EMP. Andrea Ross

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EMP - Andrea Ross

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»Ich gehe nicht an fremde Schreibtische, das wäre Diebstahl und ein Eingriff in die Privatsphäre des jeweiligen Zimmerinhabers!

      Habt ihr denn schon jeden Anstand, eure gesamte Erziehung verloren? Wir sind doch keine Wilden!« Selinas dunkle Augen verschossen wütend Blitze in Peters Richtung.

      Peter seufzte genervt, wandte sich dann Selina zu. »So! Jetzt hör mir mal genau zu! Ich habe Verständnis für deine Einwände, die für gewöhnlich auch ihre Berechtigung hätten. Egal, was du von mir denken magst: auch ich begehe im Normalfall keine Diebstähle. Aber das heute ist etwas komplett anderes, hier geht es ums Überleben, nebenbei auch um das deine. Dies hier sind außerdem in erster Linie Diensträume, keine Privatwohnungen! Wo sind sie denn abgeblieben, die geschätzten Herren und Damen Mitarbeiter, welche sonst in diesen Zimmern arbeiten? Wir sind gerade mal 18 Personen aus dem gesamten Rathaus II, die sich regelmäßig einfinden, wenn auch nicht zu den regulären Dienstzeiten. Die meisten der restlichen Kollegen haben sich alle seit dem EMP-Ereignis nicht mehr blicken lassen, als wären sie hier überhaupt nicht mehr beschäftigt.

      Wären sie bei uns, dann würden wir die Lebensmittel, die wir hoffentlich finden werden, selbstverständlich auch mit ihnen teilen. Jedoch – angesichts dieses totalen Desinteresses für den Dienst sind sie selber schuld, wenn hinterher die geliebten Gummibärchen aus der Schublade verschwunden sind!«

      Mit diesen sarkastischen Worten ließ er Selina einfach stehen und schickte sich an, das erste der insgesamt zwölf Zimmer dieses Stockwerks zu durchsuchen. »Wir treffen uns nachher mitsamt der Ausbeute in der Teeküche!« Selina blieb auf demselben Fleck wie angewurzelt stehen und schmollte trotzig.

      Vielleicht sollte ich mich etwas kürzer fassen. Mir schmerzt schon wieder der halbe Arm wegen all der vielen Schreiberei von Hand. Sooft ich früher meinen Computer verwünscht habe, weil mir das ständige Starren auf den Bildschirm und die Beantwortung der vielen täglichen E-Mails gründlich missfielen, so sehr hätte ich mir inzwischen ein funktionstüchtiges Gerät sehnlich herbeigewünscht.

      Schriebe ich jedoch meinem Arm zuliebe nicht alles so detailliert und langatmig nieder, dann würde später niemand mehr unsere Gedanken und Gefühle in dieser schwierigen Zeit nachvollziehen können.

      Ich werde besser eine kurze Pause einlegen, um mich ein bisschen zu schonen.

      *

      Der Rest meines Berichtes von diesem frostigen Montag ist schnell erzählt. Wir fanden bei der Durchsuchung sämtlicher Diensträume und Teeküchen Unmengen an Süßigkeiten, einige Getränkekästen und mehrere Packungen H-Milch. Dazu Knäckebrot, ein bisschen Obst, Kaugummi und Müsliriegel.

      In geräumigen Roll-Gitterboxen, die normalerweise für den Transport größerer Aktenmengen bereitstanden, transportierten wir diese Schätze während mehrerer Anläufe hinunter in den Tresorraum, der mittlerweile eher einem Warenlager glich. Die Anstrengung von jeweils sechs Männern war notwendig, die schweren Boxen über die Steintreppe nach unten zu bugsieren.

      Eine dieser Gitterboxen enthielt aber keine Lebensmittel, sondern andere nützliche Gegenstände. Ich hatte bei meinem Rundgang durch die Zimmer schnell begeistert festgestellt, dass einige Kollegen sich die Amtsstunden offenbar mit ein wenig Romantik, einem Mindestmaß an Ambiente versüßt hatten; neben ganz profanen Teelichtern fanden sich viele mit Aroma, dazu Windlichter mit Stumpen-Kerzen darin. Mein nächtliches Schreiben war damit erst einmal gesichert.

      Amüsiert registrierte ich, dass sich Hausmeister Klaus in einem nach seinem Glauben unbeobachteten Moment verstohlen ein Pornoheft unter die Jacke steckte. Ich kannte den Macho-Kollegen im zweiten Stock, aus dessen Einbauschrank es stammte, und wunderte mich daher über gar nichts. Wozu bezahlte Dienststunden doch für manche Leute so dienen – echt faszinierend! Zeige mir deinen Schreibtisch, und ich sage dir, wer du bist.

      Da gibt es zum Beispiel eine erklärte Tierschützerin, die das ganze Zimmer mit putzigen Hundefotos dekoriert hat und Gummiknochen in der Schublade hortet, gleich neben ihrem Stempelkissen. Oder einen Reggae-Fan, dessen Zimmer vor Bob Marley-Andenken und Postkarten aus Jamaika nur so strotzt, um ein paar Beispiele zu nennen.

      Mein eigener Schreibtisch nimmt sich da eher langweilig aus. Das einzig exotische, das er beherbergt, sind verschiedene Kaffeemischungen aus aller Welt, die ich mir bis einschließlich letzten Donnerstag mit meiner auf dem Fensterbrett geparkten Maschine je nach Lust und Laune zubereitete. Eine mir stets willkommene Abwechslung war das, zwischen der Erstellung von Bescheiden und Sprechstunden für den Bürger. Ein tolerierter Luxus, den ich mir täglich mehrmals gönnte.

      Ach, wie gerne hätte ich mir heute eine kräftige HochlandMischung aus Südamerika aufgebrüht, diejenige mit der sagenhaften »Crema« obendrauf!

      Wie auch immer, unser Fischzug war recht erfolgreich gewesen. Morgen werden wir wieder zusammenkommen, einige der Lebensmittel gemeinsam vertilgen und ernsthaft darüber sprechen, ob wir uns, gegebenenfalls mitsamt Ehepartnern und Kindern, wirklich auf Zeit in einer Art Rathaus-Camp zusammen schließen wollen, bis die Zeiten wieder besser werden. Da wird sich am morgigen Tag wohl die Spreu vom Weizen trennen. Nicht jeder ist geeignet, im Kollektiv zu leben.

      Bin ich es überhaupt? Auf jeden Fall wäre ich bereit, etwas Neues auszuprobieren, mich auf das Abenteuer einzulassen.

      *

       Dienstag, 18. Februar 2020

      

      Ich bin wütend. Stinksauer sogar! Der heutige Tag brachte nicht viel Gutes mit sich. Daher kann ich echt froh sein, dass er sich langsam, aber stetig dem Ende zuneigt.

      Heute ist mir nämlich erst so richtig bewusst geworden, wie selbstsüchtig, dumm und oberflächlich der Mensch eigentlich ist, während er sich größenwahnsinnig für die Krone der Schöpfung hält. Sollte der EMP weltweit zugeschlagen haben, dann wird man ja sicherlich bald sehen, wie es um das souveräne Leben dieses arroganten Primaten in Zukunft bestellt sein wird.

      Am besten wird sein, ich erzähle von vorne und der Reihe nach. Heute Vormittag wollte ich wie üblich mit dem Fahrrad zum Rathaus II hinüberfahren. Leider fiel mir in letzter Minute ein, dass ich Peter versprochen hatte, eines meiner Bücher mitzubringen. In diesem dicken Buch geht es um Sinn oder Unsinn von Überlebenstrainings, es enthält Tipps und Tricks zum Überleben in der freien Natur zu jeder Jahreszeit, und das nahezu ohne Ausrüstungsgegenstände. Jenes Buch hatte mir mein Ex-Freund Mark zum vorletzten Geburtstag geschenkt, weil er in einem Anflug von Optimismus glaubte, ich würde so eine Aktion an einem Wochenende mit ihm durchziehen wollen. Da war er allerdings auf dem Holzweg gewesen, wie bei so vielen Punkten in unsere Beziehung. Peter meinte gestern, wir könnten uns aus diesem Band sicher einiges an nützlichen Informationen herausziehen.

      Genervt ließ ich mein bereits aus dem Keller hochgeschlepptes Fahrrad kurz neben der Haustüre stehen und stürmte die Treppe hoch; ich würde nicht lange brauchen, denn das Buch lag ja auf der kleinen Kommode neben der Wohnungstüre fix und fertig zum Mitnehmen bereit.

      Ich hatte zu lange gebraucht! Als ich die Treppe wieder hinunter hastete, hörte ich das charakteristische Klappern der Schutzbleche meines Fahrrades, was unzweifelhaft bedeutete, dass jemand es bewegen musste. Und tatsächlich: ich erhaschte einen allerletzten Blick auf meinen treuen Drahtesel, der soeben mit einem Mann als Fahrer eilig auf die Straße und aus meinem Blickfeld gesteuert wurde.

      Wie lange hatte ich das Fahrrad aus den Augen gelassen, zwei Minuten vielleicht? Einfach geklaut, mitten aus einer belebten Wohnsiedlung! Wütend und entmutigt setzte ich mich erst einmal auf das kleine Treppchen vor der Eingangstüre meines Wohnblocks, um mich selber zu bemitleiden.

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