Im Weihnachtswunderland. Gisela Sachs
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»Komm doch rein, Pinkie«, rief sie dem fassungslosen Bruder am Ufer zu. Aber Pinkie schüttelte nur den Kopf. Schwimmen wollte er damals noch nicht. Und schon gar nicht im eiskalten Winterwasser.
Im Alter von zwei Jahren zwei Monaten und zwei Tagen war Minkie vor Tatendrang nicht mehr zu bändigen. Sie wollte reiten, schwimmen, auf Bäume klettern, auf dem Rücken der Schwäne und Wildgänse mitfliegen. Und das am liebsten alles auf einmal. Die Familie musste sehr viel Geduld aufbringen mit Minkie. Und sie schaffte das nicht immer. Selbst der bedächtige Großvater geriet manchmal aus der Fassung, auch der besonnene, immer geduldige Pinkie. Aber die Großmutter lachte dann nur und brachte alles wieder in Ordnung.
Die Großeltern Aram und Lea Gespenstermann waren fromme Menschen. Immer fröhlich, fleißig, bescheiden und hilfsbereit. Sie wollten noch nie die Menschen erschrecken, so wie es ihre Artgenossen, die gewöhnlichen Geister machen. Deshalb hatte sich das Paar entschieden auszuwandern, in den Gespensterwald, wo es ruhig ist, die Luft noch klar und unverbraucht, und nur Gespenster der gleichen Gesinnung wohnen.
Aram und Lea zogen die Mutter von Pinkie und Minkie in christlichem Glauben auf. Und die Tochter Minka macht es mit den eigenen Kindern ebenso. Sie wird bei der Erziehung von Minkie und Pinkie tatkräftig von Ehemann Jakob unterstützt, was bei Gespensterfamilien damals noch eher unüblich war. Meist sorgten die Mütter allein für die Erziehung der Kinder, während die Väter zur Arbeit gingen und in der Freizeit Fußball und Karten spielten. Jakob Geist ist Schreinermeister, ein gefragter Architekt, Projektleiter für einen Geheimauftrag. Nach Feierabend baut und bastelt er am Blockhaus. Seine Schwiegereltern sollen einen eigenen Wohnbereich bekommen, gleich neben dem Wohnzimmer, mit einer Durchgangstür zum Kinderzimmer.
Minkie entwickelte sich zu einem äußerst temperamentvollen Gespenstermädchen. Dem Gespenstergroßvater Aram blieb so manches Mal schlichtweg der Atem weg über die Einfälle seiner Enkeltochter. So sang sie zum Beispiel am Heiligen Abend statt
‚Großer Gott wir loben Dich,’ das selbst erfundenes Lieblingslied‚Wisst ihr, was die Frösche an Weihnachten machen? Sie ziehen einen Anzug an und fangen dann zu singen an.’ Sie brüllte »quak, quak, quak« und kroch um den Weihnachtsbaum herum. Einmal, zweimal, dreimal.
Der Opa schüttelte den Kopf, raufte sich spielerisch die drei Haare auf seiner Glatze, fragte sich immer wieder: »Von wem wohl unser Mädchen dieses überschäumende Temperament geerbt hat?« Dabei runzelte er die Stirn, rümpfte die Nase kraus, machte eine Schnute und schielte auf seine Ehefrau Lea. Und die Großmutter lachte Tränen über das Opafaxengesicht. »Der liebe Gott versteht auch Spaß,« sagte sie, und als Lea ausgelacht hatte, fing sie an zu beten. »Nun ist die Fülle der Zeit gekommen, da Gott seinen Sohn in die Welt sendet ...«
Minkie wollte unbedingt die Gespenstervorschule besuchen. Und das mit knapp drei Jahren schon, zusammen mit dem Bruder natürlich. Pinkie wäre viel lieber zuhause im gemütlichen Holzhaus geblieben, hätte viel lieber mit dem Großvater Karten oder Brettspiele gespielt, blöde Faxengesichter gemacht, gebastelt, seinem Geigenspiel gelauscht, süßen Lindenblütentee mit ihm getrunken und den vorbeiziehenden Wolken hintergeschaut. Er mochte bei Kälte einfach nicht nach draußen gehen.
Pinkie war ein sehr ruhiges Gespensterkind. Deshalb bekam er als Zweitnamen den Namen seines Großvaters. Der Name Aram steht für Ruhe und Stille, obwohl der Opa gar kein ruhiger, stiller Geist war. In Jugendjahren hatte er es nämlich faustdick hinter den Ohren. Manchmal erzählt er den Kindern von seinen Streichen. Aber nur dann, wenn der Nebel grau und dicht über dem Gespensterwald hängt, ein rauer Wind weht, die Krähen noch heiserer krächzen als an gewöhnlichen Tagen, die Käuze um die Wette schreien und laut wie Donnerschlag das Unken und Rülpsen der alten Riesenunke vom Teich her zu hören ist. Minkie trägt den Zweitnamen Abeni. Die Großmutter hatte auf dem Namen bestanden. Der Name bedeutet ‚Die, um die wir gebetet haben’.
»Wir haben um sie gebetet und wir erhielten sie«, sagte die Großmutter Lea damals, am 24. Dezember um 22:22 Uhr.
Die Taufe der Zwillinge fand in großem Rahmen statt. Alle Verwandten, Bekannte und Freunde der Familie Gespenstermann/Geist waren dazu eingeladen. Und der Gespensterwald wurde an diesem ganz besonderen Tag zu einem wahren Wunderwald. Ab Einbruch der Dunkelheit loderten an jeder Wegbiegung meterhohe Freudenfeuer. In den Baumästen versprühten viele Tausende von Wunderkerzen Funken. Und in allen Büschen und Sträuchern blitzte und glitzerte es. Alle Bäume des Waldes waren mit bunten Kugeln geschmückt, mit Lametta, mit Holzschaukelpferdchen in allen Größen und Farben. Kein Baum wurde vergessen. Bratäpfel und Lebkuchenherzen baumelten zwischen Zuckerweihnachtsmännern an den Ästen. Und in den Tannenspitzen hingen Mandolinen, die wie von Geisterhand Weihnachtslieder spielten, Gitarren, Geigen, Flöten, Trompeten.
Dem Gespenstergroßvater verschlug es die Sprache, als er all das sah und hörte. Und als urplötzlich unter der 1001 Jahre alten Eiche eine Kapelle aus rotem Backstein stand, mit Türmchen und vier Glöckchen aus Messing, erstarrte er. Alle vier Glöckchen läuteten hell. Großvater Aram stammelte: »Das ist doch, das ist doch.« Und als dann auch noch das mit weißen Rosen und roten Lilien geschmückte Taufbecken vor ihm stand, riss er seine Augen so weit auf wie noch nie in seinem Leben. »Aber das ist doch«, stammelte Großvater Aram immer wieder »aber das ist doch.«
Und als dann auch noch der Waldgespenstertierkinderchor unter der Leitung des Großhirsches ‚Fest soll mein Taufbund immer stehn’, sang, da war es um die Fassung von Großvater Aram vollends geschehen. »Das ist doch die Kapelle von Schloss Nebel«, flüsterte er.
»Ich weiß«, strahlte die Großmutter Lea.
»Du kannst noch zaubern?«, fragte der Großvater die Großmutter erstaunt«
»Aber gewiss doch!«, antwortete die Großmutter schelmisch.
»Was denkst du denn, wer den Wald verzaubert hat, mein allerliebstes Ehegespenst?«
Sie lachte fröhlich. »So etwas vergisst man doch nicht, Aram.« Der Opa grinste verlegen.
»Das wäre wohl meine Arbeit gewesen«, sagte er dann leise.
»Überraschung gelungen?«, fragte die Großmutter lächelnd.
»Überraschung gelungen!«, antwortete der Großvater. Er nickte, immer wieder. Dann zog er Lea zu sich, drückte die Großmutter ganz fest an seine Brust. Tränen der Rührung liefen über seine Wangen. Es war nämlich die Kapelle vom Schlossgarten, wo er als zweiter Sohn des ersten Stallburschen aufgewachsen war.
»Nur ausgeliehen«, flüsterte die Großmutter. »Gleich nach der Taufe werde ich sie an ihren Stammplatz zurückzaubern. Es wird nicht auffallen, Aram!«
Das Geweih des Großhirsches war königlich geschmückt: mit roten, weißen, gelben und pfirsichfarbenen Rosen, blauen, gelben, roten und weißen Lilien, dazwischen waren Lorbeerblätter, Schleierkraut, Kornblumen und Efeuranken gebunden. Und auch die Rehe trugen mit Blumen geschmückte Lorbeerkränze um den Hals. Alle Tiere des Waldes trugen Blumenschmuck und Bänder, keines wurde vergessen, selbst um die Schwänzchen der Babymäuse waren weiße Schleifchen gebunden. Die Großmutter hatte auch diese Pracht gezaubert. Und sie war ziemlich stolz auf sich.
Die Gespensterfamilien lauschten andächtig, erst dem wunderbaren Tiergesang, dann dem Dankesgebet des Herrn Waldgespensterpfarrers David. Und die Taufpaten, zwei Onkel väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits, beteten innig: »Lieber Gott, du hast uns diese Kinder geschenkt, wir danken dir dafür. Gib uns Kraft und Geduld, sie auf dem Weg durch die Kindheit zu begleiten.«
Die