EMP. Andrea Ross
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Eine Entscheidung hatte mir der wahnsinnige Ecki jedoch bereits dankenswerterweise abgenommen: ich würde nun auf jeden Fall am Rathaus-Camp teilnehmen. Die Aussicht, mit einer Leiche und einem mutmaßlich verrückten Mörder im Haus zu leben, erschien mir wenig attraktiv.
Nach einer kleinen Pause geht es weiter! Ich packe jetzt meine Sachen für morgen zusammen; meinen Schlafsack, den Inhalt meiner Hausapotheke, ein paar Klamotten und sonstige persönlichen Gegenstände. Wenn es erst noch dunkler in der Wohnung wird, ist das Auffinden der Sachen sicher nicht mehr so einfach. Außerdem werde ich die Eingangstür verbarrikadieren. Wegen Ecki, dem ich vorsichtshalber nicht mehr über den Weg traue. Falls er es wirklich getan hat, könnte er mich als Zeugin ebenfalls beseitigen wollen. Man weiß nie, was in einem kranken Gehirn wie dem seinen so vorgeht, nicht wahr?
*
Als ich nach meinem anstrengenden Fußmarsch beim Rathaus ankam, fiel mir sofort auf, dass es dort viel zu ruhig war. Kein Mensch saß in der Lobby, die Glastür hatte man versperrt. War ich zu spät eingetroffen, hatte sich die Versammlung bereits aufgelöst? Schon bahnte sich wieder bitteres Selbstmitleid seinen Weg durch mein arg strapaziertes Gehirn. Was für ein mieser Tag!
»Gabi? Komm, hier sind wir!«, hörte ich Alexandras Stimme. Sie kam über den mit Raureif überzogenen Rasen gelaufen, was seltsame Raschel-Geräusche verursachte. Sie nickte mir zu und signalisierte, ich solle ihr bitte folgen.
Wir bogen soeben um die Hausecke, als mir Brandgeruch in die Nase stieg. »Ist eisig kalt heute! Da haben wir uns gedacht, ein Feuer könnte bestimmt nicht schaden!«, erklärte Alexandra lächelnd. »Wo hast du denn heute dein Fahrrad gelassen?«
»Ist eine lange Geschichte!«, knurrte ich. »Die erzähle ich dir nachher, wenn ich mich ein bisschen ausgeruht und beruhigt habe.«
Meine Kollegin Alexandra zeichnet es von jeher aus, dass sie jede Menge Taktgefühl besitzt, immer die richtige Dosis von Distanz und Nähe findet. Sie spürt, wann man lieber nicht reden möchte, oder wann man für Scherze, Anregungen oder Zuspruch empfänglich ist. Niemals drängt sie sich auf, und niemals nervt sie einen im falschen Moment. Deswegen mag ich sie auch so gut leiden, suche oft ihre Nähe.
Auch in diesem Moment akzeptierte sie auf Anhieb, dass ich momentan keine weiteren Informationen von mir geben möchte. Sie legte mir nur die Hand auf die Schulter und schob mich in die Richtung von Walters Terrasse, um welche wir anderen Bediensteten ihn stets beneidet hatten.
Das Rathaus II ist eigentlich ein früheres Schwestern-Wohnheim, denn es befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Krankenhaus-Komplexes, der aufgegeben wurde, als das neue hochmoderne Klinikum an anderer Stelle in Betrieb ging. Seither sind in den alten Gebäuden auf dem weitläufigen Park-Gelände diverse Behörden, unter anderem auch die Außenstelle des Rathauses, untergebracht.
Oft haben wir uns darüber aufgeregt, dass man uns in dieses etwas heruntergekommene, teilweise nur notdürftig renovierte Schwestern-Wohnheim gesteckt hat. Andererseits bringt das aber auch Vorteile mit sich, welche die Kollegen in der Innenstadt nicht genießen können.
So verfügt beispielsweise jedes Zimmer über ein eigenes Waschbecken und jedes Stockwerk über einen geräumigen Balkon, auf den man sich zum Rauchen zurückziehen kann. Einem großen Eckzimmer im Erdgeschoss, welches zum Versicherungsamt gehört, ist sogar eine breite Terrasse angegliedert.
Blickdichte Büsche umrahmen diese mit Waschbetonplatten gepflasterte Außenfläche. Genau deswegen wurde sie in der Vergangenheit gerne für Sektempfänge genutzt, wenn Kollegen ihren Geburtstag feierten oder einen der Chef einfach zwischendurch nicht finden sollte. Zimmerinhaber Walter stellte »seine« Terrasse dann stets großzügig zur Verfügung und rauchte selber gerne mal ein Zigarillo an der frischen Luft.
Auf eben dieser Terrasse war nun ein Feuerkorb aufgestellt worden, der neben ergiebigen Rauchschwaden auch heimelige Wärme verströmte. Ich zählte 14 Kollegen und Kolleginnen, die munter plaudernd drum herum standen und sich die Hände wärmten. Auch eine Schnapsflasche machte die Runde, weshalb ich mich unwillkürlich an eine Horde von Wermut-Brüdern erinnert fühlte, die rund um eine brennende Penner-Tonne steht und ausgiebig ihrem Alkoholismus frönt.
»Auch mal? Wärmt schön durch!« Walter Zimmerer kam mit der Pulle auf mich zu, wollte sie mir in die Hand drücken.
Ich schüttelte den Kopf. »Nee, lieber nicht. Mein Kreislauf ist nämlich ein bisschen schwach, weil ich nichts im Magen habe. Da käme Alkohol jetzt nicht so gut, fürchte ich!«
»Sag das doch gleich!« Alex verschwand in Walters Zimmer, kam kurz darauf mit zwei Müsli-Riegeln und einer Packung Gummi-Erdbeeren zurück.
»Wir haben auch schon was gegessen, du bist bloß zu spät aufgetaucht!«, lachte sie. »Wirst sehen, das hilft, es wird dir gleich besser gehen! Und dann würde ich an deiner Stelle sehen, dass du doch noch ein Schlückchen vom Wodka abbekommst. Das hilft echt gut gegen die saumäßige Kälte!«
Ich musste mich krampfhaft bemühen, nicht alles einfach hinunterzuschlingen, sondern langsam und mit Bedacht zu essen. Hatte ich denn jemals so etwas Leckeres verspeist, war es wirklich erst wenige Tage her, dass solche Genüsse ganz einfach und jederzeit zu haben waren? Wieder befiel mich ein Gefühl der Unwirklichkeit, als würde ich all das nur träumen.
Langsam kehrten meine Lebensgeister zurück, ich fühlte mich besser und nach einigen Schlucken Alkohol auch leichter, unbelasteter. Das seltsame Beamten-Biwak machte fast schon Spaß, ich lebte im Augenblick und genoss die Sonne und die trockene Wärme des lodernden Feuers.
Später sprach ich noch mit Peter und Alexandra über meine Erlebnisse vom Vormittag. Beide teilten meine Bedenken und Vermutungen über Ecki, hielten diesen Zeitgenossen wegen einer sehr wahrscheinlichen Geisteskrankheit für unberechenbar und gefährlich. So kamen wir schnell überein, dass ich schon morgen mit Sack und Pack im Rathaus-Camp einziehen sollte.
Außer mir hatten sich elf weitere Kollegen zu diesem Schritt entschlossen, drei davon würden Familienmitglieder mitbringen. Alle anderen wollten versuchen, sich selber durchzuschlagen und würden zu unseren Treffen somit wohl nicht wiederkommen. Unter ihnen ist auch die überempfindliche Selina, welche nach ihrer Scheidung alleine in einer schicken Penthaus-Wohnung lebt. Ihr räume ich kaum Überlebens-Chancen ein, das muss ich ehrlich zugeben.
Ich werde also heute Nacht, bevor ich zu Bett gehe, alle Rollläden herunterlassen, die Möbel mit Betttüchern abdecken und meine paar Habseligkeiten bereitstellen, um morgen meine Wohnung auf unbestimmte Zeit zu verlassen.
All meine Erinnerungen an ein bequemeres Leben, die vielen Fotoalben mit Urlaubsbildern, die technischen Geräte und Sammlerstücke werde ich zurücklassen müssen. All das, was mir früher so wichtig und wertvoll erschienen ist, hat momentan keinen praktischen Nutzen mehr für mich, wird mir beim Überleben nicht helfen können. Schade, aber nicht zu ändern.
Wird die Wohnung unangetastet bleiben oder bald schon skrupellosen Plünderern zum Opfer fallen? Ich weiß es nicht, doch mir bleibt ohnehin keine Wahl. Es handelt sich ja nur um Gegenstände. Sollte die Krise jemals enden, dann kaufe ich mir einfach alles neu. Viel schöner als vorher. Mit diesem tröstlichen Gedanken beende ich für heute meine Aufzeichnungen.
*
Mittwoch, 19. Februar