Integrative Medizin und Gesundheit. Группа авторов

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zeigen, wie die Akupunktur bei Allergischer Rhinitis oder zur Migräneprophylaxe, sind noch nicht Teil der Normalversorgung. Man hat den Eindruck, dass digitale Gesundheitsanwendungen aktuell deutlich weniger kritisch betrachtet werden als komplementärmedizinische Verfahren.

      Die Regulierung nimmt jedoch inzwischen zu. Und auch der Druck, die Studienlage zu Digitalen Gesundheitsanwendungen zu verbessern, verstärkt sich bereits. Er wird sehr wahrscheinlich mittelfristig sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene weiter zunehmen.

      Wesentlich für die Regulierung sind u.a. die ab Mai 2021 verpflichtend anzuwendende europäische Medizinprodukte-Verordnung (DIMDI 2020) von 2017 und das bereits angesprochene DVG. Dabei hat das DVG, welches Ende 2019 in Deutschland auf den Weg gebracht wurde, eigentlich zum Ziel, die Rolle der Digitalen Gesundheitsanwendungen zu stärken. Eine App mit medizinischem Bezug kann damit von Ärzten auf Rezept verordnet und von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Es muss jedoch auch ihr Nutzen sowie die Sicherheit nachgewiesen werden. Aufgrund der europäischen Medizinprodukte-Verordnung (DIMDI 2020), gelten sehr viele Apps mit medizinischem Bezug auch relativ schnell als reguliertes Medizinprodukt. Eine zunehmende Professionalisierung der Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen wird damit notwendig werden, da die formalen und organisatorischen Anforderungen für ein Medizinprodukt relativ hoch sind. Sie sind so hoch, dass sie durch kleine dynamische Teams mit relativ wenig Kapital kaum zu meistern sein werden. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft nur Produkte bereits etablierter oder besonders kapitalstarker Unternehmen eine Chance erhalten, langfristig durch die Krankenkassen erstattet zu werden. Dies wäre nicht nur im Hinblick auf Innovation und Konkurrenz bedauerlich, es würde vermutlich zu Monopolen für einzelne Themenfelder oder Indikationen führen. Dieser Umstand würde vermutlich einer Kostensenkung im Gesundheitssystem eher nicht in die Hände spielen.

      Aber auch wenn durch die Regulierung digitale Gesundheitsanwendungen verstärkt wissenschaftlich untersucht werden, müssen wir noch einige Zeit warten, bis aussagekräftige randomisierte kontrollierte Studien in der Anzahl und Qualität verfügbar sind, wie es für pharmakologische Therapien selbstverständlich ist und auch regelmäßig für die Untersuchung komplementärmedizinischer Verfahren gefordert wird. Dies hat vielfältige Gründe.

      Die Herausforderungen für die klinische Untersuchung digitaler Gesundheitsanwendungen sind vielfältig: Die Entwicklung der digitalen Technologien verläuft sehr schnell und unterliegt einer ständigen Anpassung (Michie et al. 2017). Traditionelle klinische Studien, die oft mehrere Jahre bis zu aussagekräftigen Ergebnissen benötigen, sind mit dieser Entwicklung nicht kompatibel. Während die Entwicklung eines neuen Medikaments 10 bis 15 Jahre in Anspruch nehmen kann, veröffentlichen die großen Hersteller von Smartphones mindestens einmal im Jahr ein neues Modell, inklusive des dazugehörigen überarbeiteten Betriebssystems. Eine neue App kann sogar in wenigen Monaten entwickelt werden.

      Bei den Entwickelnden von digitalen Gesundheitsanwendungen ist häufig keine Expertise für klinische Studien vorhanden. Und auch ist noch unklar, wie klinische Studien adäquat beschleunigt werden können, um mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Die universitäre Forschung verfügt nicht über professionelle multidisziplinäre Entwicklerteams, die für die Entwicklung kommerzieller App-Projekte inzwischen Standard sind. Die notwendige Expertise, um heutzutage eine medizinische Smartphone-App bzw. digitale Gesundheitsanwendung zu entwickeln, ist vielfältig und kostspielig. Allein in die Programmierung einer App sind häufig verschieden spezialisierte Programmierer und Programmiererinnen, Designer und Designerinnen, sowie Verantwortliche für Projektmanagement involviert. Komplexere Apps für den medizinischen Bereich werden ohne psychologische und regulatorische Expertise auch nicht mehr auskommen können. Für die Durchführung einer klinischen Studie sind neben wissenschaftlicher Expertise auch Kompetenzen zu Daten- und Patientenmanagement sowie zum Monitoring notwendig. Ist eine medizinische App dann fertig entwickelt, ist es nicht selbstverständlich, dass die Patienten und Patientinnen diese dann auch tatsächlich nutzen. Und dafür ist es wichtig, dass diese gut für jede potenzielle Nutzergruppe optimiert ist.

      Sollten sich in einer klinischen Studie die digitalen Gesundheitsanwendungen als wirksam, ggf. sogar kosteneffektiv erweisen, stellt sich die Frage, wie diese Ergebnisse dann verwendet werden können. Medikamente werden üblicherweise nach erfolgreichen Studien und positiver Nutzenbewertung in die Behandlung integriert und von den Krankenkassen erstattet. Auch für komplementärmedizinische Verfahren gelten aussagekräftige Studien als gutes Argument für eine Erstattung durch die Krankenkassen. Zu beobachten war dies für die Akupunktur, deren Kosten seit 2007 die gesetzlichen Krankenkassen für chronische Rückenschmerzen der Lendenwirbelsäule und des Kniegelenks übernehmen (Melchart et al. 2006). Für digitale Gesundheitsanwendungen soll die Erstattung durch das DVG in Zukunft einfacher möglich werden.

      Es bleibt jedoch abzuwarten was passiert, wenn nach erfolgreicher Studiendurchführung die zugrunde liegenden Technologien veraltet sind. Viele etablierte Therapien, zum Beispiel die Behandlung des Bluthochdrucks mittels ACE-Hemmers, stammen aus dem letzten Jahrhundert. Verfahren wie Yoga oder die Akupunktur als aktuelle Verfahren der Integrativen Medizin, sind zum großen Teil sogar deutlich älter. Im Gegensatz dazu würde heutzutage kaum jemand ein 10 Jahre altes iPhone produktiv nutzen wollen. Aktuelle digitale Gesundheitsanwendungen würden auf alten Geräten nicht funktionieren und neue Geräte würden 10 Jahre alte Anwendungen technisch nicht unterstützen. Das hat zur Folge, dass digitale Gesundheitsanwendungen, die aktuell zugelassen werden, regelmäßig mit erheblichem Aufwand gepflegt und angepasst werden müssen, damit sie auch in 10 Jahren noch nutzbar sind. Es ist möglich, dass sich dabei grundlegende Funktionalitäten verändern. Müssten diese Anwendungen dann auch regelmäßig neu untersucht werden? Dies alles ist kostspielig. Der zukünftige Umgang mit dieser Problematik wird spannend. Vermutlich kann die Integrative Medizin die Entwicklung der Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen jedoch beeinflussen.

      5.4 Chancen für die Integrative Medizin

      Sowohl eine positive als auch eine negative Entwicklung der digitalen Medizin kann die Integrative Medizin stärken. Entweder wenden sich Patientinnen und Patienten vermehrt von der digital bestimmten Medizin ab, oder integrative Behandlungsansätze werden selbstverständlich bei der Entwicklung digitaler Gesundheitsanwendungen mitgedacht und komplementärmedizinische Verfahren in die Anwendungen integriert. Zum Teil geschieht dies bereits. So enthält beispielsweise eine bekannte App für Migräne und Kopfschmerzen, neben Tracking- und Informationselementen, Anleitungen zu Entspannungsverfahren. Auch zählen Apps zu Yoga und Mindfulness bereits zu den kommerziell erfolgreichen Gesundheitsanwendungen, die zum Beispiel in den USA bereits zum Teil von Gesundheitsdienstleistern erstattet werden. Auch eine große deutsche Krankenkasse propagiert eine App zu Achtsamkeit. Und eine populäre deutsche App, die unter anderem durch Ernährungsprotokolle das Abnehmen unterstützen möchte, gibt inzwischen auch Hinweise zum Heilfasten. Dies sind Anknüpfungspunkte, um die aktuellen Entwicklungen, auch aus Sicht der Integrativen Medizin, mitzuprägen. Die Voraussetzungen dafür sind eigentlich gut. Das Zeitfenster ist jedoch schmal. Die Forschungsexpertise, die für die Evaluierung komplementärmedizinischer Verfahren genutzt wurde und wird, ist zum Teil auch für die Evaluierungen dieser neuen digitalen Gesundheitsanwendungen sehr nützlich. Therapeutische digitale Gesundheitsanwendungen sind häufig komplexe Interventionen. Der Placeboeffekt, positive Erwartungen sowie Kontexteffekte, werden vermutlich für die Wirksamkeit dieser Verfahren eine Rolle spielen. Die Forschung zur Integrativen Medizin verfügt bereits über viel Erfahrung, die hierfür zur Anwendung kommen kann. Mixed-Methods-Ansätze, also die Kombination von quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden, werden inzwischen nach Möglichkeit für die Evaluierung komplementärmedizinischer Verfahren gewählt. Forschung zu Effekten von Placebo und Erwartungshaltung ist fest in der Integrativen Medizin verankert. Und auch die Einbeziehung von Stakeholdern in den Forschungsprozess kommt inzwischen häufiger zur Anwendung. Die Forschung zur Integrativen Medizin kann die Forschung zu digitalen Gesundheitsanwendungen entscheidend mitprägen. Darüber hinaus sind aber auch die Inhalte der Integrativen Medizin für die Neuentwicklung

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