Weisheit des Lebens für Dummies. Marco Kranjc
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Ein weiser Mensch ist in der Lage, seine Perspektive zu wechseln. Er kann sich in Ruhe hinsetzen und sich selbst mit den Augen des Nachbarn sehen, der sich ständig über ihn beschwert. Wo hat der Nachbar vielleicht recht? Den »Perspektivwechsel« kann man auch als »Rollentausch« bezeichnen, denn man versucht, so gut wie möglich in die Haut des Gegenübers zu schlüpfen, um es zu verstehen.
Wenn der Perspektivwechsel eine Herausforderung für den Verstand ist, so ist die Empathiefähigkeit eher eine Anstrengung der Gefühle. Denn empathisch sein bedeutet, an den Gefühlen des Gegenübers teilzuhaben. Und das nicht nur deshalb, weil uns dieser Mensch von seinen Gefühlen erzählt, sondern deshalb, weil wir ihn wirklich verstehen wollen.
Ein weiser Mensch weiß auch, dass Menschen unterschiedliche Werte haben. Was richtig oder falsch ist, mag er für sich selbst genau festgelegt haben. Er kann aber andere Sichtweisen und Meinungen tolerieren und versteht sie auch nicht als Angriff auf sich selbst.
Auch wenn die Dinge einmal nicht so laufen wie gewünscht, wird ein weiser Mensch in Ruhe auf eine Lösung warten können. Ein weiser Mensch hat einen hohen Grad an Frustrationstoleranz entwickelt.
Eine weitere besondere Eigenschaft weiser Menschen drückt sich in der Fähigkeit aus, eine bestimmte Situation im Zusammenhang des ganzen Lebens und aller Erfahrungen zu sehen. Kontextualismus nennt man die schöne Fähigkeit, Erfahrungen im Zusammenhang unseres Lebens und aufgrund eigener Erfahrungen einordnen zu können.
Auch den Humor darf man als wertvolle Eigenschaft nicht vergessen: Besonders das Lachen über uns selbst und die eigenen Fehler kann viel Ernst aus unserem Leben nehmen und wachsende Bitterkeit verhindern.
Es gibt auch Eigenschaften, die weniger mit unserem Charakter zu tun haben, als vielmehr einfach dem Lernen geschuldet sind, hier ist sozusagen »Fleißarbeit« zu tun:
Auch dem weisen Mensch hilft es, wenn er einfach eine Menge Dinge weiß. Faktenwissen kann dazu helfen, Menschen und Situationen zu verstehen.
Ebenso wichtig für einen weisen Menschen ist auch, dass er Problemlösungswissen hat. Das Wissen darum, wie man gute Entscheidungen trifft oder sich in Konflikten sinnvoll verhält, dient einem weisen Menschen dazu, ein gutes Leben zu führen.
Leider ist das Unwichtigere leichter zu haben: Faktenwissen kann auch dem Weisen helfen, macht aber niemanden weise. Problemlösungswissen ist auch für einen weisen Menschen wichtig, aber das »Gewusst-wie« macht noch keinen Menschen weise. Diese beiden Formen von hilfreichem Wissen können wir leicht aus Büchern oder Seminaren, aus dem Internet oder im Studium lernen. Die richtige Anwendung dieses Wissens ist aber wieder eine ganz andere Sache. Wie gesagt: Viele Menschen wissen sehr viel, ohne doch etwas von dieser Welt zu verstehen.
Am Schluss dieses Kapitels stehen wir vor der Frage vom Anfang: Lohnt sich der ganze Aufwand eigentlich? Lohnt es sich, Weisheit zu lernen? Vor allem mit der etwas frustrierenden Aussicht, dass man nie wissen wird, ob man wirklich weise ist?
Weisheit zu lernen lohnt sich, weil wir alle danach suchen, ein gutes Leben zu führen. Wir wissen, dass es naiv ist, sich ein Leben ohne Probleme, Krankheit und Leid zu wünschen. Aber auch wenn das Leben nicht immer – und für manche sogar selten – glücklich ist, kann es doch gut sein. Nicht immer nur Glück, sondern gut leben trotz Unglück – das ist der große Gewinn, den wir von einem Leben mit Weisheit haben.
Kapitel 4
Scheitern – der steile Weg zur Weisheit
IN DIESEM KAPITEL
Wie Erfolg und Scheitern zusammengehören
Scheitern, Glück und Pech
Weisheit lernen durch scheitern
Scheitern überstehen
Wie man über Misserfolge reden kann
Der alte Fischer Santiago hatte schon lange nichts mehr gefangen. Die anderen Fischer redeten schon über ihn, irgendwie schien ihn das Glück verlassen zu haben. Eine Weile war er mit einem Jungen hinausgefahren, aber dessen Vater verbot es irgendwann. Der Junge sollte lieber mit erfolgreicheren Fischern fahren. Doch am fünfundachtzigsten Tag seines Pechs biss ein Fisch an, ein riesiger Speerfisch. Drei Tage zog der Fisch den alten Mann hinaus aufs Meer, drei Tage, in denen der alte Mann eine persönliche Bindung zu dem Fisch aufbaute. Obwohl es ein Kampf auf Leben und Tod war, wurde der Fisch dem alten Mann zum »Bruder«.
Als er den Fisch endlich töten konnte, machte er ihn an der Seite des Bootes fest und trat die lange Heimreise an. Doch das Blut des Fisches zog Haie an und sie rissen Stück um Stück das Fleisch vom Fang des alten Mannes. Als er schließlich in seinen Heimathafen fuhr, befand sich an der Seite des Bootes nur noch ein großes Skelett …
Ernest Hemingways (1899–1961) Erzählung »Der alte Mann und das Meer« ist eine berühmte Geschichte über das Scheitern. Dass man einen Mann »vernichten (kann), aber nicht besiegen«, ist nur eine von Hemingways trotzigen Aussagen über das Scheitern. Lese ich »Der alte Mann und das Meer«, kommen mir so manche Fragen in den Sinn: Wie schlimm ist Scheitern? Sind Verlierer auch immer gleich Versager? Wie viel Glück braucht es eigentlich zum Erfolg? Oder ist Erfolg vernünftig planbar?
Das »gute Leben« ist oft genug auch ein Leben, das wir uns gegen Widerstände erarbeiten müssen. Oder nach einem Unglück neu finden müssen. Deshalb steht dieses Kapitel über das Scheitern nicht am Ende, sondern recht weit vorn in diesem Buch. So schlimm Scheitern und Versagen sein können, so sehr können sie uns helfen, Weisheit zu lernen:
Misserfolge verhelfen zu klarerer Perspektive: Es ist tatsächlich nicht alles möglich und nicht alles haben wir selbst in der Hand.
Eigenes Scheitern kann uns verständnisvoller für unsere Mitmenschen und ihre Misserfolge machen. Zumindest, wenn man in erfolgreichen Zeiten die schlechten Zeiten nicht vergisst.
Selbst Weisheit schützt nicht vor Misserfolg. Sie hilft uns aber, all die Einflüsse besser zu verstehen und einzuordnen, die zum Scheitern geführt haben.
Nach einem Misserfolg kann man oft klüger und weiser wieder aufstehen und etwas Neues beginnen.
Ohne Scheitern kein Erfolg?
Irgendwie ist das mit dem Scheitern eine zwiespältige Sache. Zumindest das, was wir darüber denken. In einer Studie hat man Deutsche zum Thema Scheitern von Unternehmen befragt. Vielleicht war es zu erwarten, aber Deutsche gehen gern auf Nummer sicher: 42 Prozent der Befragten fanden, dass man kein Unternehmen gründen sollte, wenn das Risiko des Scheiterns besteht. Da fragt man sich allerdings, ob man dann überhaupt ein Unternehmen gründen sollte: Wo ist die hundertprozentige Geschäftsidee, mit der man nicht scheitern kann?
Seltsam ist dann etwas anderes: Auch wenn ein Großteil der Befragten eher kein Vertrauen mehr zu einem gescheiterten Unternehmer hätte, denken fast 80 Prozent der Befragten aber doch, dass Scheitern und Misserfolg auch etwas Positives haben kann. Scheitern kann dazu helfen, innezuhalten und über sich und den zurückgelegten Weg nachzudenken. Was doch nach einer guten Möglichkeit