Drei Historische Liebesromane: Das 1500 Seiten Roman-Paket Sommer 2021. Alfred Bekker
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Eines Tages kamen Wächter des Palastes, um Li mitzunehmen. Sie hatte gerade das Badehaus besucht, denn es war der Vorabend eines Feiertags. Die Wächter sagten ihr nicht den Grund, weshalb sie ihnen folgen sollte. Li fragte sich, ob man vielleicht mit ihrer Arbeit nicht zufrieden war oder Meister Mohammeds Aussage stimmte, wonach es Eiferer gab, die den Inhalt eines Buches womöglich auch denen anlasteten, die sich an seiner Herstellung beteiligt hatten – und mochte es auch nur darum gehen, dass sie das Papier geliefert hatten, auf dem die schändlichen Zeilen schließlich geschrieben worden waren.
Viele Gedanken gingen Li durch den Kopf, als sie durch die Gänge des Palastes geführt wurde.
Seit Thorkild Eisenbringer sie und ihre Begleiter an den Statthalter von Samarkand verkauft hatte, war sie nicht mehr im Inneren des Palastes gewesen. Und das war nun schon viele Wochen her.
Der Statthalter empfing sie diesmal in einem Raum, an dessen Wänden kostbare Wandteppiche hingen, deren symmetrische Muster an jene Prinzipien der Harmonie und des Gleichmaßes erinnerten, wie sie auch die Lehre das Dao vermittelte. Alles hatte seine Entsprechung, jede helle Farbe ihr dunkles Gegenteil und die Gleichmäßigkeit der Formen erinnerte an einen labyrinthischen Garten aus einem Blickwinkel, wie ihn vielleicht ein über die Hecken fliegender Vogel haben mochte.
Man konnte in diesen Ornamenten seinen Blick ewig wandern lassen und im immer gleichen doch stets etwas Neues finden. Li war war zutiefst beeindruckt. Wer immer diese Muster auf den Teppichen erschaffen hatte, war in ihren Augen ein ebenso großer Künstler wie jene inspirierten Geister, die für die Gestaltung der Mosaiken verantwortlich waren. Sinnbilder vollkommener Ordnung waren das in Lis Augen – und damit auch ein Gleichnis für die Welt in ihrer wahren Gestalt.
Prinz Ismail lächelte nachsichtig, denn ihm entging Lis Bewunderung für die Gestaltung des Raumes nicht, auch wenn er vielleicht nicht im Einzelnen hätte sagen können, worauf sie sich genau bezog.
„Du scheinst einen Sinn für Schönheit zu haben, wie er nicht oft vorkommt“, sagte er in seinem sehr klaren und auch für Li außerordentlich gut verständlichen Persisch.
„Eure Worte sind zu gütig, Herr“, erwiderte sie und neigte den Kopf.
Prinz Ismail saß auf einem Diwan. Vor ihm stand ein kunstvoll gefertigter Tisch, auf dem Dokumente lagen, die er zu unterzeichnen hatte. Kentikian stand neben ihm und legte ihm neue Dokumente vor, sobald die vorherigen den Namenszug des Statthalters trugen. Auf dem Diwan lag auch ein Buch. Inzwischen hatte Li die Bedeutung von einigen der arabischen Schriftzeichen erlernt, mit denen das Persische geschrieben wurde. Es war eine verhältnismäßig einfache Art der Schrift, die darauf abzielte, den Klang des gesprochenen Wortes wiederzugeben – und nicht die Bedeutung, wie es bei den Zehntausenden von Zeichen der Fall war, mit denen die Schreiber im Reich der Mitte vertraut sein mussten. Alle Schriften des Westens kamen mit einer vergleichsweise geringen Zahl von verschiedenen Zeichen aus. Das war ihr schon aufgefallen, als sie sich von Bruder Anastasius Griechisch und Latein hatte beibringen lassen. In der Regel schienen es bei keiner dieser Sprachen, vom Lateinischen bis zum Persischen mehr als zwei Dutzend Zeichen zu sein. Manchmal kamen sie in verschiedenen Variationen vor, aber selbst wenn man die als eigenständige Zeichen ansah, blieb ihre Anzahl lächerlich gering. Für einen Menschen mit einem durchschnittlich begabten Gedächtnis konnte es eigentlich keine Schwierigkeit sein, sie allesamt zu lernen, wie Li meinte.
Immerhin konnte sie inzwischen gut genug Persisch lesen, um zu erkennen, dass das Buch, das neben dem Statthalter auf dem Diwan lag, offenbar in arabischer Sprache verfasst war.
„Lass uns allein!“, wandte sich der Statthalter an Kentikian. Dieser verneigte sich.
„Wie Ihr wünscht, Herr.“
Der Hofschreiber zog sich zurück und nahm dabei auch einige Dokumente mit, die Prinz Ismail wohl noch zu unterzeichnen hatte.
„Komm näher“, sagte Prinz Ismail.
Zögernd folgte Li dieser Aufforderung. Der Statthalter nahm das mit einem kostbaren Ledereinband versehene Buch und gab es ihr. „Du wirst es nicht lesen können. Es ist in der Sprache des Propheten. Aber die Wasserzeichen in den Seiten wirst du erkennen, wenn du sie gegen das Licht hältst.“
Li schlug das Buch auf. Und als sie eine einzelne Seite gegen das durch ein hohes Fenster hereinscheinende Licht hielt, erkannte sie sofort ihr Wasserzeichen – jene Rose, die sie aus dem biegsamen Metall geformt hatte.
Zusammen mit der Schrift ergab sich ein Bild von überraschend vollkommen wirkender Harmonie.
„Das Buch ist eine edle Arbeit“, sagte sie. „Womit ich nicht das Papier loben will, sondern die Arbeit des Schreibers, der mit sicherem Strich geschrieben hat – und die des Buchbinders, dessen Knoten so winzig sind, dass sie sich fast überhaupt nicht in das Papier hinein drücken.“
„Du solltest dein Werk nicht geringschätzen, Papiermacherin“, erwiderte Prinz Ismail. „Das Papier mit seinem Wasserzeichen gibt allem das harmonische Äußere, das die Gedanken verdienen, die in diesem Buch geschrieben stehen.“
„Ist es eine Abschrift des Koran?“, fragte Li.
Prinz Ismail schüttelte den Kopf. „Es ist eine Schrift, die den Titel Ma'akhidh al Shara'i trägt und von unserem großen Gelehrten Abu Mansir al-Mutaridi stammt, der vor einem Menschenalter die Grundlagen der muslimischen Rechtslehre aufgeschrieben hat – ein Buch, in das jemand wie ich jeden Tag hineinsehen sollte, um den Maßstab für all die Entscheidungen zu behalten, die tagtäglich zu treffen sind. Vor allem, was die Entscheidungen darüber angeht, was Recht und Unrecht angeht...“
„Ich glaube nicht, dass es viele Herrscher gibt, die sich darüber so viele Gedanken machen, dass sie zuvor in ein Buch sehen“, erwiderte Li.
„Das sollten sie aber. Doch ich habe dich nicht hier her bringen lassen, um mit dir darüber zu sprechen. Es geht zum etwas anderes. Dein Wasserzeichen hat mir ausnehmend gut gefallen. Von dieser Kunst hatte ich nur gerüchteweise gehört und nicht geglaubt, jemals jemanden zu treffen, der sie in dieser Vollkommenheit beherrscht, wie das bei dir der Fall ist. Anscheinend ist dein Talent beim Schöpfen von Papier verschwendet...“
„Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt, Herr“, sagte Li und gab dem Statthalter das Buch des Rechtsgelehrten Abu Mansur al Mutaridi zurück. Der Name seines Verfassers auf dem Einband – eingestickt mit Goldfaden - vermochte Li immerhin zu entziffern.
„Ich möchte, dass du mir ein Wasserzeichen erschaffst, das für mich persönlich steht und mein Zeichen sein soll. Ein jeder, der einen Brief bekommt, der auf diesem Papier geschrieben wurde, soll erkennen, dass er wirklich einen Bogen aus meiner Hand erhalten hat...“
„Ein Zeichen für den Statthalter von Samarkand also“, schloss Li. Aber anscheinend hatte sie Prinz Ismail doch noch nicht richtig verstanden.
„Vergiss den Statthalter. Dieses Zeichen soll das