Integrative Medizin und Gesundheit. Группа авторов

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      Die Digitalisierung spielt in der Gesellschaft eine wichtige Rolle und Digital-Health-Interventionen nehmen im Alltag deutlich zu. Menschen kommunizieren über Smartphones, stimmen über e-Voting ab, kaufen online ein, leben in Smart Homes und lesen mindestens wöchentlich über die Fortschritte künstlicher Intelligenz in der Zeitung. So wie das Lesen, Rechnen und Schreiben ist der Umgang mit digitalen Medien und neuer Technik zentral für das tägliche Leben der meisten Menschen geworden. Die Digitalisierung betrifft also nicht nur Teile der Gesellschaft, sondern die Bevölkerung als Ganzes. Sie stellt bestehende Paradigmen infrage, ermöglicht neue Formen der Patientenversorgung und erfordert neue Fähigkeiten in einer sich rasch verändernden gesellschaftlichen Realität. Krankenkassen haben eigene Gesundheitsapps, und digitale Kompetenz ist die zentrale Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts geworden. Zum Beispiel haben sich psychotherapeutische Internetinterventionen in Studien (Karyotaki et al. 2018) den üblichen psychotherapeutischen Settings in ihrer Wirksamkeit nicht unterlegen gezeigt. Dadurch wird ein niedrigschwelliger und schneller Zugang zu einer Therapie wie Psychotherapie, die oft lange Wartezeiten mit sich bringt, ermöglicht. Allerdings lässt sich davon ausgehen, dass an solchen Therapiestudien vermehrt Menschen mit einem Interesse an digitalen Interventionen teilnehmen und die Ergebnisse nicht so einfach auf andere Erkrankte übertragen werden können. Andererseits entwickelt sich die Digitalisierung der Gesellschaft und damit auch der Medizin so schnell, dass dies in einigen Jahren vielleicht keine Frage mehr ist. Nichtsdestotrotz müssen Aspekte wie digitale Kompetenz der Betroffenen und Datenschutz in Zukunft mehr Beachtung finden.

      5.2 Self-Care für Mind und Body

      In Zeiten knapper Ressourcen im Gesundheitssystem wird der Ruf nach mehr „Gesundheitskompetenz“ der Bevölkerung laut. Es wurde festgestellt, dass die unzureichende Fähigkeit der Patienten, Gesundheitsinformationen zu verstehen und im Gesundheitssystem zu navigieren, ein wichtiger Indikator für die Unangemessenheit des Zugangs zur Gesundheitsversorgung ist. Darüber hinaus wird von Menschen mit problematischer Gesundheitskompetenz erwartet, dass sie im Umgang mit ihren gesundheitlichen Problemen eine schlechte Selbstwirksamkeit zeigen (Palumbo 2017). Digitale Angebote können einen niedrigschwelligen Zugang zu mehr Gesundheitskompetenz ermöglichen. Dies schließt neben reinen Gesundheitsinformationen auch die Kompetenz ein, Maßnahmen zur Prävention von Erkrankungen oder zur Behandlung leichter akuter Symptome (z.B. Erkältungen) oder chronischer Erkrankungen (z.B. Rückenschmerzen) selbstständig anzuwenden („Self-Care“).

      Das Verständnis, dass ein Zusammenwirken von Mind und Body grundlegend für eine umfassendere Prävention aber auch die Therapie von Erkrankungen ist, ist Teil der integrativen Betrachtung von Gesundheit (Witt et al. 2017). Die sogenannte Mind Body Medicine (MBM) berücksichtigt dies, und so, wie sie aktuell in der Schweiz angewendet und gelehrt wird (Witt et al. 2019), ist Gesundheitskompetenz und Selbstwirksamkeit ein grundlegendes Ziel.

      Im Rahmen der Self-Care werden zudem indikationsspezifisch evidenzbasierte Self-Care-Maßnahmen empfohlen. Da hierbei aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit langjähriger therapeutischer Expertise unter der Berücksichtigung der Werte und Wünsche der Patienten kombiniert werden, spielen auch digitale Methoden zunehmend eine wichtige Rolle. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es darum geht, für jeden Erkrankten die bestmöglich passende Intervention zu wählen und das kann je nach Bedürfnis der Person digital oder das übliche analoge Setting sein. Bei den konzeptionellen Bestandteilen der neueren digitalen Interventionen spielen neben den komplementärmedizinischen Elementen (z.B. Akupressur oder Entspannungsverfahren), insbesondere gesundheitspsychologische Aspekte wie z.B. Techniken der Verhaltensänderung (z.B. Zielbildung oder soziale Unterstützung), eine zunehmend wichtige Rolle.

      5.3 Gesundheitsanwendungen in einer digitalen Welt

      Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) finden im Alltag zunehmend Anwendung. Zu ihnen zählen die unkomplizierte Schrittzähler-App, die die zurückgelegten Schritte über das Smartphone oder die Smartwatch aufzeichnet, grafisch aufbereitet und somit zu mehr Bewegung im Alltag motivieren soll, oder auch ausgereifte multimodale digitale Therapiekonzepte zur unterstützenden Behandlung von Kopf- oder Rückenschmerzen (kaia 2020; M-sense 2020). Die Kombination von allgemeinen Informationen, multimedialen Anleitungen, Tracking, Feedback und anderen Maßnahmen zur Verhaltensänderung ermöglicht es Patientinnen und Patienten, ihre eigene Krankheitsvorsorge oder auch die Therapie stärker selbst in die Hand zu nehmen. Intelligente mobile Geräte, wie Smartphones, Smartwatches oder zukünftig smarte Kopfhörer, sogenannte Hearables, können ständig verfügbar sein und vielfältige Daten mit medizinischem Nutzen im Alltag sammeln, analysieren und bereits auch interpretieren. Diese Interpretationen und Handlungsempfehlungen können dann an die Nutzerinnen und Nutzer kommuniziert werden, auf Wunsch sogar häufiger und intensiver als üblicherweise in der Mensch-zu-Mensch-Interaktion bisher möglich ist. So versucht die digitale Gesundheitsanwendung vielleicht nach einem Tag, mit wenig Bewegung zum Beispiel zu einem Abendspaziergang anzuregen, regt an, bei einem stressigen Arbeitstag zwischendurch auch eine Minute achtsam zu pausieren, oder weist auf unregelmäßigen Herzrhythmus hin, der möglicherweise im Zusammenhang mit Vorhofflimmern steht (Perez et al. 2019). In Zukunft muss man vermutlich deutlich seltener zu seinem Arzt oder seiner Ärztin gehen, man hat sie am Handgelenk, in der Hosentasche oder trägt sie als intelligente Kopfhörer im Ohr.

      Die digitale Medizin erlebt aktuell eine Aufbruchstimmung. Mit dem „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG)“ wurde ein Leistungsanspruch der Versicherten auf digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) geschaffen (BfArM 2020). Dadurch können künftig Ärztinnen und Ärzte Apps verschreiben. Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt dafür die Kosten.

      So können sich Patientinnen und Patienten, die zum Beispiel auf eine Psychotherapie warten, regulär bei einer existierenden elektronischen Variante einschreiben, die dann mit standardisierten Modulen und telemedizinischer Betreuung arbeitet (Selfapy 2020). Oder statt Physiotherapie wird es die Option geben, eine App zu nutzen, die zu symptomorientierten Übungen anleitet und diese ggf. sogar mittels Bilderkennung und maschinellem Lernen korrigieren kann.

      Das Potenzial ist zweifellos sehr groß. Im besten Fall können die Veränderungen durch fortgeschrittene Digitalisierung die Autonomie der Patienten stärken, die Prävention von Erkrankungen verbessern und das Gesundheitssystem unter anderem aufgrund von Effizienzsteigerungen insgesamt preiswerter machen. Das Gesundheitssystem könnte sogar neu gedacht werden. Im schlechtesten Fall werden herkömmliche Angebote eingeschränkt, Monopole gebildet, und Patienten verlieren weiter ihre Autonomie sowie persönliche hoch schützenswerte Daten. Sie werden zum Spielball von Algorithmen, die intransparent über Diagnosen und Therapien (mit-)entscheiden und versuchen, die „Compliance“ der Nutzerinnen und Nutzer zu „optimieren“. Die paternalistische Herangehensweise kehrt zurück und die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die die Patientenrechte eher gestärkt hatten, würden damit konterkariert werden.

      Ein bedeutendes Paradigma der modernen Medizin ist die evidenzbasierte Medizin. Hierbei beruht die optimale Therapie auf der Verknüpfung der besten klinischen Evidenz, der klinischen Expertise des Arztes und berücksichtigt dabei auch die Werte und Wünsche der Patientinnen bzw. Patienten (Sackett et al. 1996). Aktuell sind jedoch viele digitale Gesundheitsanwendungen bezüglich ihres medizinischen Nutzens nicht annähernd so gut untersucht, wie man es von Medikamenten und nicht-medikamentösen therapeutischen Verfahren inzwischen selbstverständlich erwarten würde. Interessanterweise spielte und spielt die fehlende Evidenz in der Diskussion zur Integration komplementärmedizinischer Verfahren in die Normalversorgung praktisch immer eine große Rolle. Verfahren, die nicht evidenzbasiert sind, gelten häufig als unwissenschaftlich, unabhängig davon, ob diese Verfahren aus Kostengründen nicht gut untersucht sind, oder sich bei gründlicher wissenschaftlicher Untersuchung als unwirksam

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