Im Weihnachtswunderland. Gisela Sachs
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Frischer Schnee und leuchtende Sterne, so hätte ich es zur Bescherung gerne.
Viele Jahre später
Die Männer tragen weiße Gewänder, fußbodenlang, aus gewebtem Leinen, liebevoll geschneidert in der Gespensterschneiderei unter den Hainbuchen, genau da, wo die vier Schleiereulen wohnen. Auch die bunten Röcke der Frauen werden dort genäht. Minka, die Schneidermeisterin, hat diese Röcke entworfen. Alle Gespensterfrauen tragen mit Begeisterung diese kurzen Regenbogenröcke. Lange Gewänder würden bei der Feldund Hausarbeit stören. Nur die Großmutter Lea Gespenstermann hält an der Tradition fest, trägt weiterhin mit großem Stolz die Gespenstertracht mit der cremefarbenen Spitze am Saum, die auch ihre Mutter schon trug.
Die Großmutter kümmert sich liebevoll um den Haushalt und Enkelkinder, begleitet sie jeden Morgen zur Vorschule und holt sie dort auch wieder ab. Sie achtet sehr auf gesunde Ernährung, zupft und trocknet selbst die Blätter für den Lindenblüten-, Hagebuttenund Kräutertee. Sie baut Kartoffeln, Rosenkohl, Blumenkohl, Rotund Weißkohl auf den Feldern an. Die Familie liebt Kohlgerichte mit Salzkartoffeln über alles. Und Lea will nur eins. Sie will, dass die Familie gesund, zufrieden und glücklich ist.
Lea Gespenstermann ist aber auch eine tüchtige Geschäftsfrau. Sie tauscht den Überschuss an Obst, Gemüse und Tee mit anderen Gespensterfamilien gegen andere Gegenstände ein, die die Familie gebrauchen kann. So ist ein richtiger Tauschring entstanden und Opa Aram ist vom frühen Morgen an bis zum späten Abend mit einem Leiterwagen aus Eichenholz im Wald zum Tauschhandeln unterwegs. Dabei erfährt er viele Neuigkeiten. Auch Neuigkeiten von weit außerhalb des Waldes. Die Elstern fliegen manchmal über die Grenzen hinweg und sie haben immer viel zu erzählen, wenn sie wieder zurückkommen. Und die Neuigkeiten sind bei Weitem nicht immer schön.
»Die Welt ist durcheinandergeraten«, sagt Oma Lea leise. Sie zupft sich am rechten Ohrläppchen und rührt danach wie wild die Kirschmarmelade im verbeulten, schon an vielen Stellen abgesplitterten, grünen Emailletopf auf dem Herd, den sie von ihrer Mutter vererbt bekommen hatte. Oma Lea zupft immer an den Ohrläppchen, wenn sie mit etwas nicht einverstanden ist.
Minka und Jakob Geist, die stolzen Eltern, sind ein fröhliches Paar, bescheiden, hilfsbereit und fromm. Und sie sind dankbar dafür, dass die Großeltern Aram und Lea zusammen mit ihnen im Holzhaus wohnen. Sie bedauern sehr, dass Jakobs Eltern schon verstorben sind und das Großelternglück nicht erleben durften.
Großvater Aram ist es schon lange leid, den schweren Leiterwagen durch den Wald zu ziehen. Seine Knochen machen ihm immer mehr zu schaffen. Großmutter Lea handelt mittlerweile auch mit Marmeladen, saurem Gemüse in Gläsern, eingelegten Früchten, Nüssen, Trockenfrüchten und Heilkräutern. Sie hat sich, gleich hinter dem Wohnhaus, einen Hexengarten angelegt. Und dort wachsen üppig: Johanniskraut, Melisse, Ringelblumen, Salbei, Spitzwegerich, Herzgespann und Frauenmantel. Lea weiß zu heilen. Ihre beste Freundin aus Kindertagen, Lilli, war eine begnadete Hexe.
Aram würde am liebsten den ganzen Tag in seinem gemütlichen Holzstuhl aus Kiefernholz sitzen, den sein Schwiegersohn für ihn als Geschenk zu Weihnachten geschreinert hat. Darin fühlt er sich wohl. Er hat den Stuhl dicht unter das Fenster gerückt, beobachtet von dort das Geschehen im Wald. Seine fürsorgliche Tochter Minka hat den Stuhl mit weichen Kissen ausstaffiert. Sie hat sie selbst genäht und prall mit weichen Schwanendaunen gefüllt. Ab und zu laufen ein paar Kaninchen am Fenster vorbei, Rehe, Hirsche, rote, weiße und schwarze Schnecken. Schnecken mit und Schnecken ohne Häuschen.
»Der Opa ist wieder einmal eingeschlafen«, lacht Minkie, als sie in das Wohnzimmer stürmt. Der Kopf des Großvaters hängt dicht über seiner Brust und Opa Aram schnarcht, was das Zeug hält. »Der Opa hört sich an wie ein alter Frosch mit Husten«, lästert Minkie. Pinkie lacht. »Du hast doch noch nie einen alten Frosch mit Husten gesehen, Schwesterlein«, kontert er. Minkie grinst: »Dann schau dir doch mal den Opa an.«
Die Gespenstergeschwisterkinder halten sich die Hände vor den Mund. Sie kichern, aber leise. Sie wollen den Opa nicht erschrecken.
Aber der Opa schläft gar nicht, er ist hellwach. Mit einem Satz springt er aus dem Stuhl und schreit: »Huh, huh, huh, jetzt habe ich euch, ihr kleinen Rabauken.«
Er greift mit der rechten Hand nach Pinkie, mit der linken packt er Minkie an der Schulter. Er zieht die Kinder dicht an sich heran und küsst sie auf die Nasenspitze. Er küsst erst die Nasenspitze des überraschten Pinkie, dann die Nasenspitze der prustend lachenden Minkie. »Zeit, um ins Bettchen zu schlüpfen«, scherzt Opa Aram. »Scheiße«, rutscht es Minkie von den Lippen.
»Ist es schon so spät?«
»Das Wort will ich aber überhört haben«, sagt die Großmutter, die gerade das Zimmer betritt. Sie gibt Minkie einen spielerischen Klaps auf den Po, sagt: »Und nun aber ganz schnell ab mit dir ins Badezimmer zum Zähne putzen, kleine Prinzessin. Morgen ist auch wieder ein Tag.«
»Und da sollte meine Gespensterprinzessin doch frisch und munter sein«, lacht der Großvater, »vor allen Dingen, wenn die lieben Eltern aus dem Urlaub zurückkommen.«
Minkie und Pinkie haben großes Heimweh nach den Eltern, obwohl diese erst seit zwei Tagen weg sind. Die Kinder sind es gewohnt, vor dem Einschlafen mit den Eltern zu kuscheln und zu beten. »Kommst du zum Beten mit, Oma?«, fragen Minkie und Pinkie zur gleichen Zeit und wie aus einem Mund. »Und du auch, Opa?«
»Selbstverständlich«, antwortet die Großmutter grinsend. »Aber erst waschen, wie immer!« Sie klatscht in die Hände: Zaum und Zaus und Zausewind, Kinder putzt die Zähn’ geschwind.«
Der Großvater ist entsetzt. »Wie kannst du nur«, beginnt er den Satz … »Mitten im Jahr, grundlos. An keinem Zaubertag. Und das auch noch vor dem Beten.«
»Der liebe Gott versteht auch Spaß, Aram!«, sagt die Großmutter und marschiert stolz wie ein General mit erhobenem Haupt aus dem Zimmer.
Der Großvater läuft der Großmutter hinterher und sie sitzen gemeinsam am Bett der Kinder, beten zu viert ‚Abends, wenn ich schlafen geh, vierzehn Englein bei mir stehn, zwei zu meiner Rechten, zwei zu meiner Linken …« Und sie haben kaum das Wort ‚Linken’ ausgesprochen, da sind Minkie und Pinkie auch schon eingeschlafen. Die Großmutter macht mit der rechten Hand das Kreuzzeichen über den Kinderköpfen. »Der Herr behüte und schütze euch.« Lächelnd zupft sie die Bettdecke zurecht, streicht sie glatt, streichelt zum letzten Mal an diesem Tag über die Wangen der Enkelkinder.
Die Großeltern begeben sich ins Kaminzimmer, beenden den schönen Tag mit einer Tasse Lindenblütentee, mit frischem Waldhonig gesüßt, knabbern Halbmondkekse dazu, reden und scherzen miteinander. »Und schon wieder ist ein schöner Tag zu Ende«, stellt Oma Lea mit einem raschen Blick auf die Wanduhr fest. »Zeit zum Schlafen gehen, Aram!«
»Nur noch einmal schlafen«, tröstet die Großmutter am nächsten Morgen beim Frühstücken Minkie und Pinkie. Sie schnalzt mit den Fingern. »Und schwuppdiwupp sind eure Eltern auch schon wieder da.«
»Schwuppdiwupp«, lacht der Opa, »Dann ist ja alles gut, Oma.«
Er drückt die Großmutter ganz fest an sich. »Dann will ich dir doch mal schwuppdiwupp ein Küsschen geben.«
Der blaue Himmel ist übersät mit Zuckerwattewölkchen, als Minkie und Pinkie auf den mit weißem Klee, Pusteblumen, knallroten Mohnblumen, königsblauen Kornblumen, schneeweißen Gänseblümchen und zart grauem Zitterkraut übersäten Wiesen