Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
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„So hat Euch Eure Kirche in den Osten geschickt? So seid Ihr ein Missionar, der seinen Glauben verbreiten will?“
„Durch sein gutes Beispiel sollte jeder Christ ein Missionar sein“, sagte der Mönch.
„Erzählt mir von Konstantinopel“, sagte Li, denn sie hatte den Namen dieser Stadt schon gehört. Die Legende von ihrem sagenhaften Reichtum und dem Gold ihrer Kuppeln war weit nach Osten gedrungen. „Sie soll die neue Hauptstadt des Römischen Reiches sein und prächtiger als alle anderen Städte...“
„Das Römische Reich ist schon vor langer Zeit untergegangen“, sagte der Mönch.
„Das höre ich mit Bedauern. Aber es wird von neuem erstehen“, erwiderte Li. „Das ist sicher.“
„Woher nimmst du deine Zuversicht?“
„Auch das Reich der Mitte des Ostens hatte Zeiten der widerstreitenden Herrscher und der Uneinigkeit gehabt. Aber das wird vorübergehen und auch im Westen wird es ein neues Rom geben.“
„Du sagst das, als wäre es ein Gesetz der Natur“, wunderte sich der Mönch.
„Ist es das nicht? Strebt nicht alles in der Welt zurück in ein Gleichgewicht?“
Der Mönch lächelte verhalten. „Die Lehre des Dao... Ich war lange genug im Osten, um davon gehört zu haben. Aber ich kann deine Sicht keinesfalls teilen. Die Erde ist vielmehr ein Ort des Jammers und der Gewalt – und erst wenn das Reich Gottes anbricht, wird es Harmonie und Einklang geben.“
„Ich verstehe nicht alles, was Ihr sagt“, erklärte Li zurückhaltend. „Aber das mag daran liegen, dass mir vieles fremd ist, was Euren Glauben betrifft.“
„Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir beide schlecht Persisch sprechen.“
Li deutete auf das kleine Buch, das sie bei dem Mönch bemerkt hatte. Er las des öfteren darin. Es war keine besonders feine Arbeit. Auf dem ledernen Einband war mit goldfarbenem Faden ein Kreuz eingestickt worden. „Ist das eine Bibel?“, fragte sie, denn sie hatte von dem heiligen Buch der Christen gehört, allerdings noch nie ein Exemplar davon zu Gesicht bekommen. Abschriften des Koran dagegen waren auf den Märkten von Xi Xia häufiger zu haben.
„Nein, das sind nur ein paar Gebete und die zehn Gebote“, antwortete der Mönch. „Bibeln sind selten. Und Menschen, die sie lesen könnten, noch seltener...“
„Aber wie soll sich ein Glaube verbreiten können, wenn es so wenig Bücher gibt, in denen er erklärt wird?“
„Ja, vielleicht ist das der Grund dafür, dass sich die Lehre Mohammeds in den Ländern des Ostens viel schneller verbreitet als das Wort von Jesus Christus.“
Li streckte die Hand aus und der Mönch verstand sofort, was ihr Begehr war. Er gab ihr das kleine Buch.
„Du bist eine Papiermacherin, wie ich mitbekommen habe“, sagte der Mönch.
„Mein Name ist Li, ich bin die Tochter von Meister Wang.“
„Mich nennt man Bruder Anastasius.“
Li blätterte in dem Buch herum und sah sich die Schriftzeichen an. „Die Seiten sind aus Pergament nicht aus Papier“, stellte sie fest.
„Im ganzen Abendland ist Papier so gut wie unbekannt“, sagte Bruder Anastasius.
„Selbst in einer Stadt wie Konstantinopel?“
„Selbst dort ist es selten. Meistens schreibt man auf Pergament.“
„Sind dies lateinische Zeichen?“
„Nein, es sind griechische.“
„Aber Latein ist doch die Sprache Roms und seiner Kirche – oder nicht?“
„Ja, das stimmt.“
„Angeblich versteht man sie überall im Westen!“
„Das trifft leider nur auf Männer der Kirche, Gelehrte und hohe Herrschaften zu, denen das Glück zuteil wurde, in dieser Sprache unterrichtet zu werden.“
„Und ist es richtig, dass jeder Christ dazu aufgerufen ist, seinen Glaube zu verbreiten?“
„Auch das trifft zu“, bestätigte Bruder Anastasius.
„Die Muslime sagen, dass man die Sprache des Koran lernen sollte, um den Glaube zu verstehen und richtig zu beten. Müsste man nicht auch Latein und Griechisch lernen, um die Lehre Eurer Kirche zu begreifen?“
„Da die meisten wichtigen Schriften des Glaubens nur in diesen Sprachen verfügbar sind – ja.“
„Wir haben einen langen Weg vor uns – aber vielleicht reicht er dazu aus, dass ich so viel Latein und Griechisch erlernen könnte, um zu entscheiden, ob Euer Glaube auch für meine Seele Erlösung bringen könnte...“
Bruder Anastasius lächelte und in seinen Augen blitzte es dabei. „Du willst mich dazu bringen, dir die Sprachen beizubringen!“, erkannte er. „Man sagt den persischen Diplomaten nach, ihre Sprache sei so geschliffen wie ein Schwert, sodass sie Kriege durch reden gewinnen könnten. Aber du brächtest das sicher auch mit deinem ungeschliffenen Markt-Persisch fertig.“
„Es ist der Gedanke, der geschliffen sein muss. Nicht die Sprache.“
„Mag sein.“
„So werde ich von Euch Latein und Griechisch lernen?“
„Nur für die vage Aussicht, eine heidnische Seele vor der Verdammnis zu bewahren? Der Glaube ist eine Gnade Gottes und nicht etwas, dass sich kalt erwägen lässt, wenn man ein wenig Griechisch und Latein kann, um die Heilige Schrift zu lesen. Aber nun gut, so sollst du einige Wörter griechisch von mir lernen...“
„Und Latein! Es ist die Sprache Roms!“, beharrte Li.
„Du nimmst dir viel vor!“
„Nicht so viel wie Ihr, Bruder Anastasius.“
––––––––
Die Tage gingen einer wie der andere vorbei. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gingen sie neben den Kamelen her. Li hörte irgendwann auf, die Tage zu zählen. Die Landschaft veränderte sich nur langsam. Die flachen, von weit entfernten Gebirgsmassiven eingerahmten Grasländer gingen irgendwann in eine steinige, staubtrockene Wüste über, an deren südlichen Rand die Karawane entlangzog. Babrak der Feilscher und seine Männer machten keinerlei Anstalten, die drei Gefangenen einer besonderen Bewachung zu unterwerfen oder in irgendeiner Weise auf sie zu achten. Sich in diesem kargen Land auf sich allein gestellt durchzuschlagen war wenig aussichtsreich. Schon in ihrem eigenen Interesse mussten Li, Mister Wang und Gao nicht zurückbleiben.
Es vergingen Tage