit viel Überwindung nachkommen.
»Swetlana?! Heulst du etwa schon wieder? Reiß dich gefälligst zusammen! Glaubst du etwa, mir hätte damals jemand mit den Kindern geholfen? Im Gegenteil, dein Vater hat mich grün und blau geschlagen, sobald er zwischendurch sturzbesoffen nach Hause gefunden hat. Das war kein gottesfürchtiger Mann, und deswegen hat ihn auch schon frühzeitig der Teufel geholt!
Du hast es mit Philipp viel besser getroffen, bist aber trotzdem dauernd bloß am Lamentieren. Vergiss dein Selbstmitleid und kümmere dich jetzt zur Abwechslung mal um mich, denn ich benötige dringend die Bettpfanne!«, jammerte ihre nach einem Schlaganfall bettlägerige Mutter mit vorwurfsvollem Unterton in der Stimme.
»Ja, Mamuschka! Ist schon gut, ich komme, hab bitte nur noch einen kurzen Augenblick Geduld. Dann bringe ich dir auch gleich etwas Leckeres zu Essen mit!«, seufzte Swetlana ergeben und trocknete sich die Tränen mit einem Zipfel der Babydecke ab.
Während sich die völlig überforderte Mutter langsam aufrappelte, um ihren heiligen Tochterpflichten nachzukommen, nörgelte die Alte derweil stetig vor sich hin. Scheinbar hatte sie an ihrer Ankündigung etwas auszusetzen und echauffierte sich wortreich auf Russisch darüber, wie man als junge, unter vielen Entbehrungen erzogene Frau nur so geschmacklos sein konnte, Bettpfanne und Lebensmittel in ein und demselben Anlauf zu seiner alten, hilflosen Mutter bringen zu wollen.
Swetlana versuchte verzweifelt, nicht hinzuhören. Sie klapperte in der Küche absichtlich laut mit Töpfen und Tellern, um mit dieser Geräuschkulisse das vor Spott triefende Gemecker ein wenig zu übertönen. Anschließend blieb ihr nichts anderes mehr übrig, als mit einem beladenen Tablett und der unter einen Arm geklemmten Bettpfanne ins Schlafzimmer zu gehen, um ihre übellaunige Mutter zu versorgen.
Die junge Frau versuchte das Tablett auf einem Nachttischchen abzustellen, ohne dass die dampfend heiße Gemüsesuppe dabei überschwappte. Leider rutschte trotz aller Bemühungen die metallene Bettpfanne unter ihrer Achsel hervor und fiel scheppernd zu Boden.
»Kannst du denn nicht ein bisschen besser aufpassen? Du hast mich fast zu Tode erschreckt! Ich hatte dir doch gleich gesagt, du sollst die Sachen lieber einzeln herüberbringen.
Na ja, was erwarte ich denn … du warst schon als Kind ein ungeschickter Trampel, der nie auf mich hören wollte! Was du mir damals an Kummer und Sorgen eingebracht hast, mag ich gar nicht beschreiben. Du hast mich Jahre meines Lebens gekostet«, schimpfte die alte Olga kopfschüttelnd.
Swetlana beschloss gekränkt, auf die erlogenen Beleidigungen einer unzurechnungsfähigen Alten nichts zu geben. Sie schluckte ihren Ärger hinunter und reagierte nicht, sondern bückte sich mit einiger Mühe, um die Bettpfanne aufzuheben. Dabei stieß sie aufgrund der Enge in diesem mit drei Betten heillos überbelegten Raum versehentlich mit ihrem Gesäß ans Tablett, wodurch ein kleiner Teil der Suppe nun doch noch aus dem Teller befördert wurde.
Als ihre Mutter das Missgeschick sofort zum Anlass nahm, Swetlana mit harschen Worten zu maßregeln, war es um deren Selbstbeherrschung geschehen. Sie schrie sich den gesamten Frust, den sie über die letzten Wochen und Monate aufgestaut hatte, aus der Seele. Dann knallte sie die Bettpfanne auf den Nachttisch und verließ das Zimmer, ohne ihrer Mutter bei der Benutzung zu helfen.
Beim nach Hause kommen fand Philipp die beiden Frau in aufgelöstem Zustand vor. Die eine saß mit wirrem Haar auf der Couch und weinte hemmungslos, wobei sie ihren Kopf zwischen den angezogenen Knien barg.
Die Ältere heulte in einer anklagenden Monotonie, weil sie ihre Notdurft inzwischen ins Bett verrichten hatte müssen; die langgezogenen Töne klangen fast, als würde jemand eine Blockflöte unsachgemäß benutzen.
»Was ist denn hier los?«, fragte Philipp fassungslos, welcher sich zunächst weder den desolaten Gemütszustand der beiden Frauen noch den in der Wohnung allgegenwärtigen Gestank logisch erklären konnte. Nun weinte zu allem Überfluss auch noch das Kind im Pappkarton, weswegen es der besorgte Vater herausnahm, um es wieder in den Schlaf zu wiegen.
»Nun? Ich hatte dich etwas gefragt!«
Swetlana sah widerwillig auf, richtete die rot geränderten Augen auf ihren Ehemann. »Ich kann sie nicht mehr ertragen! Ihre Anwesenheit macht mich krank. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um sie schnellstmöglich loszuwerden.
Soll sich doch die Kirche um diese undankbare Vettel dort drüben kümmern! Wir haben eigentlich sowieso keinen Platz mehr im Schlafzimmer, seit das Baby auf der Welt ist! Oder wo soll ich deiner Meinung nach Annas Bettchen aufstellen?«, brach es aus Swetlana hervor.
Was war nur mit seiner geliebten Ehefrau los, litt sie etwa noch immer an Kindsbettdepressionen? Diese vorübergehende Weinerlichkeit war doch sonst